bin ein guter Menschenkenner.«
»Ach wirklich?«
»Als ich dich in meinem Club geküsst habe, da hast du es zugelassen, und doch war da ein Ausdruck in deinen Augen, der nach Angst oder Zurückhaltung aussah. Was hast du erlebt?«
Ich muss wissen, worauf ich mich mit ihr einlasse. Wie weit ich gehen kann, ohne sie zu verletzen.
»Warum erzählst du nicht ein wenig über dich und deinen Lifestyle?«, versucht sie, abzulenken. Sie will mich immer noch aus der Reserve locken.
Alles zu seiner Zeit, mein Engel.
»Willst du ein Dossier über mich?«
Sie nickt.
»Okay. Ich bin fast 33 Jahre alt, nicht verheiratet oder sonst liiert, und lebe mit meinem Hund Charly hier in Boston, mit dem ich in der Regel jeden Morgen joggen gehe, wenn ich nicht zufällig von einer hübschen, jungen Frau angefahren werde«, teile ich ihr grinsend mit.
»Du hast einen Hund?«, fragt sie überrascht.
Volltreffer! Ich wusste, dass sie auf Charly anspringt und ich so von mir ablenken kann.
»Ja, warum überrascht dich das?«
»Keine Ahnung. Welche Rasse?«
»Rhodesier. Und jetzt zu dir«, dabei beuge ich mich wieder nach vorne, greife ihre Hand und massiere mit meinem Daumen ihre Handinnenfläche, was sie leicht erzittern lässt.
»Nichts Besonderes«, wehrt sie ab. Aber ich weiß genau, dass sie nicht mehr lange standhaft bleiben und mir auch noch den Rest über sich erzählen wird.
»Und wenn ich dir das nicht glaube?«
Die Kellnerin kommt an unseren Tisch und stellt zwei Gläser Tafelwasser vor uns, was unsere Unterhaltung unterbricht.
»Wisst ihr schon, was ihr nehmt?«, fragt sie und zückt einen Stift.
»Die Tapas hier sind gut«, schlage ich Sunday vor. Sie nickt. »Wir nehmen einen großen Tapas-Teller und zwei Bier«, dabei schaue ich sie an, ob die Bestellung für sie auch okay ist. Sie nickt wieder.
Als die Kellnerin sich wegdreht, beuge ich mich auf dem Tisch weiter nach vorne, greife zärtlich eine ihrer Haarsträhnen, die ihr locker auf die Schultern fallen und wickle sie mir um den Finger. Diese Geste, die nichts Intimes hat und doch so vertraut ist, dass sie wieder kurz die Luft anhält, lässt den letzten Rest ihrer Zurückhaltung dahinschmelzen.
»Kannst du etwa Gedanken lesen?«, fragt sie leise.
Aber ich gehe gar nicht auf ihre Frage ein. »Ich tippe auf einen Mann, der dich verletzt hat«, sage ich stattdessen und beobachte genau ihre Reaktion.
Jetzt ist es mit ihrer Distanziertheit endgültig vorbei. Einen Moment wirkt sie nachdenklich und weit weg von hier, bevor sie sich mir wieder ganz zuwendet.
»Er war nicht ehrlich. Das Übliche eben.« Dabei schaut sie auf den Tisch und lässt ihre Finger an ihrem Glas entlanggleiten.
»Nicht jeder Mann ist so. Du hast einfach dem Falschen vertraut.«
»Woher soll man wissen, dass es der Richtige ist?« Sie schaut auf und ihr Blick wirkt verletzt, sodass es mir einen Stich versetzt. Ich bin auch nicht ehrlich zu ihr!
Jetzt ist sie es, die meine Reaktion genau beobachtet. Aber ich kann meine Gefühle verbergen. Noch.
»Das wirst du spüren.«
Sie lacht bitter auf. »Gute Antwort. Sagt nur nichts aus.«
»Erzähl mir von ihm«, fordere ich sie auf.
»Was willst du wissen?«, fragt sie fast reserviert.
»Ich will alles über dich wissen.« Meine Stimme ist weich.
Sie lehnt sich zurück und starrt kurz den Barkeeper hinter der Bar an, der der Frau ihm gegenüber schon seit geraumer Zeit verliebte Blicke zuwirft.
»Sunday?«, frage ich leise, während ich nach ihrer Hand greife und wieder zärtlich darüber streichle.
»Tut mir leid. Ich war gerade ...«
»Ich weiß schon, bei ihm. Er hat dir wehgetan.«
»Ja, aber das ist jetzt vorbei«, sagt sie bestimmt.
»Was ist passiert?«
»Sean und ich waren über sechs Jahre zusammen. Da kann man schon davon ausgehen, dass man den Richtigen hat, oder?«
Ich nicke verhalten, während ich den Schweinehund in meinem Inneren erfolgreich zurückdränge.
»Wir lernten uns während des Studiums kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick und es hat auch nicht lange gedauert, bis wir uns zusammen eine Wohnung genommen haben. Alles war perfekt«, dabei schaut sie traurig an mir vorbei, bevor sie weiterspricht. »Bis zu dem Moment, als sie in sein Leben trat.«
»Eine andere Frau also.«
»Was sonst?« Sie nickt und starrt auf ihre Hände, die das Glas umklammert halten, während ich mit meinem Zeigefinger kleine Kreise auf ihrem Handrücken zeichne.
Ich sage nichts, gebe ihr Zeit. Nach einigen Sekunden schaut sie auf. Mein Blick ist auf sie gerichtet und meine Miene drückt Mitleid aus. Aber das ist das Letzte, was sie jetzt braucht. Schnell fasst sie sich wieder.
»Er hat sie während seiner Schicht in der Bar kennengelernt, in der wir beide gejobbt haben. Die Beziehung lief schon eine ganze Weile, bis ich es gemerkt habe.«
»Hast du sie in flagranti erwischt?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Nein, das nicht. Aber zufällig bekam ich ein Bild von einem kleinen Baby in die Hände. Sein Kind, ein kleiner, süßer Junge, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ist.«
Ich schließe kurz die Augen und wende den Kopf ab. Verdammte Scheiße, ich sollte die Finger von ihr lassen. »Das tut mir leid.«
»Es ist vorbei. Es bedeutet mir nichts mehr.«
»Wie lange ist das her?«
»Vor fünf Wochen bin ich ausgezogen.«
»Dann wundert mich nichts.«
Sie zuckt mit den Achseln. »Was hast du erwartet? Ich bin keine, die sich von einem Abenteuer ins nächste stürzt.«
»So habe ich dich auch nicht eingeschätzt.«
»Hast du nicht? Dabei dachtest du, ich sei eine Prostituierte«, hält sie mir jetzt vor. Verdammt, ich habe sie unterschätzt.
»Das habe ich niemals gedacht. Dafür bist du viel zu schüchtern und anständig.«
»Warum hast du dann ...«
»Nein, vergiss es einfach. Was hast du getan, als du es herausfandest?«
»Na ja, der Rest ist schnell erzählt. Es gab einen fürchterlichen Streit und ich bin bei Elijah eingezogen. Dort wohne ich seitdem.«
»Elijah? Wer ist das?«, frage ich stirnrunzelnd.
»Elijah ist der Clubbesitzer, bei dem ich gejobbt habe, und ein echter Freund. Ihm gehört der Sky Club. Vielleicht kennst zu ihn?«
»Flüchtig. Er ist sicher ein guter Freund.«
»Der Beste«, bestätigt sie mir lächelnd. »Er ist schwul«, betont sie dann noch.
Das geht mich zwar nicht das Geringste an, aber sie sagt es mir dennoch. Ich wollte auf keinen Fall den Verdacht erwecken und ihr unterstellen, sie hätte etwas mit Elijah. Es war einfach nur so dahingesagt. Ein entspanntes Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. »Das freut mich.«
Sunday stützt die Arme auf dem Tisch auf, legt das Kinn in ihre Hände und schlägt die Beine übereinander.
»Was denkst du?«
Leise