Sie die Gans getötet?«
»Nein. Ich habe auch nicht den geringsten Schimmer, warum sich die Polizei dafür interessiert.«
»Nonnengänse stehen unter strengstem Schutz.«
»Ich weiß. Ich habe keine Ahnung, warum sie kopflos dort herumlag. Ich glaube, Sie gehen besser«, sagte der Mann und begann nun eine Zwiebel in rasender Geschwindigkeit in kleine Stücke zu zerteilen. Plötzlich schrie er auf. Anika sah Blut aus seinem Zeigefinger laufen. »Das haben Sie jetzt davon«, schrie er weiter. »Verdammt, ich muss gleich dieses Essen zubereiten.«
»Kann ich Ihnen ein Pflaster holen?«, fragte Anika, als sie sah, dass das Bluten nicht aufhörte.
»In der Schublade.«
Anika schob die Lade auf und fischte ein Pflaster heraus. Sie hoffte, dass es die richtige Größe hatte, zog das Papier ab und verarztete Diesterwegs Finger.
»So, bevor die drei Damen kommen, sage ich Ihnen etwas und dann gehen Sie: Ich mag Wilko sehr und freue mich, dass er sich so für das Kochen interessiert. Genau, wie ich mich auf die Gäste freue, denen ich mein Wissen weitergeben kann.«
»Wie auch immer – ich kann Ihnen nur raten, den Kontakt zu dem Jungen zu beenden. Seine Eltern sind dagegen. Zumindest, bis sich die Sachlage geklärt hat«, forderte sie den Mann eindringlich auf.
»Das Leben ist kurz, man muss das Beste draus machen.« Sehr zu Anikas Erstaunen lächelte Diesterweg sie freundlich an.
Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was er damit sagen wollte, hatte jedoch das Gefühl, dass er ihr den tieferen Sinn hinter seinen Worten nicht erklären würde.
Diesterweg hatte die Küchentür geöffnet und zeigte in den Flur. »Sie finden allein raus? Ich habe zu tun.« Er nahm ein Messer aus der Schublade. »Ich muss Kräuter aus dem Garten holen. Für die Smoothies.«
Was sollte sie machen? Einfach gehen? Es gab keinen Grund für weitere Befragungen. Im Hausflur nahm sie ihr Notizbuch heraus. Sie würde mit Röder die Sache besprechen. Ebenso würde sie nach Jessens Akte fragen. Auch dazu machte sie eine kurze Notiz, steckte das Büchlein wieder ein und verließ das Haus. Ein Zusammentreffen mit der Mieterin von oben brauchte sie nicht mehr.
Was sie jedoch dringend brauchte, war Nahrung. In welcher Form auch immer. Ihr wurde klar, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte und nichts Greifbares in der Dienstwohnung finden würde. Sie hatte schlichtweg vergessen einzukaufen. Kochen war sowieso nicht unbedingt ihre Leidenschaft. Wie der Diesterweg sich ständig damit beschäftigen konnte, war ihr schleierhaft. Essen diente dazu, den Körper auf Trab zu halten und nicht, stundenlang in einem Restaurant auf ein Häppchen nach dem nächsten zu warten und zum Schluss halbhungrig 200 Euro auf den Tisch zu blättern. So war es ihrer Freundin passiert. Die schwärmte heute noch davon.
Vielleicht sollte sie auch mal bei Diesterweg in die Lehre gehen, um ihren kulinarischen Horizont zu erweitern. Aber erstens war der Verdacht der illegalen Tiertötung nicht vom Tisch und zweitens hatte sie keine Ahnung, ob Diesterweg wirklich so gut in seinem Fach war. Stattdessen holte sie sich im »Inselmarkt« eine Reispfanne. Das musste für den Abend reichen.
Doch als ihr Telefon klingelte, ahnte sie, dass ihre Reispfanne warten musste. Sie sollte recht behalten.
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