Klaus Hübner

KAISERSCHMARRN, RÖSCHTI UND ANDERE SCHMANKERL


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preisgibt wie ein heutiger Autor, erwartet man von ihr automatisch, dass sie auf Fragen nach Politischem und Gesellschaftlichem auch ehrlich antwortet. Tatsache ist, dass ich bei Lesungen deutschsprachige Besucher habe, die öfter als ich in meinem Heimatland gewesen sind. Nicht so lang, sicherlich, aber öfter. Tatsache ist aber auch, dass diese Besucher einen anderen Zugang zu dem Land haben als ich. Deshalb denke ich, dass sie da meine Meinung interessiert. Das kann man auch als Zeichen der Wertschätzung sehen. Das Problem ist nur, was man daraus macht. Ich versuche oft, neutral zu sein. Als Person ergreife ich schon Partei: Wenn ich deutlich zu sehen vermeine, dass Ungerechtigkeit herrscht, muss ich mich dagegen stellen. Das sollte ich vielleicht als Autor nicht. Aber das ist dann der schmale Grat, auf dem man sich zu bewegen hat. Beantwortet man die Frage als Autor oder als Person? Meistens bin ich ein Zwischending, weit entfernt von einem Experten. Deshalb bin ich nicht einmal so undankbar über solche Fragen. Ich höre sie gern und versuche mich darauf einzulassen. Ich bezweifle aber, dass die Gesprächspartner sich dann auf meine Antworten einlassen. Denn, abgesehen von sehr grundsätzlichen Themen, zu denen ich eine klare Haltung habe, sind meine Antworten sehr relativierend, und vielleicht wirken sie schwammig und abschweifend. Das kann so sein, weil ich selbst während der Antworten einen Standpunkt suche, ihn fallen lasse und damit vielleicht vermittle, dass es einfach nicht möglich ist, sich eine Meinung über Lebensumstände in einem anderen Land zu bilden, wenn man sich nicht auf die Menschen einlässt, die dort leben.

      Zusammenfassend: Das ist eine Erwartungshaltung, die ich gerne erfülle, für die ich auch dankbar bin. Bei der aber oft ein schaler Beigeschmack zurückbleibt, weil ich sehe, dass man mich meistens fragt, um eigene Vorstellungen und Expertenaussagen bestätigt zu finden, während ich eher eine Einladung ausspreche, mich mit dem Gesprächspartner darauf zu einigen, dass es so viele unterschiedliche Welten gibt wie Menschen. Und dass das natürlich auch für die Albaner gilt.

       Sie sind monolingual aufgewachsen, ganz im Albanischen. Toskisch oder Gegisch?

      Meine Familie kommt aus dem Süden, also ist der toskische Einfluss am größten. Ich bin aber in Durrës zur Welt gekommen und aufgewachsen, und da spricht man den Dialekt Mittelalbaniens, der eigentlich schon fast die Standardsprache ist. Natürlich bleibt ein starker Bezug zum Toskischen, da bewegt sich was in mir, das eigentlich außerhalb von mir liegt. Klingt wahrscheinlich etwas nach Hokuspokus, fühlt sich aber auch so an.

       Von den rund sechs Millionen Albanern auf dem Balkan – die in den Westen ausgewanderten lassen wir hier einmal weg – lebt nur knapp die Hälfte in der Republik Albanien. Viele wohnen im Kosovo und in Mazedonien, auch in Griechenland, Montenegro und Serbien. Lebt Ihre Familie, leben Ihre früheren Freunde alle in Albanien?

      Das hier angesprochene Thema verdiente eine gesonderte Abhandlung. Ich sage nur: Das albanische Volk will faktische Gleichbehandlung und, wenn es in der Minderheit ist, will es die Rechte, die Minderheiten zustehen. Meine Haltung zu dieser Frage entspringt aber nicht meinem besonderen Bezug zu den Albanern, sondern sie ist schlicht meine Haltung zu Menschenrechten, welche für alle Menschen überall gleich gelten sollen. Zu Ihrer Frage: Ja, ich fühle eine starke Bindung zu meiner Familie, unabhängig davon, wo sie sich befindet. Natürlich sind einige meiner Verwandten ausgewandert. Viele sind aber auch in Albanien geblieben. Ich versuche hinzufliegen, so oft ich kann. Leider aber geschieht das sehr selten.

       Welche Spuren haben Österreicher und Deutsche in Albanien hinterlassen?

      Das muss ein Historiker beantworten. Ich komme ja aus Durrës. Man nennt die Gegend, in der ich aufgewachsen bin, »der Hügel«, weil sie am Fuße eines Hügels liegt. Ganz oben auf diesem Hügel steht die königliche Residenz. Dort hat König Zog gewohnt, der ja mithilfe der Österreicher an die Macht kam. Er war in der k.u.k.-Monarchie ein Offizier albanischer Abstammung. Eine prominentere Spur kann man sich kaum vorstellen, wie mir eigentlich erst jetzt bewusst wird. Tatsache ist, dass jeder gebildete Albaner Österreich gegenüber eine große Dankbarkeit an den Tag legt. Österreich hat sich nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches stark dafür eingesetzt, dass der Staat Albanien gegründet wird, und sich der gewaltsamen Vertreibung der Bevölkerung aus den Gebieten, die diesem Staat nicht eingegliedert wurden, entgegengesetzt. Das war noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs, und noch immer ist die Dankbarkeit für diese politische und diplomatische Unterstützung deutlich spürbar. In der Tat herrscht in der albanischen Bevölkerung ein großes Vertrauen in die deutsche und österreichische Politik und Diplomatie. Dieses Vertrauen ist so groß, dass sich manche der dortigen Politiker, vor Wahlen, gerne auf Fotos mit deutschen und österreichischen Politikern zeigen. Wobei einige dieser albanischen Politiker nicht als ganz bedenkenlos betrachtet werden sollten.

       Wann und wo haben Sie zum ersten Mal von Deutschland, Österreich, der deutschen Sprache gehört? Gab es eine Art frühes (jugendliches) Bild von Deutschland und Österreich?

      Das Bild von Deutschland war höchst gespalten. Ich war anfangs in einer Musikschule, dort war stets Musik zu hören, meist Übungsstücke. Ich vermute, dass es sich dabei vorwiegend um Bach gehandelt hat. Bewusst erkannt habe ich damals aber nur die gängigsten Stücke von Beethoven. Doch diese Musik stand für mich nicht in direktem Zusammenhang mit Deutschland. Sie wurde als Teil der menschlichen Kulturgeschichte betrachtet und hat sich offenbar von ihrer nationalen Identität völlig gelöst. Wie bei den Versen von Goethe oder Schiller, die in meinen damaligen Schulbüchern auch vertreten waren. Und was kann Kunst Schöneres geschehen, als allen Menschen zu gehören?

      Aber zu Ihrer Frage: Ich kann mich erinnern, dass ich in meiner Kindheit eine albanische Inszenierung von Brechts Arturo Ui gesehen habe. Auch das hatte in meiner Wahrnehmung nichts mit Deutschland zu tun. Vielmehr war meine erste Deutschlandassoziation – als durchschnittlicher Junge in einem kommunistischen Land – der Zweite Weltkrieg und der Nationalsozialismus. Das ist erstaunlich, weil ich in der gleichen Zeit ein sehr differenziertes Bild von Italien hatte, vor allem durch das Fernsehen. Und bei Italien habe ich keineswegs an den Faschismus gedacht. Es besteht da ein eigenartiger Widerspruch: Italien war die gegenwärtige Chartsmusik und das Leben aus dem Fernsehen, während ich bei der Musik in der Schule nie daran gedacht habe, dass es sich vor allem um deutsche Komponisten handelte. Genauso war es eigentlich mit dem Fußball. Bei den internationalen Turnieren war ich damals Fan der deutschen Nationalmannschaft – erstaunlich, wie wenig mich das über das Land nachdenken ließ. Letztendlich weiß ich noch immer nicht so recht, warum ich mir wünschte, dass gerade diese Mannschaft gewinnt. Tatsache ist aber, dass mein Bild von Deutschland damals äußerst reduziert war. Wir hatten auch eine Kommilitonin mit deutschen Wurzeln in unserer Klasse. Aber wir haben das nur sehr selten und nur unter vorgehaltener Hand thematisiert. Niemals in ihrer Anwesenheit. Ich muss aber sagen, dass es sich dabei eher um Neugierde als irgendeine Art von Diskriminierung handelte. Das Eingesperrtsein hatte im kommunistischen Albanien einen Riesenvorteil: Man begegnete den Fremden mit großer Neugierde und auch großer Offenheit. So als ob man sich vorstellen würde, dass alles, womit wir uns herumschlagen müssen, nicht überall auf der Welt existieren kann. In gewisser Weise hatten wir ja auch recht. Eine Bevölkerung, die trotz ihrer sehr exponierten und zentralen Lage derart isoliert wurde, lässt sich wahrscheinlich nicht so leicht finden. Doch es ist falsch zu denken, dass mein damaliges Bild von Deutschland dieser Isolation entsprang. Das hatte viel mehr mit einer allgemeinmenschlichen Ignoranz zu tun. Schon hinter der Eingangstür des nächsten Nachbarn beginnt eine Welt, in der es uns schwerfällt, differenziert zu sehen. Ich habe mir durch die Entwicklung meiner Beziehung zu Österreich, zu Deutschland, zu Sprache und Kultur, aber auch zu den Menschen dieser Länder diese Ignoranz ein für alle Mal eingestanden und mich damit abgefunden. Deutschland und Österreich waren für mich in Albanien nichts als Wörter, verbunden mit Illusionen, die naiv, eindimensional und vereinfachend waren. Jetzt sehe ich das anderes. Und ich weiß, dass das nicht nur für diese Länder gilt, sondern eigentlich für jedes Land.

       Wo und wann kamen Sie zum ersten Mal mit einer Fremdsprache in Berührung? War das die deutsche Sprache?

      Nein, gar nicht. Mein erste Berührung mit Deutsch war erst in Österreich mit sechzehn. Bis dahin war ich gar nicht so schlecht in Englisch und vor allem Italienisch. Italienisch habe ich, wie die meisten Menschen in Albanien, aus dem Fernsehen gelernt. Und Englisch in der Schule. Mein