Daphne Niko

DER ZEHNTE HEILIGE


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dicker als das Briefpapier der meisten Hotels.

      Sie riss den Briefumschlag auf und fand eine Karte mit der Prägung der Insignien des Kulturministeriums, unter welcher die Worte ‹Büro des Direktors, Abteilung für Altertümer› standen. Darauf war eine eigentümliche Nachricht zu lesen:

       Sehr geehrte Dr. Weston, willkommen in Addis Abeba. Wir haben einige Dinge bezüglich Ihres Projekts zu besprechen. Treffen Sie mich bitte im Sheraton Addis, Penthouse Suite, heute Abend. Kommen Sie allein.

      Sie konnte die Unterschrift nicht entziffern, nahm aber an, dass sie dem Direktor gehörte. Der verstohlene Charakter dieser Notiz machte sie stutzig. Warum sollte der Direktor nicht den Dienstweg einhalten, wenn er ein Treffen verlangte? Aber sich das Ministerium zum Feind zu machen, würde ihre Pläne einschränken – besonders jetzt –, da es die Kontrolle über ihre Genehmigungen besaß.

      Sie riss sich zusammen und ging nach unten, um sich ein Taxi zu rufen.

      ***

      Die Tore öffneten sich und der Fahrer bog auf den Parkplatz von Addis' bestem Hotel. Die Straßen vor den Toren waren schmutzig, die Häuser verfielen. Bettler bevölkerten die Bürgersteige. Hier drinnen war es eine völlig andere Welt. Sarah konnte die Unvereinbarkeit dieses Ortes mit der Außenwelt kaum fassen. Er war ein Hort der Opulenz, der in himmelschreiender Gleichgültigkeit seiner Umgebung gegenüberstand. Gewaltige Springbrunnen wurden von einer Reihe Neonlichtern beleuchtet und die ausgespienen Wassersäulen tanzten zu westlicher Musik, die aus Unterwasserlautsprechern drang.

      Die Lobby war eine Studie europäischer Eleganz, mit intarsierten Marmorböden, orientalischen Teppichen und kristallenen Kerzenleuchtern, die von Kassettendecken herabhingen. Fette afrikanische Patriarchen – Politiker, Händler, niederer Adel – bevölkerten die seidenbezogenen Sofas; abwechselnd lachten sie oder brüllten ihre Meinung hinter einem blauen Schleier von Zigarettenrauch hervor.

      Sarah ging schnellen Schrittes zur Rezeption und informierte einen Angestellten darüber, dass sie mit jemanden in der Penthouse-Suite verabredet sei.

      «Mr. Matakala erwartet Sie bereits, Miss.» Der Hotelangestellte nahm den Telefonhörer auf, um Sarahs Ankunft zu vermelden, ehe er sich höflich verneigte. Er führte Sarah zu den Aufzügen, steckte eine Schlüsselkarte ein und drückte einen mit ‹PH› gekennzeichneten Knopf. Als die Türen sich öffneten, deutete er auf eine als Präsidentensuite ausgewiesene Tür.

      Sie drückte dem Angestellten ein paar Birr in die Hand und überquerte den Flur zur Doppeltür aus Mahagoni.

      «Willkommen, Dr. Weston», sagte ein Mann in der Kleidung eines Butlers in perfektem Englisch, während er ihr die Tür aufhielt. «Wir haben Sie erwartet.»

      Die Suite war größer als ihre Wohnung in London und wesentlich überladener.

      «Bitte warten Sie hier», sagte der Mann und deutete auf ein Paar nachgemachter Königin-Anne-Stühle. «Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?»

      «Nein, danke sehr. Aber lassen Sie Ihre Herrschaft freundlicherweise wissen, dass ich etwas in Eile bin.»

      «Mr. Matakala wird in Kürze bei Ihnen sein.» Der Butler verneigte sich und zog sich zurück. Seine hartbesohlten Schuhe auf dem Marmorboden erzeugten ein Echo, das den ganzen Raum durchflutete.

      Sarah fragte sich, ob ihr Gastgeber sie damit beeindrucken wollte. Es gelang ihm nicht. Da sie mit den schöneren Dingen aufgewachsen war, hatte Luxus sie nie berührt, und am wenigsten der protzige Überfluss der Neureichen. Authentizität imponierte ihr wesentlich mehr, sowohl bei Menschen als auch bei Gegenständen.

      Das Versprechen des Butlers einhaltend, erschien Andrew Matakala innerhalb weniger Minuten. Als ein schlanker Mann, der Anfang vierzig zu sein schien, gab er in seinem elegant geschneiderten Nadelstreifenanzug mit einer Krawatte von Hermès, welche mit einem Muster aus kleinen Steigbügeln und Gerten geschmückt war, eine schneidige Figur ab. Seine milchkaffeefarbene Haut und schönen Züge – eine schmale, spitze Nase, schmale Lippen und hohe Wangenknochen – verliehen ihm ein königliches Aussehen. Sein glattes schwarzes Haar war seitlich gescheitelt und ordentlich zurückgegelt. Er sah eher arabisch als äthiopisch aus.

      Für afrikanische Bürokraten, besonders in einem so armen Land wie Äthiopien, war es selten, so großzügig vergütet zu werden, dass sie in den Genuss maßgeschneiderter Anzüge – seiner stammte offensichtlich von der Savile Row – und teurer Krawatten kamen. Die Möglichkeit, dass er sich an zwielichtigen Nebengeschäften beteiligte, kam ihr in den Sinn, aber sie erlaubte es dem Gedanken nicht, sich zu setzen.

      «Dr. Sarah Weston. So treffen wir uns endlich. Andrew Matakala.» Er bot ihr seine Hand an. Sein britischer Akzent deutete darauf hin, dass er seine Bildung wahrscheinlich im Ausland erworben hatte. «Es tut mir wahrlich leid, Sie zu solcher Stunde hierhergebeten zu haben. Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie gekommen sind.»

      Sein Auftreten war ein wenig zu glatt für ihren Geschmack, ungefähr so, wie das der überheblichen, reichen Ausländer, mit denen sie in Cambridge studiert hatte. Immer schienen sie ihren Mangel am Etikette zu überkompensieren. Sie entschied sich dazu, aufgeschlossen zu bleiben, sich aber nicht in die Karten blicken zu lassen. «Für das Ministerium tue ich alles», sagte sie lächelnd. «Ich hoffe, Sie werden mir sagen, worum es hier geht?»

      «Briten. Immer direkt zur Sache.» Er glättete seine Krawatte. «Nun gut. Aber anstatt es Ihnen zu sagen, werde ich es Ihnen zeigen. Folgen Sie mir.»

      Matakala führte Sarah ins Esszimmer, wo er ein Projektionssystem aufgebaut hatte. Er öffnete einen Laptop und rief das Bild eines Granitthrons auf.

      Dann zoomte er auf dessen Inschrift. «Dies ist Griechisch.» Er drehte sich zu ihr um. «Aber das wissen Sie.»

      «Ein aksumitischer Königsthron?» Sie war neugierig.

      «In der Tat. Dieser wurde von König Ezana im späten vierten Jahrhundert errichtet, gegen Ende seiner Herrschaft. Er hatte mehrere dieser Art im ganzen Land aufgestellt, wie Sie sehr gut wissen.»

      «Ah, ja. Die Nachkriegsmonumente, die den Göttern Ehre erwiesen und von den Heldentaten des Königs berichteten.»

      «Wir Äthiopier betrachten sie gerne als unsere ältesten Geschichtsbücher. So wenig ist über diese Zeit bekannt; diese Inschriften sind wie Fenster zu unserer Vergangenheit.»

      «Warum zeigen Sie mir diese spezielle Inschrift?»

      «Sie ist für Sie und Ihre Expedition von Bedeutung. Und sogar von noch größerer Bedeutung für uns.»

      Sie verschränkte ihre Arme. «Fahren Sie fort.»

      Matakala scrollte zum Anfang des Textes hinauf und übersetzte ihn ins Englische. «Im Namen des himmlischen Herrn, der in der Luft und zu Lande über alle Wesen befehligt, Ezana, Sohn von Ella Amida, Bisi Halen, König von Aksum, Himjar, Raydan, Saba, Salhin, Tsiyamo, Beja und der Kasu, König aller Könige, niemals vom Feind besiegt.» Er deutete auf den Bildschirm. «Das ist eine Aufzeichnung der Schlacht des Königs gegen das Volk der Noba in Meroë. Ich werde Sie nicht mit allen Details langweilen.» Er öffnete das nächste Bild. «Das ist der Part, der für Sie von Interesse sein dürfte. Wenn ich darf?»

      Sarah nickte.

      «Ein schrecklicher Noba-Krieger wagte es, den König zu bedrohen. Doch war es der Wille des Herrn über alles, dass ich überlebe und das Land regiere. Mein Leibarzt begab sich selbst zwischen meinen Körper und die Speerspitze und fiel an meiner statt. Dies war der Verlust eines feinen und guten Mannes. Doch war sein Opfer nicht umsonst, denn meine Truppen töteten den Feind und machten Gefangene und kehrten siegreich nach Hause zurück, dank der Macht des himmlischen Herrn.»

      «Der himmlische Herr. Ezana war der christliche König», erinnerte sich Sarah. In aksumitischer Geschichte war sie wohl bewandert, spielte ihr Wissen aber herunter. «Ich verstehe nicht, wieso das relevant ist.»

      «Geduld, Doctor.» Er rief ein anderes Bild auf, dieses zeigte eine Stele. «Das stammt von einem Obelisken, der nahe Ihrer Ausgrabungsstelle