Selbstinformation des Kaufmanns als Bestandteil seiner Sorgfaltspflichten, zum anderen die Information Dritter – insbesondere derjenigen Personengruppen, die qua Gesetz oder Vertrag Informationsansprüche gegenüber dem Unternehmen haben – ein.22 Auf der anderen Seite hat der Jahresabschluss aber auch gewisse Einblicksgrenzen zu sichern: So sind etwa Kapitalgesellschaften von bestimmten Angabepflichten befreit, wenn das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines der Bundesländer gefährdet ist (§ 286 Abs. 1 HGB) oder das Unternehmen einen erheblichen Nachteil erleiden würde (§ 286 Abs. 2 HGB).
Da für die beiden kardinalen Bilanzzwecke jeweils unterschiedliche Interessen festgestellt werden können (Mindestausschüttung versus Höchstausschüttung; Mindesteinblick versus Höchsteinblick), sind (gesetzgeberische) Wertungen und ihr Nachvollzug nötig. Im geltenden deutschen Bilanzrecht wird der zwischen Gewinnermittlung und Informationsvermittlung bestehende Konflikt mittels der sog. Abkopplungsthese aufgelöst: Vorsichts- oder objektivierungsbedingte Verzerrungen des Gewinns sind bei Kapitalgesellschaften durch zusätzliche Aufgliederung und Erläuterung der Gewinnkomponenten zu heilen.23
Mit Verkündung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) 2009 wurde zwar die Informationsfunktion der handelsrechtlichen GoB durch punktuelle Annäherungen an die IFRS gestärkt, die Ausschüttungsbemessungsfunktion besteht aber nach dem Willen des Gesetzgebers als zentraler „Eckpunkt[.] des HGB-Bilanzrechts“ fort.24
2. System der handelsrechtlichen GoB
a) Normensystem zur Konkretisierung der Gewinnanspruchsermittlung: Gewinnanspruchs-GoB
Es ist die Aufgabe von Regelsystemen der Rechnungslegung, Einzelregelungen den Schutzzwecken der Rechnungslegung entsprechend zu gestalten, um somit das Erreichen des Regelungsziels zu gewährleisten.
Nach § 242 Abs. 1 S. 1 HGB hat der Kaufmann in der Bilanz für jedes Geschäftsjahr „das Verhältnis seines Vermögens und seiner Schulden“ darzustellen; die Bilanz ist folglich eine „Vermögensbestandsrechnung“25. Das sog. Vermögensermittlungsprinzip bestimmt zum einen den bilanziellen Vermögensgegenstands- und Schuldbegriff, zum anderen schließt es den Ansatz reiner Verrechnungsposten, die bei Zugrundelegung der dynamischen Leitidee eine Gewinnglättung herbeiführen sollen, aus.26 Der bilanzielle Gewinn ist i.S.d. statischen Bilanztheorie als Reinvermögensmehrung definiert; er entspricht der Differenz des Reinvermögens zu Beginn und Ende des Geschäftsjahrs.27 Folgeprinzipien des Vermögensermittlungsprinzips sind die Prinzipien fortführungsorientierter, einzelbewertungsorientierter und wirtschaftlicher Vermögensermittlung.
Das Vermögensermittlungsprinzip gilt uneingeschränkt für Eröffnungsbilanzen, d.h. wenn es (ausschließlich) um die Einlagefähigkeit von Vermögensgegenständen geht; für Folgebilanzen, die der Gewinnverteilungs- und Ausschüttungsbemessung dienen, wird es durch das sog. Gewinnermittlungsprinzip eingeschränkt.28 Nach dem Gewinnermittlungsprinzip ist der Gewinn i.S.d. Realisationsprinzips (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) umsatzgebunden zu ermitteln: Dies bedingt zum einen die Ertragsrealisation erst bei quasi-sicherem Zugang des aus Lieferung und Leistung resultierenden Anspruchs auf Gegenleistung, zum anderen die Aufwandsrealisation i.S.d. Zuordnung der Aufwendungen zu den zugehörigen Erträgen auf dem Wege der Ausgabenübertragung.29 Darüber hinaus ist der Gewinn i.S.d. Imparitätsprinzips (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) verlustfrei zu bestimmen: Dies erfordert die Antizipation bereits entstandener, aber noch nicht realisierter Verluste – im Rahmen von gegenseitigen Verträgen durch Bildung von Drohverlustrückstellungen, bei Vermögensgegenständen und Schulden durch außerplanmäßige Abschreibung oder Zuschreibung.30
Durch eine objektivierte Vermögens- und Gewinnermittlung soll subjektives Ermessen und Missbrauchspotenzial eingeschränkt werden.31 Das handelsrechtliche Objektivierungsgebot folgt zum Teil aus dem in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB verankerten Vorsichtsprinzip,32 z.B. die Festlegung der Anschaffungs- und Herstellungskosten als Höchstgrenze bei der Bewertung von Vermögensgegenständen, in anderen Fällen ist hingegen eine zusätzliche Objektivierung erforderlich, bspw. im Zusammenhang mit der Abschreibung.33
b) Normensystem zur Konkretisierung der Informationsvermittlung: Informations-GoB
Die Informations-GoB konkretisieren die Vermittlung von für die Adressaten entscheidungsnützlichen Informationen – in erster Linie für den Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften. Während die Gewinnanspruchs-GoB die handelsrechtlichen Ansatz- und Bewertungsnormen bestimmen, beziehen sich die Informations-GoB in Einklang mit der Abkopplungsthese auf die Gliederung und Erläuterung des bilanziellen Gewinns.34 Nach dem sog. Prinzip indirekter Prognoseorientierung ist der durch Vorsichts- und Objektivierungsprinzip verzerrte einwertige Bilanzgewinn in einen Indikator zukünftiger finanzieller Zielrealisationsmöglichkeiten aufzubereiten.35 Hieraus folgen das Gewinnerläuterungsprinzip, nachdem die Aufwendungen und Erträge so zu gliedern und erläutern sind, dass die resultierende Gewinnhöhe repräsentativ für den in zukünftigen Geschäftsjahren bei in etwa konstanten Umweltbedingungen erzielbaren Gewinn ist.36 Demnach sind z.B. „jeweils der Betrag und die Art der einzelnen Erträge und Aufwendungen von außerordentlicher Größenordnung oder außergewöhnlicher Bedeutung, soweit die Beträge nicht von untergeordneter Bedeutung sind“ (§ 285 Nr. 31 HGB) und die angewandten Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden verpflichtend im Anhang anzugeben (§ 284 Abs. 2 Nr. 1 HGB). Das sog. Liquiditätserläuterungsprinzip soll – bspw. durch grobe Gliederung der Verbindlichkeiten nach Laufzeiten (§ 285 Nr. 1a) HGB) – Aufschluss über die langfristige Zahlungs- und Schuldendeckungsfähigkeit des Unternehmens geben.37
Darüber hinaus gebietet das Prinzip direkter Prognoseorientierung für Kapitalgesellschaften die subjektive Einschätzung der im Informationsinteresse stehenden Zahlungsstromerwartungen im Lagebericht (§ 289 HGB). Konkret hat die Geschäftsführung die zukünftige Entwicklung – bspw. der relevanten Beschaffungs- und Absatzmärkte – einzuschätzen (Umweltzustandsprognose), die vorgesehenen Unternehmensstrategien für diese Umweltentwicklungen aufzuzeigen (Geschäftsführungsdispositionsprognose) und eine direkte Zielstromprognose durch Gewinnzuweisungs- und Gewinnverteilungsschätzungen zu geben.38
Große kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften, die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen, haben den Lagebericht um eine nichtfinanzielle Erklärung zu erweitern (§ 289b Abs. 1 HGB), in der u.a. auf Umweltbelange, Arbeitnehmerbelange, Sozialbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung einzugehen ist (§ 289c Abs. 2 HGB).39 Unter bestimmten Bedingungen kann die nichtfinanzielle Erklärung auch als vom Lagebericht unabhängiger Bericht veröffentlicht werden (§ 289b Abs. 3 HGB).
c) Systemcharakter
Die handelsrechtlichen GoB sind nur zum Teil explizit gesetzlich verankert („geschriebene“ GoB), z.B. das Vorsichts-, Realisations- und Imparitätsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Die „ungeschriebenen“ GoB, bspw. die Vermögensgegenstandskriterien, werden durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) durch Ableitung aus den „oberen“ GoB konkretisiert.40 „Das Ergebnis der Rechtsfortbildung muß dergestalt sein, daß es sich widerspruchsfrei, insbesondere ohne Wertungswidersprüche, in diesem Sinne also ‚organisch‘ in das System der GoB einfügt.“41
Hieraus hat sich ein „anerkannte[s] Grundgefüge[.] von sich wechselseitig ergänzenden und beschränkenden Fundamentalprinzipien, Folgeprinzipien und Einzelnormen“ gebildet.42 Aufgrund des teilweise zwischen übergeordneten GoB bestehenden Konflikts, bspw. zwischen dem Realisationsprinzip und Objektivierungsgebot bei der Abschreibung von Vermögensgegenständen, hat der BFH im Rahmen der Konkretisierung von GoB Wertungsentscheidungen zu treffen.43
Das aus geschriebenen und ungeschriebenen Grundsätzen bestehende System der handelsrechtlichen GoB ist aufgrund seines normativen Charakters „lückenlos“;44 es ist andererseits aber auch „offen“, weil „Änderungen sowohl in der Art des Zusammenspiels der Prinzipien, in ihrer Reichweite und