die für die Golfmonarchie eine Bedrohung im eigenen Land aber auch in der Region darstellten. Mit dem Ende ihrer Herrschaft begann in Tunesien und Ägypten, was Saudi-Arabien befürchtet hatte: Der Aufstieg der politischen Islamisten. In Ägypten wurde der Muslimbruder Mohammed Mursi Präsident, in Tunesien gewann mit der Ennahdha eine den Muslimbrüdern nahestehende Partei die Wahlen. Die Saudis fürchteten sich vor diesem demokratisch legitimierten Islamismus, durch den ihr eigenes Herrschaftsmodel in Frage gestellt werden könnte.50
Seit Beginn des Arabischen Frühlings haben die Golfstaaten daher auf die Entwicklungen eingewirkt und politische wie ökonomische Mittel eingesetzt, um sie in ihnen genehme Bahnen zu lenken. Neben der Gefahr durch die Muslimbrüder, brachten die Aufstände in der arabischen Welt aus saudischer Perspektive auch ein Erstarken des Iran mit sich. Die Proteste in Bahrain oder Jemen betrachteten die Saudis als anti-sunnitische, vom Iran oder schiitischen Proxies gesteuerte, die sich gegen die Regierung in Riad richteten. In Syrien, wo sich die Proteste zu einem blutigen Krieg auswuchsen, standen sich Iran und Saudi-Arabien durch ihre jeweiligen Verbündeten – das syrische Regime und die Opposition – gegenüber.
Mit den Aufständen im Nahen Osten änderte sich die Außenpolitik Saudi-Arabiens. Die Strategie des Nicht-Einmischens schien an ihre Grenze gestoßen zu sein.51 Die Golfmonarchie begann nun gezielt, verbündete Regime oder Oppositionelle zu stützen und ließ sich auf Militäreinsätze ein. Die Eindämmung iranischen Einflusses in der Region ist eines der großen Ziele dieser politischen Wende. Mit wechselnden Erfolgen: In Syrien scheint der Kampf gegen Assad und den ihn unterstützenden Iran vorerst verloren. Im Jemen steckt die Golfmonarchie im vierten Jahr in einem nahöstlichen Vietnam fest. Den Ausstieg der USA aus dem »Joint Comprehensive Plan of Action« (JCPOA), der auch als Atomabkommen bekannt ist, verbuchen die Saudis hingegen als Sieg.
Doch nicht ausschließlich Spannungen mit dem schiitischen Iran prägen die saudische Außenpolitik. Spannungen gibt es auch mit sunnitischen Staaten, wie etwa der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar zeigt, der im Zuge des Arabischen Frühlings hochkochte und 2017 eskalierte. Das Ringen der Saudis um die Vorherrschaft im Golfkooperationsrat (GCC) dauert bis heute an, in ihrer gegen Katar gerichteten Politik haben sie auch afrikanische Staaten mobilisiert. Und das Bündnis zwischen Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ist nicht ganz ungetrübt. Nach vier Jahren Krieg im Jemen haben die Emirate keine Ambitionen, ihre Soldaten weiter gegen die Huthi im Norden des Landes kämpfen zu lassen. Ihr primäres strategisches Ziel hingegen ist die Kontrolle über das Bab al-Mandab. Um sich den Einfluss entlang dieser strategisch wichtigen Wasserstraße zu sichern, leisten sie Militärhilfe an die Separatisten im Südjemen, die wiederum die von Riad unterstützte Regierung von Präsident Mansour Hadi bekämpfen. Auch in der Iran-Frage tendieren die Emirate zu einer weicheren Gangart. Nach außen versucht man zu beschwichtigen, doch die Allianz der beiden Golfmonarchien hat Risse bekommen.
Die folgenden Abschnitte beleuchten drei große Felder saudischer Außenpolitik; Riads Position im Atom-Deal mit dem Iran, den Konflikt mit Qatar und die politischen, militärischen und ökonomischen Aktivitäten Riads am Horn von Afrika.
Saudi-Arabien und das Atom-Abkommen
Irans Atomprogramm startete Ende der 1950er, als die USA der Universität in Teheran einen Forschungsreaktor zur Verfügung stellten. 1968 unterzeichnete der Iran den Atomwaffensperrvertrag, dem zufolge das Land Atomenergie ausschließlich zu zivilen Zwecken nutzen dürfe. Mit dem Sturz des Schah und der Islamischen Revolution 1979 fand das Atomprogramm ein vorläufiges Ende. Die USA stellten ihre Lieferung von hoch angereichertem Uran ein und auch der Bau des ersten iranischen Kernkraftwerks nahe der Stadt Buschehr blieb unvollendet, nachdem die deutsche Kraftwerk Union AG ihre Arbeit am Kraftwerk einstellte. In Fahrt kam das Atomprogramm erst wieder nach dem ersten Golfkrieg Ende der 1980er Jahre. Da der Westen nach wie vor seine Unterstützung verweigerte, kooperierte der Iran in seinem Atomprogramm mit China und Pakistan und ab den 1990ern mit Russland.
2002 wurden durch geflüchtete Exiliraner zwei im Bau befindliche Standorte von Nuklearanlagen im Iran bekannt. Eine Anlage zur Anreicherung von Uran in Natanz und eine Produktionsanlage für schweres Wasser in Arak. 2006 verkündete Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad, dass es seinem Land gelungen sei, Uran anzureichern. Im selben Jahr verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1696, wonach Iran sein Programm zur Anreicherung von Uran einzustellen habe. Irans Politiker betonten daraufhin, dass die Forschungen nur friedlichen Zwecken dienen.
In den folgenden zehn Jahren reagierte die internationale Gemeinschaft auf das iranische Atomprogramm mit Gesprächen und Sanktionen, bis im Sommer 2015 nach zweijährigen Verhandlungen mit dem JCPOA ein Entwurf für eine diplomatische Lösung des Atomkonflikts erreicht wurde. Der Iran stimmte einer intensiven Überwachung seines Atomprogramms durch die Internationale Atomenergiebehörde zu, gleichzeitig wurden Sanktionen gegen das Land aufgehoben. Im Oktober 2015 trat JCPOA offiziell in Kraft.52
Saudi-Arabien, das bei den Verhandlungen zum Atom-Abkommen nicht mit am Tisch saß, war mit dem Ergebnis alles andere als zufrieden. Im Vorfeld hatte die Golfmonarchie Millionen US-Dollar für Lobby-Arbeit im US-Kongress und Einschaltungen in US-Medien investiert, um den Atom-Deal zu verhindern.53 Ähnlich wie das »American-Israel Public Affairs Committee« (AIPAC), eine pro-israelische Lobbygruppe, die 30 Millionen US-Dollar in Lobbyarbeit gegen den Deal investiert hatte.54
Die große Sorge Riads war weniger das iranische Atomprogramm. Die Saudis schätzten die Gefahr eines Nuklearschlags durch Teheran gering ein. Viel mehr bereitete ihnen die Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran Kopfzerbrechen. Denn mit dem Erstarken der iranischen Wirtschaft und dem Ende der Isolation erhielt der Iran die finanziellen Mittel und Möglichkeiten, sich und seine Verbündeten im Irak, Syrien und Libanon mit modernen Waffen aufzurüsten. Der Atom-Deal würde in den Augen der Saudis daher die Hegemonie-Bestrebungen Irans befeuern, das seinen geopolitischen Einfluss auf Kosten der Golfmonarchie ausbauen könnte.55
Neben den Möglichkeiten, die der Atom-Deal dem Iran eröffnete, sahen die Saudis auch die Hinwendung der USA zum Iran mit großer Skepsis, die in einer Zeit geschah, als die USA sich schrittweise aus dem Nahen Osten zurückzuziehen begannen. Saudi-Arabien befürchtete daher, dass es sich in Zukunft nicht mehr vorbehaltlos auf die Militärhilfe der USA verlassen könnte. Um seine Abhängigkeit von den USA zu verringern, beschloss Riad daher, in der Außenpolitik unabhängiger zu agieren. Die Militärintervention im Jemen 2015 oder die Gründung der islamischen Militärkoalition zur Bekämpfung von Terrorismus im selben Jahr können vor diesem Hintergrund betrachtet werden.56
Als die USA sich im Mai 2018 aus dem Atom-Abkommen mit dem Iran zurückzogen, war es wenig überraschend, dass Riad die Entscheidung begrüßte.57 Saudi-Arabien mag eine Sorge weniger haben. Für die Region ist mit dem Ende des Atom-Abkommens und den damit verbundene neuen Spannungen jedoch eine weitere Eskalationsstufe erreicht.
Der Katar-Konflikt
Die großen Konfliktlinien in der Region trennen nicht nur den schiitischen Iran vom sunnitischen Saudi-Arabien, wie die Spannungen innerhalb des Golfkooperationsrates (GCC) zeigen. Im Juni 2017 brach Saudi-Arabien, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain, seine diplomatischen Beziehungen zu Katar ab. Die GCC-Mitglieder Kuwait und Oman blieben neutral. Ägypten und einige weitere Staaten außerhalb des GCC brachen ebenfalls ihre offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Doha ab. Die Hauptvorwürfe Saudi-Arabiens gegen Katar lauten auf Unterstützung von Extremismus, Dohas Beziehungen zum Iran und seine Finanzierung des Satellitensenders Al Jazeera.
Al Jazeera ist den Golfmonarchien schon länger ein Dorn im Auge. Gegründet 1996 mit der finanziellen Unterstützung des damaligen Emirs von Katar, entwickelte sich der Satellitensender in den 1990ern rasch zu einem der beliebtesten arabischen TV-Sender weltweit. Es war der erste arabischsprachige Satellitensender, der seinen Sehern Perspektiven außerhalb der zensurierten Staatsmedien eröffnete. Sein Programm wird heute in hundert Ländern ausgestrahlt und erreicht an die 310 Millionen Haushalte. Al Jazeera wurde aber auch schnell zum Feindbild zahlreicher