Klaus Hübner

KAISERSCHMARRN, RÖSCHTI UND ANDERE SCHMANKERL


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recht ist. Doch diese Geschichte, dominiert von der Jagd nach einem erfüllten und glücklichen, einem erotischen und zugleich ästhetischen Leben, ist extrem spannend. Zumal die üppige, kluge und lebensweise Gemahlin und der in den Sog der pikanten Konstellation hineingezogene Ich-Erzähler ganz andere, vielleicht zeitgemäßere Sichtweisen einbringen als der alte Herr, »der typische Repräsentant einer verzweifelten Linken, saturierten Wohlstand genießend inmitten einer finsteren, Depression erzeugenden Welt«. Aus den Augen entfaltet drei auf ganz unterschiedliche Weise vom Eros getriebene Lebensläufe mit oft überraschenden Wendungen und jähen Volten. »Wir sind Gefangene unseres Schicksals«, heißt es einmal, und womöglich ist das durchaus programmatisch gemeint. Drei Hauptfiguren also. Das bedeutet hier auch: häufige Perspektiven- und Sprachwechsel, Vermischung und Verschachtelung der Erzählebenen und -zeiten, Zitate aus der Kunst-, Literatur- und Filmgeschichte – modernes Erzählen eben. Der Lesbarkeit schadet das nicht, und die Leserneugier bleibt bis zum Schluss erhalten. Ja, vielleicht hat der junge Maler am Ende wirklich ein vollendetes Meisterwerk geschaffen! Doch hat es ihm geholfen? Kann Kunst helfen? Und wenn nicht, wozu ist sie dann überhaupt da? Aus den Augen ist, ganz nebenher, auch ein kunstphilosophischer Roman. Mehr wird nicht verraten.

      Christoph Braendle: Aus den Augen. Roman. Weitra 2019: Verlag Bibliothek der Provinz. 226 S.

      Vom kleinen großen Leben. Ein ergreifender Roman über Armut und Glück

      Den Ton dieser Prosa lässt schon ihr Prolog anklingen: »Einmal wird die Sonne untergehen, abends um acht werden die Nachrichten gesendet und später wird das Wetter für den folgenden Tag angekündigt. All das wird geschehen, aber du wirst nicht mehr da sein.« Der fünfjährige Josef hat Angst, der Krieg kommt ins Dorf. Die einjährige Rosa schläft im Arm ihres Vaters, plötzlich zischt es, der Apfelbaum zerbirst – die Granate hat beide nur um eine Armlänge verfehlt. So fangen zwei Leben an, die füreinander bestimmt sein werden. Die Magie, die von Motoren ausgehen kann, wird Josef seit seinem dreizehnten Geburtstag begleiten: zuerst das Moped, dann der jahrelang mit Hingabe instand gesetzte Fiat Topolino, später der rote Buick. Mit zwanzig besucht er den Jahrmarkt in der nahen Kreisstadt, und sein Herz ahnt, »dass sich schon bald etwas ganz Großes ereignen würde«. Von diesem ganz Großen, einer lebenslangen innigen Liebe nämlich, handelt der nicht nur durch Vor- und Rückblenden gekonnt rhythmisierte Roman. Rosa und Josef stammen aus armen Verhältnissen, und als sie die »Anzeige einer Textilfirma im Westen« sehen, verlassen sie ihre Heimat. Die Armut wird sie begleiten, auch der Hunger. Die Fabrikarbeit ist eintönig und macht krank. Als sie heiraten, sagt Rosa: »Glücklicher kann man gar nicht sein.« Glück gibt es immer wieder, Angst und Schmerz auch. Gemeinsam werden sie alt, Rosa geht, die Liebe bleibt. Noch als sterbensmüder alter Mann gleicht Josef einem Schiff, »das niemals ein Ufer erreicht« – aber er weiß, dass es doch ein Ufer für ihn gibt, und dort wird Rosa auf ihn warten. Was bedeutet ihm die Welt noch, ohne sie? Ohne seinen roten Buick? »Gebt acht auf jeden Augenblick eures Lebens!«, hatte die Großmutter gesagt. Das taten sie, bis zum Ende.

      In Österreich ist der 1966 in Vorarlberg geborene Jürgen-Thomas Ernst kein Unbekannter. In Deutschland schon. Das kann sich ändern. Schweben ist kein intellektuell anspruchsvoller oder formal besonders avancierter Text, sondern ein sympathisches, oft ergreifendes und erschütterndes Buch. Leicht zu lesen ist es außerdem. Ein wunderbares Geschenk für die Großeltern – darüber hinaus aber auch für alle, die sich vom poetischen Glanz eines kleinen großen Lebens verzaubern lassen möchten.

      Jürgen-Thomas Ernst: Schweben. Roman. Wien 2017: Braumüller Verlag. 204 S.

      Gott schuf keine Brücken. Gespräch mit Ilir Ferra

      Ilir Ferra wurde 1974 in Durrës (Albanien) geboren und gelangte 1991 nach Österreich. An der Universität Wien studierte er Translationswissenschaften (Englisch und Italienisch). Heute lebt er als Schriftsteller, Dolmetscher und Übersetzer mit seiner Familie in Wien. Für seine Erzählung Halber Atem (2008) erhielt er den Preis des Vereins Exil (»Schreiben zwischen den Kulturen«), für seinen Roman Rauchschatten (2010; Neuauflage 2015) den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis. Es folgten der Roman Minus (2014) und der Prosaband Aus dem Fluss (2014). Die Studie Erzählen zwischen Macht und Ohnmacht: Ilir Ferra von Holger Englerth, von der in diesem Gespräch mehrfach die Rede ist, findet sich in dem von Wiebke Sievers herausgegebenen Band Grenzüberschreitungen. Ein literatursoziologischer Blick auf die lange Geschichte von Literatur und Migration (Böhlau Verlag, 2016) auf den Seiten 201–234.

      Die meisten eingewanderten Schriftsteller wollen als deutschsprachige Autoren wahrgenommen und nicht immer wieder auf ihre andere Muttersprache oder ihre kulturelle Herkunft aus einem anderen Land angesprochen werden. Sie auch? Warum? Weil Albanien nur in Ihren ersten sechzehn Lebensjahren prägend war?

      Ich kann nicht beurteilen, wie das andere Autoren sehen. Als Autor fokussiere ich mich nur auf das Schreiben. Schreiben ist ein sehr konzentrierter, sehr reduzierter Prozess, dabei befasse ich mich nur mit dem Stoff, alles andere existiert für mich in diesem Moment nicht. Als Person, die ich zwischendurch natürlich auch bin, kann ich diese Frage aber schon beantworten: Die Wahrnehmung meiner Texte durch das Feuilleton, aber vor allem durch die Leser, spielt für mich eine immense Rolle. Ein Text ist meiner Einschätzung nach gelungen, wenn er dem Leser einen direkten Zugang verschafft zum Inhalt, zum Thema, zur Sprache und zur verdichteten Welt des Textes. Mein Schreiben strebt seit Anfang an immer nur zum Leser, während ich gleichzeitig bemerke, dass meine kulturelle Herkunft als Filter herangezogen wird. In der Sportwettenterminologie nennt man das ein Handicap. Und wenn ich bei diesem Vergleich bleiben darf, Handicapwetten werden für alle Teilnehmer eines Rennens angeboten – auf wen man dann eine Handicapwette abschließt, entscheidet der Kunde. Das Feuilleton hingegen, das dann die Vermittlerrolle eines Buchmachers einnähme, bietet diese Handicapwetten nur für eine bestimmte Gruppe der Beteiligten an. In dieser Sicht ist das unfair, weil es in gewisser Weise manipulierend ist. Andererseits muss aber auch hinterfragt werden, ob die Autorengruppe, der ich angehöre, durch ihre Wahl von Thema und Schauplatz nicht auch selbst einen beträchtlichen Anteil an dieser Haltung hat. Und zudem ist ja auch mein Name ein Garant dafür, dass man sich gleich denkt: »Deitsch is des ned.«

      Für meine Texte spielt mein »kultureller Hintergrund« eine enorme Rolle. Ich kann ihn nicht leugnen und möchte ihn nicht missen. Wenn ich versuche, mich von ihm zu lösen, fallen die Texte in sich zusammen, sie verlieren – ich kann es nicht anderes sagen – ihr Wesen. Doch alles ist im Text bereits enthalten und wird durch jede Schubladisierung verfälscht. Andererseits wird dadurch eine Metaebene erschaffen, die für mich selbst sehr spannend ist: Ganz gleich, welche Rolle man gegenüber Autoren mit einer anderen Muttersprache einnimmt, und sei es die wohlwollendste, sie wird immer falsch sein, wenn sie nicht den Text in den Vordergrund stellt und vom Text ausgeht – und nicht von seinem »Background«. Als Autor wünscht man sich kaum etwas mehr als eine Kritik, die sich voll und ganz auf den Stoff einlässt. Im Idealfall sollte sie von der Person des Autors und den Schauplätzen seines Texts unabhängig sein. Natürlich sieht das das Feuilleton ganz anders. Das wird anders gehandhabt, weil in meinen Augen die Grenzen zwischen Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Kunst verschwimmen. Die Literatur genügt nicht mehr. Sie genügt natürlich sich selbst, sie genügt vereinzelten Wissenschaftlern und Lesern, aber dem Feuilleton genügt sie meiner Wahrnehmung nach nicht. Womit das Feuilleton sich überflüssig macht, nicht die Literatur. Trotzdem kann ich nicht abstreiten, dass ich mit der Themenwahl meiner Romane solche Erwartungen auch selbst geschürt habe. Vielleicht auch aus dem Grund, dass ich selbst der Vorstellung erlegen bin, dass Literatur allein sich nicht genügen kann, soll, darf.

       Warum werden deutschsprachige Literaten, die mit einer anderen Kultur verbunden sind, häufig als Experten für ihre frühere Heimat angesehen – oft auch für eine Region, die niemals ihre Heimat war? Warum muss Ilir Ferra immer wieder über Albanien Auskunft geben? Muss das so sein?

      Ich glaube, das liegt einfach in der menschlichen Natur. Lesungen schaffen immer einen beträchtlichen Grad an Intimität. Jedenfalls meine Lesungen. Manche Besucher lassen sich auf die Texte ein. Das verleiht