in keinem IFRS eine konkret anwendbare Regel wiederfindet. IAS 8 „Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden, Änderungen von Schätzungen und Fehler“ bestimmt in diesen Fällen, dass „das Management in eigenem Ermessen darüber zu entscheiden [hat], welche Rechnungslegungsmethode zu entwickeln und anzuwenden ist“ (IAS 8.10). Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung ist das Management allerdings – wie auch das IASB bei der Standardsetzung – an die grundlegenden qualitativen Anforderungen des Rahmenkonzepts sowie die dort ebenfalls verankerten allgemeinen Definitionen, Ansatzkriterien und Bewertungskonzepte für Jahresabschlussposten gebunden (IAS 8.10 und IAS 8.11(b)). Berücksichtigungspflichtig sind weiterhin Regelungen in Standards oder Interpretationen, die sich auf ähnliche oder verwandte Sachverhalte beziehen (IAS 8.11(a)). Man wird diesen vermeintlichen Beschränkungen des unternehmerischen Ermessens nicht allzu viel Bedeutung beimessen dürfen. Ursächlich hierfür ist zum einen, dass die Grundsätze im Rahmenkonzept aufgrund ihrer Auslegungsoffenheit und unklaren Gewichtung nicht zur „Ableitung von Einzelregelungen […] im logischen Sinne, sondern nur [zu] einer Überprüfung im Sinne der Aussage, die Einzelregelung erscheint mit dem Rahmenkonzept als nicht gänzlich unvereinbar“121 geeignet sind. Zum anderen sind die IFRS-Regeln zu verwandten Sachverhalten teilweise inkonsistent, sodass dem Bilanzierenden bei der Regelungslückenschließung gewisse Argumentationsspielräume eröffnet werden.
Schließlich hat der Bilanzierende nach IAS 8.12 die Möglichkeit (aber nicht die Pflicht), auf „die jüngsten Verlautbarungen anderer Standardsetter, […] sonstige Rechnungslegungs-Verlautbarungen und anerkannte Branchenpraktiken“ zurückzugreifen, sofern sich kein Widerspruch zum Rahmenkonzept oder anderen IFRS erkennen lässt. In der Bilanzierungspraxis durchaus verbreitet ist der Rückgriff auf die im Vergleich zu den IFRS deutlich detaillierteren US-GAAP.122
3. Anwendung auf den Fall
a) Feststellung des für das Bilanzierungsproblem der M einschlägigen Standards
Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Problem der Erfassung von Erträgen (income). Weil es sich bei Beteiligungsverhältnissen nicht um Verträge mit Kunden gemäß der Definition des IFRS 15 handelt und zudem Erträge, die im Zusammenhang mit nach IFRS 9 geregelten Finanzinstrumenten anfallen, vom Anwendungsbereich des IFRS 15 explizit ausgeklammert werden (IFRS 15.5(c)), kommt jedoch der allgemeine Standard zur Erfassung von Erlösen („revenues“) IFRS 15 „Erlöse aus Verträgen mit Kunden“ nicht zur Anwendung. Einschlägig für die Erfassung von Erträgen aus Beteiligungen ist grundsätzlich IFRS 9 „Finanzinstrumente“.123
b) Analyse des Wortlauts des IFRS 9 „Finanzinstrumente“ in Bezug auf das Bilanzierungsproblem der M
IFRS 9 regelt innerhalb der Vorschriften für die Erfassung von Gewinnen und Verlusten (gains and losses) explizit die Vereinnahmung von Dividenden. Danach sind Dividenden erfolgswirksam zu erfassen, wenn „der Rechtsanspruch des Unternehmens auf Zahlung der Dividende besteht“ und zudem der Zufluss des wirtschaftlichen Nutzens wahrscheinlich sowie die Dividendenhöhe verlässlich bewertbar ist (IFRS 9.5.7.1A).
Entsprechend dem eindeutigen, keine Zweifel zulassenden Wortlaut ist eine phasengleiche Dividendenvereinnahmung nach IFRS zum Bilanzstichtag der M zunächst zu verneinen: Der Rechtsanspruch auf Zahlung entsteht mit dem Gewinnverteilungsbeschluss von T erst nach dem Abschlussstichtag von M. Dem entspricht es im Übrigen, wenn IFRS 9 den Ansatz von unbedingten Forderungen an die Voraussetzung knüpft, dass „das Unternehmen Vertragspartei wird und infolgedessen das Recht auf Empfang […] von Zahlungsmitteln hat“ (IFRS 9.B3.1.2 a) i.V.m. IFRS 9.3.1.1).
Gerade weil nach IFRS das Objektivierungsprinzip in einigen Bereichen, bspw. der Umsatzerfassung bei langfristigen Fertigungsaufträgen,124 zurückgedrängt wird, überrascht die strikt formalrechtliche Ausgestaltung der Erfassungskriterien für Dividendenforderungen bzw. -erträge. Nun wird bei einer fallgruppenorientierten Rechnungslegungsordnung wie den IFRS zwar eine Konsistenz der Kriterien weder zu erwarten noch zwingend gewünscht sein – dennoch wurde in der deutschsprachigen Literatur in der Vergangenheit untersucht, welche anderen Standards oder Prinzipien zu einem befriedigenderen Ergebnis in wirtschaftlicher Hinsicht i.S. einer phasengleichen Dividendenvereinnahmung analog zu den handelsrechtlichen GoB führen könnten. Hierbei wurden insbesondere die Standards zur Wertaufhellung (IAS 10) und zum Gebot der Fair Presentation (IAS 1)125 sowie der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise (substance over form, RK.2.12) herangezogen.
c) Berücksichtigung von Literaturmeinungen als Erkenntnisquelle bei der Lösung des Bilanzierungsproblems der M
aa) Wertaufhellung nach IAS 10
Einzelheiten der Wertaufhellung nach IFRS sind in IAS 10 „Ereignisse nach dem Bilanzstichtag“ geregelt. Es werden zwei Arten von „Ereignissen“ nach dem Abschlussstichtag unterschieden: „Ereignisse, die weitere substanzielle Hinweise zu Gegebenheiten liefern, die bereits am Abschlussstichtag vorgelegen haben“ (IAS 10.3 (a)), sind auf den Abschlussstichtag zurückzubeziehen und berücksichtigungspflichtig. Davon zu unterscheiden sind „Ereignisse, die Gegebenheiten anzeigen, die nach dem Abschlussstichtag eingetreten sind“ (IAS 10.3(b)); diese sind nicht zu berücksichtigen.
Die viel Interpretationsspielraum lassenden Wortlaute versucht IAS 10 insbesondere auch anhand von Beispielen zu konkretisieren, die insgesamt die Unterschiede zu den handelsrechtlichen GoB deutlich machen.126 Als wertveränderndes, nicht berücksichtigungsfähiges Ereignis gilt etwa „das Sinken des beizulegenden Zeitwerts von Finanzinvestitionen“ (IAS 10.11); demgegenüber ist, durchaus „in Übereinstimmung mit handelsrechtlichen GoB“127, als wertaufhellend für die Verhältnisse am Abschlussstichtag „das nach dem Abschlussstichtag eingeleitete Insolvenzverfahren eines Kunden [anzusehen], das im Regelfall bestätigt, dass am Abschlussstichtag ein Wertverlust einer Forderung aus Lieferungen und Leistungen vorgelegen hat und dass das Unternehmen den Buchwert der Forderung aus Lieferungen und Leistungen anzupassen hat“ (IAS 10.9(b)(i)).
Hinsichtlich der Aktivierung von Dividendenansprüchen findet sich keine Konkretisierung bezüglich der Wertaufhellung in IAS 10. Allerdings ist die Frage der Passivierung von Verpflichtungen zur Dividendenzahlung ausdrücklich geregelt: „Wenn ein Unternehmen nach dem Abschlussstichtag Dividenden für Inhaber von Eigenkapitalinstrumenten […] beschließt, darf das Unternehmen diese Dividenden zum Abschlussstichtag nicht als Schulden ansetzen“ (IAS 10.12).
Im Münchener Kommentar zum Bilanzrecht wird argumentiert, dass „[s]piegelbildlich“ zur Verneinung einer Wertaufhellung im Fall der Passivierung eine Wertaufhellung im Sinne der phasengleichen Aktivierung von Dividendenforderungen auszuschließen sei,128 auch wenn die IFRS kein dem deutschen Bilanzrecht vergleichbares Prinzip „imparitätischer Objektivierung“129 kennen.
bb) Gebot der Fair Presentation nach IAS 1
In IAS 1 „Darstellung des Abschlusses“ wird unter der Überschrift „Allgemeine Merkmale“ die Möglichkeit eines Abweichens von Einzelnormen diskutiert. Dort heißt es, der Abschluss habe „die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie die Cashflows eines Unternehmens den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend darzustellen“ (IAS 1.15). Erfüllt wird dies annahmegemäß „[u]nter nahezu allen Umständen“ bei „Anwendung der IFRS, gegebenenfalls um zusätzliche Angaben ergänzt“ (IAS 1.15 i.V.m. IAS 1.17). In nur „äußerst seltenen Fällen“ kann „die Einhaltung einer in einem IFRS enthaltenen Vorschrift so irreführend [sein …], dass sie zu einem Konflikt mit den im Rahmenkonzept dargestellten Zweck führen würde“; dann sei ein Abweichen geboten, sofern die „geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen“ dies nicht verbieten (IAS 1.19). Da nach herrschender Literaturmeinung bei der IFRS-Anwendung von in Deutschland ansässigen Unternehmen in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht das deutsche Handelsrecht, sondern die EU-Bilanzrichtlinie gemeint ist, gilt ein Abweichen von IFRS-Einzelvorschriften für deutsche Unternehmen