Christoph Hülsmann

Initiale Topiks und Foki im gesprochenen Französisch, Spanisch und Italienisch


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dieser zwischen Gegebenheit und (De-)Akzentuierung zu beobachtenden Korrelationen wurde für das Deutsche und Englische folgende Skala zum Zusammenspiel zwischen Aktivierungsgrad, Akzenttyp und Akzentstärke vorgeschlagen. (cf. Baumann 2006a, 163)

      Abb. 13: Relation between activation degree, accent type and accent strength in German and English (Baumann 2006a, 163)

      Baumann und Riester (2012) differenzieren die referenzielle Gegebenheit (r-given), die sich durch die Präsenz entsprechender koreferenter Antezedenzien auszeichnet, von der Gegebenheit lexikalischen Materials (l-given). Die drei folgenden Hypothesen zur Deakzentuierung von Konstituenten überprüften die Autoren anhand eines kleinen deutschen Korpus von gesprochener und gelesener Sprache. (cf. Baumann/Riester 2012, 146–147)

      1 Gegebene Referenten (r-given), die mit gegebenem lexikalischem Material (l-given) enkodiert werden, werden deakzentuiert.

      2 Gegebene Referenten (r-given), die mit neuem lexikalischem Material (l-new) enkodiert werden, werden deakzentuiert.

      3 Neue Referenten (r-new), die mit gegebenem lexikalischem Material (l-given) enkodiert werden, werden deakzentuiert.

      Hypothese (i) ließ sich für die gelesene Sprache bestätigen (71 % der Konstituenten erhielten keinen Pitch-Akzent, nur 5 % einen Nuklearakzent), während in spontan gesprochener Sprache nur 17 % der betreffenden Konstituenten deakzentuiert wurden. Hypothese (ii) ließ sich weder für die gelesene noch für die gesprochene Sprache bestätigen. Hier wurden nur 24 % bzw. 18 % der referenziell gegebenen und lexikalisch neuen Konstituenten deakzentuiert.33 Auch Hypothese (iii) konnte nicht verifiziert werden. Nur 10 % bzw. 31 % der Konstituenten, die als r-new und l-given klassifiziert werden können, wurden deakzentuiert. Mit 100 % bzw. 96 % bestätigt wurde in erster Linie die Akzentuierung von Konstituenten, die sowohl referenziell als auch lexikalisch neu sind. (cf. Baumann/Riester 2012, 149–150) Die Autoren ziehen das Fazit, dass eine grundlegende Subkategorisierung der Dimension der Gegebenheit von Information in referenzielle und lexikalische (Nicht-)Gegebenheit zwar notwendig ist, dass für die Analyse der konkreten Distribution von Akzenten jedoch auch weitere Kategorien wie Fokus unverzichtbar sind.34 (cf. Baumann/Riester 2012, 152)

      Dies wird vor allem in Beispielen von Typ (33) deutlich, in denen der Fokus als auf die W-Frage antwortendes Element auch dann den Akzent trägt, wenn er auf eine bereits aktivierte Entität verweist. Zulässig ist an dieser Stelle die Frage, ob die Konstituente Mary in (33) den Akzent tatsächlich aufgrund ihres fokalen Status erhält oder ob die Kontrastivität, die durch die zuvor erfolgte explizite Nennung der Alternative Anne bedingt ist, dafür verantwortlich ist. Denn auch in den weiteren Beispielsätzen, die in der Literatur zu finden sind, weisen die akzentuierten gegebenen Fokuskonstituenten in der Regel einen kontrastiven Wert auf, wie etwa jene in (34).35

(33) en. Did you call Mary or Anne? – I called MAry. (Baumann 2006b, 89)
(34) en. John called Mary a Republican and then SHE insulted HIM. (cf. Baumann 2006a, 164)

      Festgehalten werden kann an dieser Stelle, dass offensichtlich folgende zwei Prinzipien hinsichtlich der Akzentuierung von Konstituenten konkurrieren:

      1 Fokus wird akzentuiert

      2 Gegebenes wird deakzentuiert36

      Bei Äußerungen mit weitem Fokus ergibt sich meist insofern keine Konkurrenzsituation zwischen den beiden Prinzipien, als der Satz entweder ausschließlich aus neuen Konstituenten (all new-Satz) oder aus einer Kombination aus gegebenen und neuen Elementen besteht, sodass in letzterem Fall (eine) jene(r) Konstituente(n) akzentuiert werden kann, die nicht gegeben ist (sind). Sätze mit engem Fokus, in denen nur eine Fokuskonstituente zur Verfügung steht, sind dann „problematisch“, wenn diese Konstituente gleichzeitig gegeben ist. Dies ist offensichtlich vor allem in kontrastiven Kontexten zutreffend. Dass in diesen Fällen die Fokuskonstituente akzentuiert wird, kann durch die höhere Wertigkeit von Prinzip (i) gegenüber Prinzip (ii) erklärt werden.37 Andere Akzentuierungen in Äußerungen mit engem Fokus, wie etwa die Akzentuierung einer gegebenen Konstituente des Hintergrunds, würden nicht nur eines der Prinzipien, sondern beide verletzen. Dieser Ansicht ist auch Baumann (2006), dessen Erklärung für die Akzentuierung von Fokus wie folgt lautet:

      The main property of focus accents is that they can be assigned to virtually every constituent in an utterance irrespective of its degree of activation, since their assignment only depends on the intentions of the speaker. In other words, focus prosody ‚overrides‘ activation prosody. (Baumann 2006a, 164)

      Ungeachtet der Auswirkungen der (Nicht-)Gegebenheit auf die Akzentuierung von Konstituenten wird dementsprechend heutzutage bei Sprachen mit Pitch-Akzenten davon ausgegangen, dass diese tatsächlich auch zur Markierung von Topiks und Foki genutzt werden. (cf. Féry/Krifka 2008, 10) Vor allem die Verbindung zwischen Fokus und Nuklearakzent ist für viele Autoren, wie etwa für Dahl (1974, 2), eindeutig: „[…] I have so far not seen any language which would be an exception to the rule that the focus of a sentence is normally the carrier of the main sentential stress.“38

      Manche Autoren sprechen sich jedoch gegen die Annahme eines stabilen Zusammenhangs zwischen Fokus und (Satz-)Akzent aus.39 Féry und Krifka (2008) führen Beispielsätze an, in denen Fokus und Akzent nicht gemeinsam auftreten. Den Autoren zufolge betrifft das zum einen Sätze von Typ (35), in denen ein eigentlich obligatorisch akzentuierter (und fokaler) intensifier (herself) nicht akzentuiert wird, um die unmittelbare Abfolge zweier Akzente (en. stress clash) zu vermeiden. Eine fehlende Korrelation zwischen Akzent und Fokus postulieren die Autoren auch bei einem bereits vorerwähnten Fokus (en. second occurrence focus, SOF) wie jenem in (36). (cf. Féry/Krifka 2008, 9–10)

(35) en. Marie-Louise even grows RICE herself.
(36) en. (Everyone already knew that Mary only eats [vegetables]F.) If even [Paul]F knew that Mary only eats [vegetables]SOF, then he should have suggested a different restaurant. (Féry/Krifka 2008, 10)

      Beaver und Velleman (2011) hingegen stellen sehr wohl einen Akzent auf dem SOF fest. Die Nuklearakzente in (36) befinden sich ihnen zufolge auf Paul bzw. auf restaurant. Als bereits gegebener Fokus weist vegetables im Vergleich dazu einen sekundären Akzent auf. Diese Akzentuierung erklären die Autoren mit einem Punktesystem. Paul ist nicht nur neue, unvorhersehbare Information (1 Punkt), sondern auch kontrastiv (1 Punkt), während vegetables als alte und vorhersehbare Information „nur“ aufgrund der Präsenz der fokussensitiven Partikel only von Relevanz für eine prosodische Markierung ist (1 Punkt). Da sich beide Konstituenten innerhalb ein- und derselben Intonationsphrase befinden, konkurrieren sie um die Akzentuierung. Paul setzt sich mit 2 Punkten gegen vegetables (1 Punkt) durch. (cf. Beaver/Velleman 2011, 1675) Auch beim SOF kann demnach die Nicht-Realisierung des Satzakzents unter anderem durch den Einfluss der Gegebenheit erklärt werden.40

      Zweifellos sind die beiden Beispiele (35) und (36) wegen der Präsenz von fokussensitiven Operatoren (even, only) bzw. eines intensifier (herself) als Spezialfälle zu werten, die einer eigenen, eingehenderen Analyse bedürfen. Für Féry (2010a, 12) liefern die Sätze dennoch ausreichende Evidenz gegen eine „enge und notwendige Verbindung zwischen Fokus und Akzent oder Topik und Akzent“. Die Autorin sieht andere, vor allem syntaktische Kriterien als ausschlaggebend für die Akzentuierung an.

      Die Frage, inwieweit tatsächlich von einer (direkten) Verbindung zwischen der Prosodie und der Syntax ausgegangen werden kann, soll im nächsten Kapitel diskutiert werden.

      3.3 Prosodie und Syntax

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