Reaktion Abu Dhabis auf den Arabischen Frühling fiel deswegen erwartungsgemäß scharf aus. Die Versicherheitlichung des Islamismus mobilisierte in Abu Dhabi enorme Kapazitäten, um die Ausbreitung von pluralistischen Systemen in der Region zu verhindern. Das Narrativ der autoritären Stabilität wurde das Motto der von bin Zayed angeführten Konterrevolution, die seit 2013 versucht, die Errungenschaften des Arabischen Frühlings zunichte zu machen. Die Eindämmung des post-revolutionären Chaos durch die Errichtung von neuen autokratischen Strukturen in Ägypten, Libyen, Jemen und letztlich im Sudan, war der Versuch Abu Dhabis, der katarischen Strategie der Ermächtigung der Massen entgegenzuwirken. Al Fattah as-Sisi in Ägypten, Chalifa Haftar in Libyen, bis zu seinem Tod Ali Abdullah Saleh im Jemen und die Militärjunta im Sudan wurden von Abu Dhabi strategisch aufgebaut, um die Revolutionäre und ihre Agenda zurückzudrängen27.
Als Katar sich 2014 endgültig aus den Abenteuern des Arabischen Frühlings zurückzog, hinterließ Doha eine Lücke, die die VAE zu füllen wussten – seit 2015 auch mit der Unterstützung Saudi-Arabiens, dessen neuer Kronprinz Mohammad bin Salman die emiratischen Narrative seines politischen Ziehvaters bin Zayed ungefiltert übernahm. Die Allianz Riads und Abu Dhabis, die seit der gemeinsamen Invasion des Jemen 2015 immer mehr Form annimmt, hat sich gegen das katarische Narrativ positioniert.28 Die Spaltung des Golfkooperationsrats seit 2017 ist nur eines der Symptome der unterschiedlichen ideologischen Auslegung von Sicherheit am Golf. Die Isolierung Katars wird damit begründet, dass sich Doha nicht der konterrevolutionären Allianz anschließen will. Katars ideelles Narrativ vom Pluralismus in der arabischen Welt ist von Saudi-Arabien und den VAE zu einer Gefahr hochstilisiert worden – einer Gefahr, die jedoch weder von Kuwait noch vom Oman als solche wahrgenommen wird.
Fazit
Die Golfkrise, die seit 2017 den Golfkooperationsrat spaltet, ist demnach weder ein bloßes Egospiel zwischen Herrscherfamilien und Prinzen, noch geht es hier einfach um Macht- und Wirtschaftsinteressen. Die Krise wird zwar oft als die »Katarkrise« dargestellt, ist aber ein Symptom einer viel tiefer sitzenden ontologischen Kluft über die Begriffsbestimmung von Konzepten wie »Sicherheit«, »Bedrohung« und »Gefahr«. Die ideologisierten Narrative vor allem der drei großen Protagonisten des Golfkooperationsrats, Saudi-Arabien, die VAE und Katar, haben dazu geführt, dass nationale strategische Ansätze zu Außen- und Sicherheitspolitik komplett diametral definiert werden, mit Riad und Abu Dhabi auf einer und Doha auf der anderen Seite.
Folglich hat der GCC als kollektive Sicherheitsstruktur ausgedient. Ohne eine realistische Chance auf einen Sicherheitskonsens bricht die wichtigste Säule regionaler Integration weg. Pragmatischer Multilateralismus wich einem ideologisierten Bilateralismus, der speziell von dem saudisch-emiratischen Koordinationsrat verkörpert wird. Der GCC wird wahrscheinlich als Fassade bestehen bleiben, auch um Washington eine Illusion von Kooperation vorzugaukeln, die in der Vergangenheit die Grundlage amerikanischer Aufrüstung der Golfmonarchien gewesen ist. In der Realität haben alle sechs Staaten, vielleicht mit der Ausnahme Bahrains, bereits vor Jahren begonnen, ihre Außen- und Sicherheitspolitik zu diversifizieren. Mit der Verlagerung von Amerikas Interessen in Richtung Pazifik scheint auch die Zukunft der Golfstaaten langfristig in Asien und nicht im Westen zu liegen.
9 Vereinigte Arabische Emirate (VAE), Saudi-Arabien, Katar, Oman, Kuwait, Bahrain.
10 Buzan, B.; Wæver, Ole; de Wilde, Japp. (1998). Security: A New Framework for Analysis. Boulder, CO: Lynne Rienner Publishers. (p. 25).
11 Ulrichsen, K. (2019). Perceptions and Divisions in Security and Defense Structures in Arab Gulf States. In Divided Gulf – The Anatomy of a Crisis, Andreas Krieg (ed.). London: Palgrave. (p.22).
12 Fakhro, M. (1997). The Uprising in Bahrain: An Assessment. In Gary Sick and Lawrence Potter (eds.). The Persian Gulf at the Millennium: Essays in Politics, Economy, Security, and Religion. London: Macmillan.
13 Abdulla, A. (1999). The Gulf Cooperation Council: Nature, Origin, and Process. In Michael Hudson (ed.). Middle East Dilemma: The Politics and Economics of Arab Integration. New York: Columbia University Press (pp. 153-154).
14 Morton, M.Q. (2013). Buraimi: The Struggle for Power, Influence and Oil in Arabia. London: I.B. Tauris.
15 Ulrichsen, K. (2019). Perceptions and Divisions in Security and Defense Structures in Arab Gulf States. In Divided Gulf – The Anatomy of a Crisis, Andreas Krieg (ed.). London: Palgrave. (p.25).
16 Cafiero, G. and Karasik, T. (2017). Kuwait, Oman and the Qatar Crisis. The Middle East Institute, 22 June 2017.
17 Ahady, A.U.H. (1994). Security in the Persian Gulf After Desert Storm. International Journal, 49:2; (1993). The GCC: Alliance Politics. Whitehall Papers, 20:1 (pp. 35–50).
18 Al Jazeera News. (2015). Qatar-Iran Ties: Sharing the World’s Largest Gas Field. Al Jazeera News, 15 June 2017.
19 Krieg, A. (2019). The Weaponization of Narratives amid the Gulf Crisis. In Divided Gulf – The Anatomy of a Crisis, Andreas Krieg (ed.). London: Palgrave. (p.98).
20 Krieg, A. (2017). Socio-political Order and Security in the Arab World. London: Palgrave. (p.107).
21 Krieg, A. (2019). The Weaponization of Narratives amid the Gulf Crisis. In Divided Gulf – The Anatomy of a Crisis, Andreas Krieg (ed.). London: Palgrave. (p.101).
22 Roberts, D. (2017). Qatar and the UAE: Exploring Divergent Approaches to the Arab Spring. Middle East Journal, 71:3 (p. 557).
23 Gause, G. (2011). Why Middle East Studies Missed the Arab Spring—The Myth of Authoritarian Stability. Foreign Affairs, 90:4 (p. 81).
24 Trager, E. (2017). The Muslim Brotherhood Is the Root of the Qatar Crisis. The Atlantic, 2 July 2017
25 Bayoumy, Y. (2013). UAE Islamist Group Had No Desire to Topple Government: Families. Reuters, 2 July 2013.
26 Salem, O. (2013). 94 Emiratis Charged with Compromising UAE Security. The National 28 January 2013.
27 Luck, T. (2019). Why the Arab battle for democracy now runs through Sudan. The Christian Science Monitor, 23 April 2019.
28 Krieg, A. (2019). Divided Over Narratives: The new fault line in the Arab World. Middle East Institute, 24 July 2019.
Heinz Gärtner
Iran und Trump
Einleitung