Julia Moira Radtke

Sich einen Namen machen


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purposes. (LANGACKER 2008: 264, Hervorh. i.O.)

      Dies schließt an die oben erläuterten Überlegungen zur kognitiven Semantik (nach GÄRDENFORS 2014) an, wonach Substantive auf Kategorien und nicht auf einzelne Objekte referieren.9 In der Sprachverwendung geht es jedoch häufig um konkrete Referenzobjekte, d.h., der Kommunikationspartner muss einzelne Entitäten identifizieren können. Aus LANGACKERS Zitat geht hervor, dass in diesem Fall „grounding elements“ zum Einsatz kommen, die die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf das vom Produzenten intendierte Objekt lenken (LANGACKER 2008: 259). Diese Grounding-Elemente leisten in NPs bzw. finiten Sätzen die Verankerung in der Sprechsituation (SMIRNOVA UND MORTELMANS 2010: 118).

      A grounding element specifies the status vis-à-vis the ground of the thing profiled by a nominal or the process profiled by a finite clause. (LANGACKER 2008: 259)

      Das nominale Grounding, um das es hier geht, kann mit Artikeln, Demonstrativpronomen und quantifizierenden Ausdrücken erfolgen (LANGACKER 2002: 30).10 Es handelt sich dabei um Elemente mit einer relativ „abstrakte[n], schematische[n] Bedeutung“ (SMIRNOVA UND MORTELMANS 2010: 120), weshalb sie ganz universell in verschiedenen Sprechsituationen zum Einsatz kommen können. In einer NP wie diese Pflanze zeigt das Demonstrativpronomen diese beispielsweise an, dass es sich um ein Objekt (der Kategorie Pflanze) handelt, das sich in der Nähe des Produzenten befindet, möglicherweise verbunden mit einer Zeigegeste oder einer gemeinsamen Blickrichtung. Denkbar ist auch, dass es sich um eine Art der Wiederaufnahme handelt und den Gesprächsteilnehmern bereits bekannt ist, um welche Pflanze es sich handelt. In jedem Fall zeigt der Sprecher durch das Pronomen an, dass auf eine bestimmte Pflanze referiert wird.11 Wenn ein solches Grounding ausbleibt, ergibt sich nach LANGACKER daraus folgende Konsequenz:

      If left ungrounded, this content has no discernible position in their mental universe and cannot be brought to bear on their situation. It simply floats unattached as an object of idle contemplation. (LANGACKER 2008: 259)

      Nominale Strukturen ohne Grounding verbleiben demzufolge als eine Art ungenutzte Ressource. Sie aktivieren beim Rezipienten zwar ein Konzept, aber es lässt sich kein Bezug zu einem konkreten außersprachlichen Gegenstand herstellen.12 Anders funktionieren Namen, die sich gerade dadurch auszeichnen, für ihre spezifische Referenzleistung kein Grounding zu benötigen:

      The name Jack, for example, carries with it the supposition that within the relevant group (e.g. family) there is just one person referred to in this manner. The name can thus be thought of as defining a type – the type ‘person named Jack’ […]. Since the name itself singles out the only instance, there is no need for separate grounding. (LANGACKER 2008: 317, Hervorh. i.O.)

      Die besondere Referenzweise von Namen lässt sich in einer kognitiven Perspektive dementsprechend auch daran festmachen, dass sie für ihren sprachlichen Bezug keine Grounding-Elemente benötigen. Nach LANGACKER ist der Name selbst in der Lage, die Instanz – also das konkrete Referenzobjekt – zu identifizieren (2008: 316). Er benötigt keine zusätzlichen Verankerungselemente, da er ohnehin unabhängig vom Kontext (im Idealfall) auf nur ein Objekt referiert. Diese Feststellung lässt den Schluss zu, dass Namen eine maximal spezifische Referenz ermöglichen.

      In der onomastischen Literatur wird noch eine weitere referenzielle Besonderheit von Namen herausgestellt, die NÜBLING ET AL. als „Direktreferenz“ bezeichnen (2015: 18f.). Mit diesem Terminus ist gemeint, dass Namen auf ein Objekt referieren, ohne dass dabei eine Bedeutung aktiviert wird (HARNISCH UND NÜBLING 2004: 1902).

      Abb. 12: Die spezifische onymische Referenzweise (aus: NÜBLING ET AL. 2015: 18)

      NÜBLING ET AL. zeigen das Prinzip der Direktreferenz anschaulich am Beispiel der Stadt Münster auf (2015: 18). Wie in Abb. 12 zu sehen ist, referiert der Ausdruck Münster auf die Stadt, ohne dabei die Semantik zu aktivieren, mit der Münster als Appellativ verknüpft ist. Denn wenn ein Wort zum Namen wird, gilt, dass „[t]he former lexical meaning (if there ever was one) ceases to exist“ (NYSTRÖM 2016: 40). Die lexikalische13 bzw. konzeptionelle Bedeutung des zugrunde liegenden Appellativs Münster wird deaktiviert und ist daher in der Abbildung gestrichen.14 Zur Semantik der Namen finden sich in der Literatur allerdings unterschiedliche Annahmen, weshalb dieser Aspekt im nächsten Abschnitt (3.3) nochmals gesondert aufgegriffen wird.

      3.2.2 Individualisierung

      Neben der Identifizierung wird Namen auch die Fähigkeit zugeschrieben, das Referenzobjekt zu individualisieren (vgl. dazu NÜBLING ET AL. 2015: 20ff., SEIBICKE 2008: 3, LEYS 1979: 67). LEYS weist darauf hin, dass sich Individualität hier weniger auf die Einmaligkeit der Namensform bezieht, als auf die Tatsache, „dass sie feste Zeichen oder Marken, oder, wenn man will, Etikette für Individuen bzw. individualisierte Objekte sind“ (1979: 67). Denn Namen werden oft von mehreren Trägern geteilt. Es handelt sich dabei jedoch um zufällige Erscheinungen und nicht, wie es bei den Appellativen der Fall ist, um ein systemhaftes Vorkommen.

      Auch wenn ein Name nicht einmalig sein muss, um seinen Träger zu individualisieren, so ist Individualisierung trotzdem an das Vorhandensein einer gewissen Auswahl gebunden, d.h., es muss ein Inventar an Namen zur Verfügung stehen, aus dem der Träger schöpfen kann. Teilen sich viele Menschen einige wenige Namen, sind diese als weniger individuell anzusehen, als wenn eine Gesellschaft aus einem großen Nameninventar schöpft (NÜBLING ET AL. 2015: 22). Die beliebtesten Namen eines Jahrgangs haben die geringste Individualisierungsrate. Individualisierung ist demzufolge als Kontinuum zu perspektivieren, während es bei der Identifizierung nur ein Entweder-oder gibt: Entweder ein Objekt wird identifiziert oder es wird nicht identifiziert (NÜBLING ET AL. 2015: 22). NÜBLING ET AL. stellen daher klar heraus, dass es sich bei Individualisierung und Identifizierung um zwei Funktionen von Namen handelt, die voneinander unterschieden werden müssen:

      Bei der Identifizierung wird ein X als nicht identisch mit Y und Z markiert. Man hat X von äußerlich ähnlichem Y, Z und weiteren Klassenmitgliedern unterschieden und kann jetzt auf X referieren. Bei der Individualisierung passiert viel mehr: Hier wird X herausgehoben, als einzigartig mit individuellen Zügen behaftet […]. (NÜBLING ET AL. 2015: 20)

      Ein Student kann demzufolge durch seine Matrikelnummer von allen anderen Studenten an der Universität unterschieden werden – Zahlen eignen sich in besonderem Maße zur Identifikation, weil sie unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten ergeben –, die Matrikelnummer erzeugt jedoch keine Individualisierung. Individualisiert werden Objekte durch ihren Namen.1 Auch Appellative schaffen keine Individualisierung, sie verhalten sich nach BAUER sogar gegensätzlich:

      Während die Verwendung von Appellativen die Einordnung in eine Klasse (Subsumtion) voraussetzt, macht die Benutzung von Eigennamen die klassifikatorische Nivellierung ungültig und gibt dem Individuum seine im Vollzuge der Klassifizierung abgelegten subjektiven Persönlichkeitszüge wieder zurück. (BAUER 1998: 37)

      Wegen dieser Funktion empfinden Menschen gegenüber ihrem Namen oftmals eine tiefe Verbundenheit: Er wird als Bestandteil der Persönlichkeit angesehen, sodass eine Veralberung des Namens als Verletzung der Persönlichkeit wahrgenommen wird (WIMMER 1995: 373).2 Dass Name und Identität eng miteinander verbunden sind, belegen auch diverse psychologische Studien.3 JOUBERT (1993) konnte zeigen, dass Menschen, die mit sich selbst zufrieden sind, generell auch eher ihren Namen mögen. WIKSTRØM (2012) stellte fest, dass auch der Nachname eng mit der Identität einer Person verknüpft ist. Allerdings ist dabei noch ungeklärt, ob die Namen „actually influence or merely mirror identity“ (ALDRIN 2016: 386).

      3.2.3 Charakterisierung

      Wenn im folgenden Abschnitt das Charakterisieren als eine Funktion von Namen vorgestellt wird, so mag dies zunächst irritieren, denn der Fachterminus Direktreferenz besagt gerade – wie in Abschnitt 3.2.1 erläutert wurde –, dass Namen einen sprachlichen Zugriff auf ein Objekt leisten, ohne dieses zu charakterisieren. An dieser Stelle muss daher zwischen verschiedenen Namenklassen differenziert werden: Wie bereits herausgestellt, sagen prototypische Namen wie Ruf-, Familien- und auch Ortsnamen nichts