speichern etwas auf allen deinen Geräten, sodass jeder deine Identität auslesen kann. Einfach so. Von wegen Internet 2.0 und sich unerkannt im Netz bewegen.«
Allem Anschein nach unterschätzte man die kleine Frau mit der Fistelstimme.
»Dann kann also jeder herausfinden, welche Geräte ich benutze und letztlich, wer ich bin, nur weil ich Facebook benutze?«
»Klar, und du wusstest das nicht, wie die Allermeisten. Das Beste ist, dass du inzwischen nicht einmal mehr bei Facebook sein musst, um so beglückt zu werden. Günther und Tatjana wollen mir das nicht glauben.«
»Versuch mal, dich bei FB einzuloggen, wenn du Cookies deaktiviert hast.« Ronnas raue Stimme war die Ruhe selbst. »Hast du dich nie gewundert, wieso du im Nullkommanix die passende Werbung überall eingeblendet bekommst, nachdem du in irgendeinem Online-Shop warst? Es reicht sogar, nur über die Sachen zu reden. Mikrofone im Smartphone oder Rechner lauschen mit, Spracherkennung und künstliche Intelligenz im Hintergrund erledigen den Rest.«
Unwillkürlich versteifte sich Jana. Sich als Dummchen abkanzeln zu lassen tat weh. »Es ist doch viel besser, gleich passende Angebote zu bekommen, statt ewig zu suchen«, erwiderte sie zaghaft. Der Grat zwischen maßgeschneiderten Angeboten und arglistiger Verführung war schmal, und es störte sie gewaltig, wenn sie nicht Herr ihrer Entscheidungen war.
»Auch, wenn man dafür aufzeichnet, was du kaufst, mit wem du Kontakt hast, wo du herumläufst, wann du was machst?« Mandy fand das offensichtlich unzumutbar.
Jana stimmte ihr grundsätzlich zu, aber das wollte sie nicht zugeben. »Schön«, erwiderte sie mit einem Schulterzucken. »Aber das stört mich nicht. Die paar privaten Daten, die ich damit freigebe – ich habe ja nichts zu verbergen, und dafür bekomme ich das alles kostenlos.«
»Bist du sicher, dass du überhaupt private Daten hast?« Mandy schnaufte abschätzig.
Jana antwortete nicht. Die Situation war ihr unangenehm. Schön, sie hatte eine Menge Dinge erfahren, die sie erst einmal verdauen musste.
»Kann mir jemand sagen, wo Greta ist?«, fragte sie. Ihre Tante war nicht stehen geblieben, als Mandy sie auf dem Rückweg von der Küche abgefangen hatte.
»Sie ist auf die Terrasse gegangen«, sagte Ronna.
Jana bedankte sich und steuerte die Terrassentür an. Sie rieb ihre feuchten Handflächen aneinander. Die Probleme waren nicht in Berlin geblieben. Ihr Versuch, sich über eine neue E-Mail-Adresse zu tarnen, war kläglich schiefgegangen. Man hatte ihre wahre Identität herausgefunden – wer auch immer man war. Sie hoffte, dass Nils ihr helfen konnte, bevor etwas wirklich Schlimmes passieren würde.
Kapitel 6
Mittwoch, 28. Oktober 2020 – Humboldt-Universität, Berlin
Die folgende Woche war ohne größere Zwischenfälle oder dubiose Nachrichten verlaufen. Jana hatte eisern gearbeitet, um versäumten Stoff nachzuholen. Unter den Problemen der vergangenen Wochen hatte nicht nur ihre Seminararbeit gelitten. Nachdem sie auch das Wochenende in ihrer Wohnung über Büchern und Skripten brütend verbracht hatte, fühlte sich sich wieder auf Stand im Studium.
Ihren Rechner hatte sie in der Zeit nicht angerührt. Am Montag hatte sich Nils endlich per E-Mail gemeldet und vorgeschlagen, sich am Mittwoch um 14.00 Uhr in der Mensa der Humboldt-Uni zu treffen, um ihren Laptop auf Vordermann zu bringen. Erwartungsvoll bezog Jana fünfzehn Minuten vor der verabredeten Zeit ihren Posten am Eingang der Mensa, um Nils auf keinen Fall zu verpassen. Zehn Minuten später kam er mit langen Schritten auf sie zu.
»Hi!«, grüßte er. »Was gibt es denn heute?«
»Hallo!«, erwiderte Jana. »Weiß nicht.« An Essen hatte sie nicht gedacht. Nils’ Gesichtsausdruck nach zu urteilen war er am Verhungern. Er deutete mit einer seitlichen Kopfbewegung in Richtung Essensausgabe und ging voraus. Sie folgte ihm.
»Auf dem Geburtstag meiner Tante gab es ein paar schräge Typen«, begann Jana, während sie mit Tabletts bewaffnet das Angebot sondierten. »Eine Frau hat erzählt, dass die Googles, Amazones, Facebooks dieser Welt überall Cookies hinterlassen, was im Endeffekt dazu führt, dass man einfach rausfinden kann, was ich wann mit meinem Computer mache. Noch schlimmer, dass die über die Mikrofone einen abhören und das für ihre Zwecke analysieren. Wie siehst du das?«
»Stimmt schon«, meinte Nils und griff sich eine Schüssel voll Eintopf. »Die greifen ungefragt deine Kontakte ab und benehmen sich, als würde dein Rechner ihnen gehören.« Jana nahm sich ein belegtes Brötchen und ein Mineralwasser. »Aber du hast selbst dann Probleme, wenn dein Blechkopf offline ist. Mir fällt keine plausible Erklärung ein, warum deine Maschine im Stand-by die ganze Zeit rödelt oder woher diese obskuren Prozesse kommen.« Nils brach ab und zahlte seinen Eintopf. Jana zahlte ebenso, sie holten sich Besteck und sahen sich nach einem geeigneten Platz um. Gegen 14.00 Uhr verloren sich nur noch wenige in der Mensa. Sie setzten sich nebeneinander an einen Tisch abseits, und Jana legte ihren Laptop zwischen Nils’ Schüssel und ihren eigenen Teller. Sie klappte den Rechner auf und entsperrte ihn. Nils steckte einen USB-Stick ein.
»Ich halte es nicht für undenkbar«, nahm Nils das unterbrochene Gespräch wieder auf, »dass Unternehmen Trojaner einschleusen. Moralische Bedenken haben die keine, da bin ich mir absolut sicher. Allerdings kommt so etwas unweigerlich irgendwann heraus und könnte das Unternehmen ruinieren. Nicht vorstellbar, dass die sich trauen, merkwürdige Prozesse zu starten und Sachen zu kompilieren. Google, Amazon, Instagram, Facebook, Snapchat und so weiter können wir somit ausschließen. Ein Trojaner, der deinen Rechner fernsteuert und in ein ›Botnetz‹ einbindet, scheidet ebenfalls aus. Die Teile müssen unauffällig sein. Weißt du, was das ist?«
Jana schüttelte den Kopf.
»Bot ist die Abkürzung für Roboter. ›Botnetze‹ schleusen Trojaner in alle möglichen Rechner ein und nutzen deren Rechenkapazität für krumme Sachen. Man schätzt, dass bis zu 40 Prozent aller Privatrechner in Deutschland für ›Botnetze‹ missbraucht werden.«
Jana schnappte nach Luft. Es überstieg ihr Fassungsvermögen, dass fast die Hälfte aller Rechner in Deutschland gehackt waren.
Nils sprach unbeirrt weiter. »Ich denke, du hast einen neuen Virus oder ein ähnliches Tierchen im Rechner, und das werden wir gleich beseitigen.« Dabei pochte er auf den USB-Stick und grinste lausbübisch. »Auf dem USB-Stick habe ich die neuen Signaturen und die passenden Programme, um sie einzuspielen.« Nils tippte einen Befehl ein. »So, das war’s. Jetzt lassen wir den Virenscanner die ganze Festplatte von Grund auf abgrasen, und die Sache hat sich.« Er deutete auf ein Bildschirmfenster, das den Fortschritt anzeigte. Nebenbei löffelte er seinen Eintopf. Jana betrachtete schweigend den Bildschirm, wo der Prozentwert der Fortschrittsanzeige gleichmäßig anwuchs, bis er schließlich 100 erreichte. Unter einem grünen Balken erschien der Hinweis, dass alles in Ordnung sei.
Jana sah zu Nils, der mitten in der Bewegung innehielt und für einen Moment mit vollem Löffel vor dem offenen Mund dasaß.
»Das gibt es doch nicht.« Nils legte den Löffel zurück in den Teller. »Das Teil hat nichts gefunden.«
Jana verschränkte die Arme. Ihr lief es eiskalt über den Rücken. »Habe ich eine Zeitbombe im Rechner, die alle meine Daten löscht oder mein Bank-Passwort abgreift?« Sie kratzte sich hinter dem Ohr.
»Mach dir keine Sorgen.« Nils machte eine beschwichtigende Geste in ihre Richtung, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. »Das werden wir in den Griff bekommen. Dauert aber ein paar Tage. In der Zwischenzeit könntest du das selber im Auge behalten und mir Bescheid sagen, falls sich etwas ändert. Du machst den Affengriff und klickst hier, um den Task-Manager zu starten. Damit hast du die Anzeige mit den laufenden Prozessen. Abschießen geht über rechte Maustaste und klick.«
»Ich musste eben, als du von Tierchen auf meinem Rechner gesprochen hast, an Cooties denken«, bemerkte Jana, während sie den Rechner zu sich nahm und probeweise den Task-Manager aufrief. »Hast du davon schon mal gehört?«
»Die eingebildeten Läuse aus dem Kinderspiel? Das