Daphne Niko

DER ZEHNTE HEILIGE


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zwar auf prähistorischen Felsmalereien in der Sahara gefunden, aber jene waren heidnische Symbole.»

      «Aber was ist mit dem Kreuz? Das hat bestimmt religiöse Signifikanz. Besonders wenn man seine Nähe zum Kloster in Betracht zieht.»

      Simon schnaubte. «Sarah, hören Sie auf meinen Rat und vergessen Sie das Ganze. Ihre momentane Aufgabe fordert Ihnen genug ab. Sie haben keine Zeit für Abstecher. Verstehen Sie das?»

      Das verstand sie ganz ausgezeichnet, aber ihrer Faszination konnte sie sich dennoch nicht verweigern. Sie legte auf, genervt darüber, dass der Professor sie nach all den Jahren noch immer wie ein Kind behandelte. Er hatte sie zwar schon als Kind gekannt – er und ihr Vater, Sir Richard Weston, waren Sandkastenfreunde gewesen, Studienkollegen an der Universität, und Forscher in den Hochregionen des Himalajas –, aber das gab ihm nicht das Recht, sie herablassend und ewig belehrend zu behandeln.

      So vertraut er mit ihrem Vater war, hatte sich Simon doch nie für Sarah erwärmen können. Tatsächlich betrachtete er sie als eine Art Querdenker. Als er darauf bestanden hatte, dass sie die Aksum-Expedition leiten sollte, und damit der gängigen Meinung zuwiderhandelte, welche einen routinierteren, bevorzugt männlichen Experten am Steuer eines derart wichtigen Projekts verlangte, war sie selbst verblüffter gewesen als jeder andere. Sie hatte sich gefragt, ob ihr Vater irgendetwas damit zu tun hatte, ihre Bedenken jedoch für sich behalten. Sie wollte es sich mit dieser Magie nicht verscherzen – welcher Art auch immer diese sein mochte –, die ihr die Möglichkeit verschafft hatte, auf die sie so lange warten musste.

      Sie spritzte sich Wasser ins Gesicht und erneuerte den Verband an ihrem genähten Arm. Eines Tages mochte ihre Neugier ihr Untergang sein, aber zurückhalten konnte sie sich nicht.

      Sie vernahm ein Klopfen an der Tür.

      «Sarah? Hier ist Aisha. Geht es Ihnen gut? Die Crew wartet schon seit einer Stunde auf Anweisungen.»

      Sarah öffnete die Tür.

      Einer verwirrten Gazelle gleich starrte das Mädchen auf den verwundeten Arm ihrer Chefin.

      «Ich bin okay. Sag der Mannschaft, sie sollen östlich der AB-Stele weitergraben. Dann hol Dennis und Marcus und pack ein Seil und die Karabiner ein. Wir werden einen kleinen Spaziergang unternehmen.»

      Drei

      Sarah protokollierte gerade die am Vortag von der Crew zutage beförderten Metallwerkzeuge und Münzen im Labor, als eine Autohupe die Stille des Sommermorgens zerschnitt. Das konnte nur eines bedeuten – nur ein Amerikaner würde seine Ankunft auf solch unhöfliche Weise ankündigen.

      Sie beobachtete durch das Fenster, wie Daniel Madigan aus einem verbeulten blauen Land Cruiser stieg. Er sah genau so aus wie in seinen Dokumentarfilmen: eine kräftige Gestalt mit markantem Kinn in staubigen Kaki-Shorts und einem ausgewaschenen T-Shirt eines alten Smiths Konzerts. Ein Schlangentattoo wand sich um seinen linken Bizeps. Seine Haare, die seinen Nacken umspielten, waren ein Durcheinander kastanienbrauner leichter Wellen mit grauen Strähnen an den Schläfen, die auf seine Vierzig-und-ein-paar-Jahre hinwiesen. Von der arabischen Sonne zu einer Tabakschattierung gebräunt und mit der schlanken und muskulösen Statur eines Menschen, der im Freien arbeitete, wirkte er wie ein Rockstar mittleren Alters. Er griff in den Fond des Land Cruisers und holte zwei armeegrüne Reisetaschen und ein Computergehäuse aus Aluminium heraus. Er würde eine Weile bleiben.

      Sarah verschloss die Labortür hinter sich, als sie nach draußen ging, um ihn zu begrüßen. «Hallo, Dr. Madigan. Willkommen in Aksum.»

      «Wie ich sehe, wissen Sie, wer ich bin», sagte er in dem gedehnten Tonfall eines Südstaatlers. «Ich bin nicht sicher, ob das gut oder schlecht ist.»

      Sie brachte ein angespanntes Lächeln zustande. «Tja. Sie bedürfen keiner Vorstellung. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus.»

      Sein Blick wanderte langsam an ihrem Körper hinab. «Genau wie Ihrer. Sie sind Lord Westons Tochter, nicht wahr?»

      Sarah zuckte zusammen. Sie hasste es, wenn Menschen von ihr als Lord Westons Tochter sprachen, als ob sie keinen eigenen Wert besäße. Der Vergleich mit ihrem legendären Vater, einem blaublütigen Aristokraten und Mitglied des House of Lords des britischen Parlaments, verfolgte sie überall hin, sogar bis zu diesem staubigen Berggipfel im abgelegensten Afrika. Sie bemühte sich, ihre Entrüstung nicht zu zeigen. «Sie kennen meinen Vater?», fragte sie mit falscher Höflichkeit.

      «Wir trafen uns letztes Jahr auf der Spendenveranstaltung für Medecins Sans Frontières.» Daniel verunstaltete das Französische mit seinem Tennessee-Akzent. «Furchtbarer Abend. Wenn Ihr Vater nicht gewesen wäre, wäre ich nach der Foie gras gegangen. Der Mann ist ein fantastischer Geschichtenerzähler.»

      «Ich bin sicher, Sie haben sehr viel mit ihm gemeinsam», sagte sie, wobei sie ihren Sarkasmus gekonnt verbarg.

      «Zwei Männern mit einer Leidenschaft für das Erforschen gehen nie die Gesprächsthemen aus. Tatsächlich war ich zwecks einer Dinnerparty in seinem Haus in Belgravia, kurz bevor ich in die Wüste aufbrach. Ich bin überrascht, dass er Ihnen nichts davon erzählt hat.»

      «Mein Vater und ich haben ein ganzes Zeitalter lang nicht miteinander gesprochen. Vielmehr war ich mit meinen eigenen Projekten beschäftigt. Nun, also … ist dies Ihr erster Aufenthalt in Äthiopien?»

      «Oh, Himmel, nein. Damals in den Achtzigern habe ich jede Menge Zeit in Afrika verbracht, als ich in der Olduvai-Schlucht an meiner postdoktoralen Forschung gearbeitet habe. Den Großteil eines ganzen Jahres pendelte ich zwischen Äthiopien und Tansania. Dann trieb ich mich ein paar Monate lang mit einheimischen Knochengräbern in Addis herum. Aus Spaß sind wir einmal hierher gefahren. Sie wissen schon, Sightseeing.»

      «Wirklich? Das überrascht mich. Es besteht eine tiefreichende Verbindung zwischen den antiken Aksumiten und den arabischen Völkern. Ich will meinen, dass das für Sie von Interesse wäre, Dr. Madigan.»

      «Das ist es. Aber damals war es das noch nicht. Und, um Himmels willen, nennen Sie mich Danny.»

      «Wie Sie wollen.» Sie nickte in Richtung eines der Träger, einem schlanken Afrikaner mit nackten Füßen und einem lockeren weißen Turban aus Gaze. «Soto wird Ihnen Ihr Quartier zeigen. Wenn Sie sich eingerichtet haben, treffen Sie mich im Labor, sodass ich Sie über unseren Status informieren kann.»

      Er zeigte ein selbstsicheres Lächeln. «Sie sind der Boss, Lady.»

      ***

      Eine Stunde später kam Daniel ins Labor. Es ärgerte Sarah, dass er sich die Zeit genommen hatte, um zu duschen und ein sauberes armeegrünes T-Shirt anzuziehen. An seiner Stelle hätte sie ihre Koffer auf das Bett geworfen und den Raum wieder verlassen, bevor die Tür sich hätte schließen können. Immerhin hatte er sich nicht die Mühe gemacht, sich zu rasieren, sondern die dunklen Stoppeln auf seiner Kieferpartie belassen.

      «UNESCO hat Sie also angestellt, um uns zu beraten.» Sie gab sich keine besondere Mühe, ihren Vorbehalt der gesamten Angelegenheit gegenüber zu verbergen.

      «Es ist eher so, dass ich auf dem Rückweg von Saudi-Arabien nach Amerika war und man mich gebeten hat, vorbeizuschauen. Da ich in der Gegend war und so.»

      «Sie lassen es klingen, als wäre dies ein Freundschaftsbesuch.»

      «Wir können es so betrachten, wenn Sie möchten.» Er sah sie nachdenklich an. «Sie wirken nicht wirklich glücklich, mich zu sehen.»

      «Wie kommen Sie darauf?»

      «Keine Ahnung. Die Tatsache, dass Sie hier mit verschränkten Armen und Beinen stehen. Ihr defensiver Tonfall. Die Blitze in Ihren Blicken.»

      Sie tat seine Vermutungen mit einem spöttischen Lächeln ab. «Da liegen Sie ziemlich falsch.»

      «Tue ich das?»

      Sarah öffnete ihre verschränkten Arme. Sie war nicht in der Stimmung für ein Sparring. «Was hat man Ihnen alles über unsere Expedition mitgeteilt?»

      «Mal