Christoph Hülsmann

Initiale Topiks und Foki im gesprochenen Französisch, Spanisch und Italienisch


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im Vergleich zu den weiteren Dimensionen von Sprache nicht immer unumstritten. Während etwa manche Anhänger der Prager Schule – in Anlehnung an die Arbeiten von Daneš und Firbas – die Organisation einer Äußerung als dritte, eigenständige Strukturierungsebene neben der syntaktischen und semantischen Struktur von Sätzen verstehen14, wird die Informationsstruktur von anderen aufgrund ihrer potenziellen Auswirkungen auf den Wahrheitsgehalt von Aussagen innerhalb der Semantik verortet.15 (cf. Molnár 1991, 17) In generativen Ansätzen wiederum werden informationsstrukturelle Kategorien wie Topik und Fokus in der Regel auf der Ebene der Syntax analysiert.

      Das Zusammenspiel zwischen der Informationsstruktur und den weiteren Dimensionen von Sprache soll in Kapitel 3 näher beleuchtet werden. Zuvor jedoch sollen die Unterkapitel 2.2–2.4 einen umfassenden Überblick über die drei genannten informationsstrukturellen Ebenen, ihre zentralen Begriffe und die damit verbundenen problematischen Aspekte geben.

      2.2 Informationeller Status von Referenten

      Der informationelle Status, den Referenten von Konstituenten für die Gesprächsteilnehmer in einer bestimmten Kommunikationssituation aufweisen, hat in der Regel Auswirkungen auf morphologischer, prosodischer1 und zum Teil auch syntaktischer2 Ebene von Äußerungen. Geht ein Sprecher etwa davon aus, dass ein gewisser Referent3 für den Hörer in einer Gesprächssituation salient – d.h. leicht wahrnehmbar – ist, wird er sich im Zuge seiner Äußerung mit großer Wahrscheinlichkeit dazu entscheiden, ihn wie in Satz (1) mit einem definiten Artikel zu kodieren. (cf. Musan 2010, 1)

(1) dt. Ich habe gestern den Strumpf gestopft. (Musan 2010, 1)

      Erwähnt ein Sprecher einen im Diskursuniversum des Hörers (noch) nicht gegebenen, d.h. neuen Referenten, verfügt er über verschiedene Möglichkeiten diesen einzuführen. Im Deutschen kann er eine präsentative Struktur in Verbindung mit einem definiten Artikel verwenden (2), den Referenten durch einen indefiniten Artikel einführen (3) oder auf eine explizite Einführung verzichten und den Referenten damit stillschweigend, oft aufgrund von allgemeinem Weltwissen, präsupponieren. Wie der letzte Satz der Sequenz (4) zeigt, ist auch in diesem Fall die Einführung des Referenten (hier: von Schule) mit dem definiten Artikel möglich.4 (cf. Musan 2010, 4–6)

(2) dt. Das ist die Mini.
(3) dt. Auf Burg Eulenstein haust ein kleines Gespenst.
(4) dt. Die Mini ist ein sehr großes Mädchen. Früher hat sie sich für ihre „Überlänge“ geniert. Aber seit sie in die Schule geht, ist das anders. (Musan 2010, 6)

      Ist ein Referent in den Diskurs eingeführt worden, ist in der Folge ein Rückbezug auf ihn möglich. (cf. Musan 2010, 7) In vielen Sprachen kann es als Normalfall angesehen werden, dass eine Einheit zunächst durch eine lexikalische Nominalphrase eingeführt und anschließend – je nach Sprache – durch anaphorische Pronomen oder Nullpronomen fortgeführt wird. Wird der Referent jedoch über einen gewissen Zeitraum hinweg nicht mehr erwähnt, hat dies zur Konsequenz, dass er nicht mehr im Bewusstsein der Kommunikationspartner ist, weshalb eine neuerliche Bewusstmachung oft wieder eine volle Nominalphrase als semantisch reichere Form erfordert.5 (cf. Downing 1995, 12)

      Um im Zuge von informationsstrukturellen Analysen neue Einheiten im Satz zu identifizieren, wird häufig auf den Fragetest zurückgegriffen.6 Diesem liegt die Annahme zugrunde, dass W-Fragesätze jene Elemente erfragen, die in den jeweils adäquaten Antworten eindeutig als neue Information auftreten.7 (cf. Musan 2010, 18) Da Sprecher auf eine Frage jedoch nicht immer nur in einem Satz oder mit einer einzelnen Konstituente wie in (5), sondern auch in mehreren zusammenhängenden Sätzen wie in (6) antworten8, wurde mit dem Quaestio-Modell ein Ansatz vorgeschlagen, der davon ausgeht, dass ein solcher Text nicht nur tatsächlich realisierte, sondern auch implizite Fragen beantwortet.9 (cf. Musan 2010, 80–81)

(5) en. (Which car came from the left?) – A BMW 730 (came from the left).
(6) en. (Which car came from the left?) – From my position, I could not see it very well. Everything went so fast. But it was a big car, a limousine; blue, dark blue. One of my neighbours had such a car. I guess it must be very expensive, one of these old-fashioned fossils … (Stutterheim/Klein 2002, 69)

      Um zuverlässige informationsstrukturelle Analysen zu gewährleisten, ist es unabdingbar, die häufig verwendeten, auf den ersten Blick jedoch sehr vagen Adjektive alt sowie neu zu präzisieren. Für Chafe (1974), der immer wieder die Bedeutung des Bewusstseins der Gesprächspartner für die Analyse der Informationsstruktur unterstreicht, ist Information dann alt (oder auch gegeben), wenn der Sprecher annehmen kann, dass sie zum Zeitpunkt der Äußerung im Bewusstsein des Hörers vorhanden ist. Ist das Gegenteil der Fall, d.h. ist die Information nach Annahme des Sprechers zum Zeitpunkt der Äußerung (noch) nicht im Bewusstsein des Hörers, ist die Information neu (oder nicht gegeben). (cf. Chafe 1974, 111–112) In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Fragetest zur Eruierung von neuer Information ungeeignet ist, da problemlos auch explizit geäußerte und damit als gegeben einzustufende Elemente wie in (7) erfragt werden können.

(7) en. (Which car came from the left, the BMW or the Mercedes?) – The Mercedes (came from the left).

      In einem späteren Beitrag ergänzt Chafe (1987) seine diskrete Einteilung um eine weitere Kategorie. Der Autor differenziert nun drei Aktivierungszustände von Elementen im menschlichen Bewusstsein, einen aktiven, halbaktiven und einen inaktiven Zustand:

      An active concept is one that is currently lit up, a concept in a person’s focus of consciousness. A semi-active concept is one that is in a person’s peripheral consciousness, a concept of which a person has a background awareness, but which is not being directly focused on. An inactive concept is one that is currently in a person’s long-term memory, neither focally nor peripherally active. (Chafe 1987, 25)

      Als typisches Beispiel für aktive Elemente nennt Chafe die Personalpronomen der ersten und zweiten Person, die durch den Kontext selbst, d.h. in der konkreten Äußerungssituation, bereits ihren Status als gegeben erlangen. Auch jene Konzepte, auf die ein Sprecher nach einer erstmaligen sprachlichen Realisierung wieder – etwa in pronominaler Form – referiert, gehören für ihn in diese Kategorie.10 (cf. Chafe 1987, 26)

      Der Status von semi-aktiven Elementen ist für Chafe folgendermaßen zu erklären. Einerseits können diese Konzepte zu einem früheren Zeitpunkt bereits aktiv gewesen sein, diesen Status aber verloren haben, da Konzepte grundsätzlich nicht lange im Bewusstsein aktiv bleiben. Anstatt jedoch sofort inaktiv zu werden, bleiben sie über einen gewissen Zeitraum halbaktiv. Andererseits kann es sich um Elemente handeln, die, so Chafe (1987, 29), Teil eines „set of expectations associated with a schema“ sind. Wird ein Schema evoziert, treten manche oder alle Erwartungen, die das Schema betreffen, in das semi-aktive Bewusstsein des Sprechers, wo sie zugänglicher sind als inaktive Elemente. Als Beispiel nennt Chafe das Schema class, durch dessen Nennung Elemente wie students, instructor, classroom, teaching assistants etc. halbaktiviert werden. (cf. Chafe 1987, 29) In Anlehnung an Chafe ergänzt Lambrecht (1994, 99) weitere semi-aktive Elemente. So zählen für ihn auch jene Entitäten zu dieser Kategorie, die in der textexternen Welt der Gesprächspartner präsent und dadurch leicht zugänglich sind, wie etwa Gegenstände im Raum, in dem die Äußerung realisiert wird.

      Werden inaktive Elemente aktiviert, kann von neuer Information gesprochen werden. Aus kognitiver Sicht hält Chafe (1987) diesen Prozess für relativ anspruchsvoll. Er erfordere unmittelbar vor der Äußerung seitens des Sprechers dementsprechend eine gewisse Zeit, was sich, so Chafe, in Form einer Pause manifestiert.