Christoph Hülsmann

Initiale Topiks und Foki im gesprochenen Französisch, Spanisch und Italienisch


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Informationsstruktur kommt es jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Beitrag des deutsch-französischen Philologen Henri (geb. Heinrich) Weil, der Wortstellungsvariationen von Sprachen – am Beispiel des Lateinischen – durch die „succession des idées“ (Weil 1844, 5) erklärt. Weil zufolge muss die Abfolge der Wörter im Satz grundsätzlich mit der Reihenfolge der Gedanken des Sprechers übereinstimmen. Mit anderen Worten ausgedrückt, ist für ihn die Wortstellung von der Informationsstruktur abhängig und ihr damit in gewissem Maße untergeordnet: „[L]’ordre des mots doit correspondre à l’ordre des idées or, pour lui correspondre, si celui-ci change et se renverse, il doit aussi changer et se renverser.“ (Weil 1844, 52) Gleichzeitig weist Weil darauf hin, dass sich Informationsstruktur und Grammatik durchaus auch gegenseitig beeinflussen: „Toutefois dans beaucoup de langues, sinon dans la plupart, la syntaxe et l’ordre des parties de la proposition marchent de front, se déterminent mutuellement.“2 (Weil 1844, 53) Die Zweiteilung des Satzes, auf die Weil in der Folge hinweist, nimmt bereits die zum Teil heute noch gängigen Definitionen der Begriffe Topik und Kommentar3 vorweg:

      Il y a donc un point de départ, une notion initiale, qui est également présente et à celui qui parle et à celui qui écoute, qui forme comme le lieu où les deux intelligences se rencontrent et une autre partie du discours, qui forme l’énonciation proprement dite: cette division se retrouve dans presque tout ce que nous disons. (Weil 1844, 25)

      Mit Ammann (1928), der in seinem Beitrag der Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sprechen nachgeht, wird die Relevanz des Hörers im Zuge einer Äußerung noch stärker berücksichtigt. Ammann verwendet den Begriff Thema, um den Gegenstand einer Mitteilung zu bezeichnen, und schlägt den Terminus Rhema zur Bezeichnung dessen vor, was dem Hörer über das Thema mitgeteilt wird.4 (cf. Ammann 1928, 3) Er weist unter anderem darauf hin, dass Thema und Rhema nicht zwangsläufig mit den grammatischen Kategorien Subjekt bzw. Prädikat korrelieren.5 (cf. Ammann 1928, 22)

      Die Systemhaftigkeit, mit der der Gegenstandbereich der Informationsstruktur im 20. Jahrhundert erforscht wird, ist vor allem auf die strukturalistischen Arbeiten der Prager Schule zurückzuführen. (cf. Gabriel/Müller 2013, 123) Einer ihrer wichtigsten Vertreter, der direkt auf Weil Bezug nimmt, ist Mathesius. Er prägt, ähnlich wie Ammann, die Begriffe Thema als „Basis der Äußerung“ und Rhema als jenes Element, das eine Aussage über die Basis macht, und das somit auch als „Kern der Äußerung“ bezeichnet werden kann. (cf. Mathesius 1975 [11961], 81) Die Strukturierung eines Satzes in Thema und Rhema nennt Mathesius funktionale Satzperspektive, da sie – so sein Grundgedanke – von einem funktionalen Zugang des Sprechers bestimmt ist.6 (cf. Mathesius 1975, 82)

      Obwohl auch Mathesius auf einer grundsätzlichen Trennung zwischen der funktionalen und der grammatischen Dimension von Sprache insistiert, lassen sich auf einzelsprachlicher Ebene ihm zufolge durchaus Korrelationen beobachten. (cf. Mathesius 1975, 84) Für das (Neu-)Englische etwa stellt der Autor zwei Korrelationen fest. Zum einen wird hier das Subjekt bevorzugt präverbal realisiert, zum anderen weist es meist eine thematische Funktion auf. Dem Deutschen schreibt Mathesius eine vergleichsweise weniger stark ausgeprägte Tendenz zur Kodierung des Themas als Subjekt zu.7 (cf. Mathesius 1964, 64–66)

      In Anlehnung an die Arbeiten von Mathesius prägt Firbas in den 60er Jahren den Begriff der kommunikativen Dynamik. Elemente eines Satzes können ihm zufolge einen höheren oder weniger hohen Grad an kommunikativer Dynamik aufweisen. Bestimmt wird der Grad für Firbas durch „the extent to which the sentence element contributes to the development of the communication, to which it ‚pushes the communication forward‘ […]“ (Firbas 1964, 270). Dieses Kriterium nimmt Firbas als Grundlage für seine Definition des Themas, das er als jenes Element im Satz identifiziert, das den geringsten Grad an kommunikativer Dynamik aufweist. (cf. Firbas 1964, 272) Firbas betont, dass der Grad der kommunikativen Dynamik eines Elements nicht mit seinem Status als neue oder alte Information im Diskurs gleichgesetzt werden darf. Auch wenn neue Information offensichtlich kommunikativ dynamischer als alte, bereits gegebene Information ist, sind für ihn auch in einem sogenannten all-new-Satz, also einem Satz, der ausschließlich aus neuer Information besteht, unterschiedliche Grade an kommunikativer Dynamik zu beobachten. Folglich kann auch neue Information als das Thema eines Satzes fungieren. (cf. Firbas 1964, 270–272) In späteren Beiträgen differenziert Firbas den nicht thematischen Teil einer Äußerung in rheme und transition, wobei letzteres Element hinsichtlich seines Grads an kommunikativer Dynamik zwischen dem Thema und dem Rhema einzuordnen ist. (cf. Firbas 1982, 98–99) Mit dieser weiteren Unterscheidung werden die ursprünglich diskreten Begriffe Thema und Rhema zu graduellen. (cf. Casielles-Suárez 2004, 17–18)

      Firbas’ Ansatz wurde vor allem aufgrund seines Begriffs der kommunikativen Dynamik kritisiert. Auf dessen eingeschränkte Operabilität weist etwa Sgall (2003, 280–281) hin, der an der grundlegenden Idee des Terminus in informationsstrukturellen Analysen dennoch festhalten will. Für Contreras (1976) hingegen ist Firbas’ Zugang zu arbiträr. Er plädiert dafür, Mathesius’ ursprüngliche Differenzierung in Thema und Rhema zu bewahren, die Termini jedoch neu, basierend auf der – wiederum diskreten – Unterscheidung zwischen neuer und gegebener Information, zu definieren. (cf. Contreras 1976, 16)

      Spätestens an dieser Stelle manifestiert sich die terminologische Problematik innerhalb der Informationsstruktur. Die zahlreichen Begriffe, die in der Literatur zur Bezeichnung informationsstruktureller Einheiten zu finden sind, wurden und werden immer noch mit zum Teil höchst unterschiedlichen Definitionen verwendet. Der Hauptgrund für diese konfuse terminologische Situation liegt darin, dass im Laufe der Beschäftigung mit Informationsstruktur immer wieder neue Begriffe und Begriffspaare eingeführt wurden, die sich aber nur zum Teil auf tatsächlich neu differenzierte informationsstrukturelle Dimensionen bezogen. Die Begriffe selbst wurden zum Teil unterschiedlich – etwa je nach syntaktischem oder prosodischem Schwerpunkt der Analysen – definiert. (cf. Musan 2010, 59–60) Grundlage der Definitionen zentraler Termini waren damit neben funktionalen auch formale Kriterien, aber auch reine Korrelate. (cf. Molnár 1991, 11) Darüber hinaus wurden bereits bestehende Begriffe immer wieder zu neuen Begriffspaaren kombiniert.8 (cf. Musan 2010, 60)

      Auch heute ist der terminologische status quo innerhalb der Informationsstruktur noch dermaßen uneinheitlich, dass letztendlich jedem Beitrag zur Thematik konkrete Definitionen der zentralen Termini vorangehen müssen, wenn das Verständnis für den Leser gewährleistet werden soll. De facto werden die Termini, wie Casielles-Suárez (2004, 15) anmerkt, aber oft stillschweigend vorausgesetzt, als ob es allseits anerkannte Definitionen gäbe.9

      Ein grundsätzlicher Konsens besteht heute für viele Autoren darin, dass sich die Informationsstruktur aus drei Dimensionen zusammensetzt.10 Die erste Dimension betrifft den vom Sprecher beim Hörer angenommen Status von Referenten in dessen Bewusstsein bzw. Gedächtnis. Je nach Status können die einzelnen Bestandteile von Äußerungen auf Satz-, vor allem aber auch auf Diskursebene allgemein als neue, gegebene oder inferierbare Information klassifiziert werden. Die zweite Dimension, jene der Topik-Kommentar-Gliederung, bezieht sich auf die grundlegenden Strukturierungsmöglichkeiten, über die ein Sprecher auf Satzebene verfügt. Die Ebene der Fokus-Hintergrund-Gliederung schließlich betrifft die Markierung der aus informationeller Sicht besonders relevanten Teile der Äußerung bzw. die Nicht-Markierung von weniger relevanten (Hintergrund-)Informationen.

      Ebenfalls relativ unbestritten ist die Erkenntnis, dass im Zuge von informationsstrukturellen Analysen auch den Differenzen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache Rechnung getragen werden muss.11 Dass die diamesischen Unterschiede nicht zuletzt die Informationsstruktur betreffen, stellt etwa Klein (2012, 105) fest: „[T]he information flow is different in spoken interaction.“ In diesem Zusammenhang weitestgehend akzeptiert ist auch die Ansicht, dass die Informationsstruktur das Primat über die Wortstellung innehat, und zwar insofern, als sie zu Veränderungen der kanonischen, d.h. syntaktisch unmarkierten Abfolge von Wörtern im Satz führen kann.12 (cf. Helfrich/Pöll 2012, 340–341) „Ob ein neutrales oder markiertes syntaktisches Muster aktiviert wird, hängt von der jeweiligen Zuweisung der Informationsrollen durch den Sprecher im konkreten Diskurskontext ab.“13 (Helfrich/Pöll 2012, 341)

      Darüber hinaus lässt sich im Bereich der Informationsstruktur