Die Wissenschaft sagt uns, dass wir noch 10 bis 20 Jahre Zeit haben, um wirkungsvoll umzusteuern. Es ist nicht zu spät! Und natürlich löscht es uns auch danach nicht gleich aus, aber das mögliche Erreichen von Kipp-Punkten im Klimasystem wird immer unberechenbarer, immer gefährlicher für Leib und Leben und zudem auch immer teurer.
Schauen Sie sich Bilder europäischer oder asiatischer Städte nach dem Zweiten Weltkrieg an: Alles lag in Trümmern, das Leid war entsetzlich und trotzdem hatten die Leute mit Optimismus in die Zukunft geblickt und waren in der Lage zuzupacken. Heute neigen wir dazu, gesättigt auf dem Sockel des Luxus zu sitzen und in untätiger Angststarre von dort herab zu schauen. Schluss damit!
Die Bevölkerungszunahme und der Klimawandel
Der britische Autor Aldous Huxley, Verfasser von Schöne neue Welt, starb 1963 – übrigens am selben Tag, an dem John F. Kennedy erschossen wurde. Von Huxley stammt der Satz »Wenn wir dieses Problem nicht lösen, wird es all unsere Probleme unlösbar machen«, und er meinte damit die wachsende Zahl der Menschen – damals waren es etwa 3, heute fast 8 Milliarden. Jedes Jahr kommen rund 80 Millionen neue Erdenbürger hinzu, vorwiegend in den sogenannten Entwicklungsländern. Das bedeutet, dass wir einmal im Jahr die Einwohner Deutschlands zusätzlich auf dieser Welt unterbringen müssen. Stellen Sie sich mal eine Weltkarte vor und überlegen Sie, wie das vernünftig gehen soll. In jeder Sekunde sind etwas mehr als zwei von uns neu auf der Erde – vier werden geboren, knapp zwei versterben. Die Fläche ist dabei allerdings unproblematisch: Rechnet man nüchtern, dann passen zwei Menschen stehend auf einen Quadratmeter und so bräuchten wir alle zusammen knapp 4 000 Quadratkilometer (auch wenn das natürlich kein besonders komfortabler Zustand wäre). Dafür reicht schon ein recht kleines Fleckchen aus: Das Saarland und Luxemburg haben zusammen zum Beispiel 5 000 Quadratkilometer. Das Problem liegt vielmehr im Input und Output, sprich einerseits in der Versorgung mit Nahrung und Trinkwasser und andererseits in der Emission von Treibhausgasen. Denken Sie an die »erlaubten« zwei Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr. Dann lautet der einordnende Satz, dass wir für unseren Lebensstil zu viele sind. Genauer und im Klimakontext: Alle, die über zwei Tonnen liegen, sind das Problem.
Daran lässt sich aus dem Stand freilich nichts ändern, wir sind ja nun mal alle da. Selbstverständlich möchte auch jeder Mensch ein möglichst reiches und erfülltes Leben führen und es gibt wohl niemanden, der dafür kein Verständnis hat. Wunsch und Wirklichkeit klaffen allerdings massiv auseinander und so ist die Welt ein Hort der Ungerechtigkeiten. Ist man in Mitteleuropa geboren, hat man das glückliche Los gezogen – in Malawi oder Bangladesch nicht.
Es muss also vieles verändert werden: Neben dem Lebensstil auch die Verteilung der Güter. Den moralisch in uns steckenden Gerechtigkeitswunsch haben wir, seit es den Homo sapiens gibt, nie erfüllt und die dafür notwendigen Anpassungen unseres Lebensstils sind erkennbar schwer. Richten wir unseren Blick also zunächst darauf, unsere Vermehrung in geeigneter Weise in den Griff zu bekommen. Exemplarisch für die ungeeigneten Herangehensweisen steht die chinesische Ein-Kind-Politik. Abgesehen von soziologischen Fragestellungen zum Thema Einzelkind und der tragischen Entwicklung, dass immer mehr weibliche Föten vor allem in ländlichen Gebieten abgetrieben wurden, steht die chinesische Bevölkerungspyramide nun Kopf – eine alternde Gesellschaft mit starkem Männerüberschuss –, und niemand in China weiß, von wem die vielen Alten später versorgt werden sollen. Auch wenn China diesen Irrweg 2016 verlassen hat, wird der radikale Eingriff noch lange nachwirken.
Geeigneter ist wahrscheinlich ein gänzlich anderer Pfad, der über Bildung und Gleichberechtigung führt. Je gebildeter die Menschen sind und je mehr Frauen selbst über ihre Schwangerschaft bestimmen können, desto weniger Kinder bekommen sie. Diese Tendenz lässt sich auf der ganzen Welt anhand der Daten beobachten und – ohne es an dieser Stelle komplett zu analysieren – ist auch intuitiv nachvollziehbar. Legt man mehr Wert auf Ausbildung, bekommen die Frauen ihr erstes Kind später, und wo sie entscheiden können, erhält das Thema Verhütung oder Abtreibung einen ganz anderen oder oft überhaupt erst einen Stellenwert. Vernünftige Entwicklungspolitik reduziert den globalen Zuwachs und liefert folglich einen ordentlichen Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz.
Aber – wie so oft – muss man vorsichtig sein und das ist der Grund, warum im letzten Satz das nicht gerade euphorische Wort »ordentlich« steht. Ein Mensch, der etwa in der Republik Niger geboren wurde – Niger hat derzeit das größte Bevölkerungswachstum der Welt, denn jede Frau hat im Schnitt rund sieben Kinder –, wird wahrscheinlich niemals ein Flugzeug sehen oder erst recht nicht besteigen. Will heißen, die Menschen dort verursachen durch ihren oft ärmlichen Lebensstil nur wenig Emissionen und damit verbleibt die große Klimawirkung – trotz stagnierender oder rückläufiger Bevölkerung – aufseiten der Industrienationen.
»Rückläufig« ist in diesem Zusammenhang ein spannendes Wort. Manchen Prognosen zufolge erreichen wir um das Jahr 2100 mit 11 Milliarden Menschen die maximale Bevölkerungszahl, die von den natürlichen Ressourcen der Erde getragen werden müsste, andere sehen sie knapp unter 10 Milliarden im Jahre 2070 und Jørgen Randers, der schon 1972 am Bericht »Die Grenzen des Wachstums« und auch am Nachfolgebericht »2052. Der neue Bericht an den Club of Rome« mitgewirkt hat, sieht etwa 8,1 Milliarden Menschen im Jahre 2040 als Maximum. Unabhängig davon, welche Prognose letztlich zutrifft, stets ist von einer Obergrenze die Rede. Wir wissen also schon – sonst wäre es ja kein Maximum –, dass unsere Anzahl wieder abnehmen wird. Warum aber ist das so und wohin führt das bezüglich des Klimawandels?
Schauen wir uns dazu ein paar Zahlen an: Zu Shakespeares Zeiten lebten in Summe etwa 0,4 Milliarden Menschen, die erste Milliarde wurde um 1800 überschritten, die zweite nach 128 Jahren im Jahre 1928. 1959 waren es drei Milliarden, 1973 schon vier, 1986 dann fünf, 1998 sechs und 2010 schließlich sieben Milliarden. Der zeitliche Abstand zur nächsten Milliarde damit: 128 Jahre, dann 31, 14, 13, 12 und wieder 12. Das zeigt, dass wir es schon jetzt nicht mehr mit einer Bevölkerungsexplosion zu tun haben, denn das Wachstum beschleunigt sich nicht mehr. Der Zusammenhang ist mittlerweile linear: Wir brauchen 12 bis 14 Jahre für die nächste Milliarde. Das geht natürlich nur, weil die Geburtenrate im Mittel bereits jetzt abnimmt. Damit eine Population stabil bleibt, muss jede Frau durchschnittlich 2,1 Kinder bekommen, damit die Bevölkerung nicht schrumpft. Und jetzt: Sämtliche Industrienationen und in Summe die Hälfte aller Länder dieser Erde liegen unterhalb dieses Wertes – Südkorea mit weniger als einem Kind pro Frau am deutlichsten, in Deutschland und Japan sind es beispielsweise anderthalb Kinder pro Frau. Experten sehen drei Stufen der historischen Demografie: Stufe eins dauerte von Beginn der Menschheit bis ins 18. Jahrhundert. Die Geburtenrate war hoch, die Sterberate auch, die Bevölkerung wuchs langsam. Stufe zwei hält Einzug mit besserer Ernährung und vor allem verbesserter Medizin. Die Geburtenrate ist noch hoch, die Sterberate geht aber deutlich zurück und so wächst die Population stark. In Stufe drei nimmt nun auch die Geburtenrate ab, wahrscheinlich durch die Urbanisierung. In der Stadt kostet ein Kind Geld, da es Nahrung braucht, aber anders auf dem Land nichts zum Erwerb der Familie beitragen kann. Die Geburtenrate ist in Zeiten der wachsenden Metropolen vor allem eine ökonomische Frage und mit zunehmender Bildung geht die Anzahl der Kinder zusätzlich zurück.
Für das Thema Klimawandel bedeutet diese wichtige Komponente zusammengefasst folgendes: Je schneller die Klimaänderung kommt, desto schwieriger wird es, weil sie dann mit dem Zeitpunkt der höchsten Weltbevölkerung zusammenfällt. Wenn gut gemachte Maßnahmen den Klimawandel frühzeitig erfolgreich abmildern, dann wird die spätere Abnahme der Zahl der Menschen automatisch zum Klimaschutz beitragen. Noch kürzer: Emissionen und Population werden beide ein Maximum haben und wir müssen organisieren, dass beide Maxima nicht zeitgleich eintreten. Auch hier zeigt sich die Notwendigkeit des Wahlspruchs »flatten the curve« – genau wie beim Umgang mit dem Coronavirus.
Klimakonferenzen neu denken
Die weltweiten jährlichen Klimakonferenzen sind zunächst natürlich sinnvoll. Würde man international gar nicht mehr miteinander sprechen, hätte niemand etwas gewonnen. Aber die Systematik gehört auf den Prüfstand! Heute muss jeder Beschluss von den 190 Unterzeichnerstaaten der Klimarahmenkonvention einstimmig getragen werden. Es erklärt sich damit eigentlich ganz von selbst, dass wir seit Jahren immer das Gleiche erleben: