Ulrike Barow

Baltrumer Wattenschmaus


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mit dem Queller. Die Lust am Kochen war ihm vergangen. Zumindest für heute. Aber es nützte nichts. Die Damen vom Kochclub würden darauf keine Rücksicht nehmen.

      7

      Röder hatte im Bioladen gerade die letzte Schraube in die Wand gedreht, als Hans Jessen ihm mitteilte, dass Wilko zu Hause sei.

      »Und – wo hat er gesteckt?«, fragte Röder.

      »Mit dem Diesterweg aus unserem Haus war er zum Queller pflücken. Wilko hat mir bestätigt, dass er dem Mann vorgeschwindelt hat, die Schule sei ausgefallen. Da hat ihn Diesterweg ohne Nachfrage einfach mitgenommen.«

      »Na, dann haben sich unsere Sorgen um den Jungen ja in Luft aufgelöst«, war Röder erfreut.

      »Wie man es nimmt. Ole Zander hat gesehen, wie Wilko und der Diesterweg eine tote Gans mit aus dem Watt genommen haben. Ist doch nicht normal, oder? Ich meine, der muss das Tier nicht in Wilkos Beisein töten. Wilko ist erst elf.«

      »Wenn es Sie beruhigt, werde ich meine Kollegin vorbeischicken. Die kann mit Ihrem Sohn und Herrn Diesterweg reden. Ich denke, sie hat ein sehr gutes Gespür dafür, ob mit dieser Sache etwas nicht stimmt«, schlug Röder vor.

      »Gute Idee. Machen Sie einen Termin mit unserem Chefkoch, dann melden Sie sich bei uns. Wir sind den ganzen Nachmittag da«, erwiderte Jessen.

      Als der Mann das Gespräch beendet hatte, überlegte Röder, was er Anika mit auf den Weg geben konnte. Die Stimme des Mannes hatte weder wütend noch ängstlich geklungen, aber auch nicht gefestigt. Mehr so, als ob er mit der Angelegenheit ziemlich überfordert war. Er hoffte, dass Anika den richtigen Ton anschlagen würde. Er hielt sie für eine recht kompetente Kollegin, doch wenn es sich um Kinder in Notsituationen handelte, schien sie ein wenig zu überreagieren. Vielleicht täuschte er sich auch, und es war nur normal, dass Frauen entsprechende Gefahrenlagen anders beurteilten. Schließlich war es bisher nicht sehr häufig vorgekommen, dass ihm eine weibliche Hilfe zugeteilt worden war. Bis auf Marlene. Aber das war ein anderer Fall.

      »Hilfst du uns, die Kisten hereinzutragen?« Sandra rüttelte leicht an der Leiter.

      Er erschrak und wäre beinahe runtergefallen, wenn seine Frau ihn nicht gehalten hätte. »Ist doch gut, wenn eine schützende Hand über einem wacht«, lächelte sie.

      »Stimmt. Besonders, wenn die Hand vorher dafür verantwortlich war, dass die Leiter überhaupt erst wackelte«, erwiderte er. Draußen war der Pferdewagen vorgefahren. Der Kutscher schlug die Seitenklappe nach unten und schob einige Kisten an den Rand der Ladefläche.

      »Dann wollen wir mal.« Eine Kiste nach der anderen trug Röder in den Laden. »Muss die Kühlkette nicht eingehalten werden?«, versuchte er, sein neu erworbenes Fachwissen anzuwenden. Sandra hatte ihn, während sie mit ihrer Freundin Eva den Bioladen eingerichtet hatte, ausführlich daran teilhaben lassen.

      »Ach«, beruhigte Sandra ihn. »In den Kisten und Kartons sind Nudeln, Reis und Dosensuppen. Da muss das mit der Kühlkette nicht sein«, fügte sie leicht ironisch hinzu. »Wenn morgen die Bestellung von Milch, Butter, Joghurt und so weiter angeliefert wird, dann kommt das in blauen Kühlbehältern.«

      Richtig. Die standen auch immer beim »Frischemarkt« und beim »Inselmarkt« herum. Sie stapelten die Waren in einer Ecke des Ladens, dann rief er Anika an. Sie versprach, umgehend bei Jessens vorbeizuschauen und sich ein Bild zu machen.

      Kaum hatte er sein Handy in der Hosentasche verstaut, meldete es sich erneut. Sein Chef aus Aurich war dran. Röder hörte interessiert zu, was Müller ihm zu sagen hatte.

      »Mit der Abendfähre kommen zwei Kollegen rüber. Die wollen ein paar Sachen näher recherchieren bezüglich der Knochenfunde. Es wäre nett, wenn du zwei Zimmer besorgen könntest. Sie wollen mindestens für eine Übernachtung bleiben.«

      »Das dürfte in dieser Jahreszeit kein Problem sein«, war Röder überzeugt. »Im Hotel ›Sonnenstrand‹ ist immer etwas für uns frei, wenn wir nett darum bitten.« Seit vielen Jahren waren Henning und Birgit Ahlers, die Besitzer des Hotels, kompetente Ansprechpartner, die nicht nur Zimmer, sondern regelmäßig auch ihren Clubraum für die Polizeiarbeit zur Verfügung stellten. Die Baltrumer Wache war für mehr als zwei Personen nicht ausgelegt. »Wer kommt denn?«

      »Herbert Pankok aus Bremen. Da gibt es nämlich eine vielversprechende Spur. Aus unserem Kommissariat wird auch einer mit anreisen. Das wird sich gleich entscheiden. Nur, dass du Bescheid weißt. Wäre schön, wenn du die Kollegen vom Schiff abholst und einweist.« Damit war das Gespräch beendet.

      Röder wunderte sich. Sonst hatte sein Chef durchaus mehr Zeit, wenn sie Telefonkontakt hatten. Aber vielleicht hatte gerade jemand sein Büro betreten und er musste sich anderen Aufgaben zuwenden. Wieder steckte er das Telefon ein. Er war gespannt, wer an Pankoks Seite auftauchen würde. Vielleicht Marvin Lingenberg, der bereits einige Male auf der Insel bei Mordfällen ermittelt hatte und sich inzwischen recht gut auskannte.

      »Soll ich mit auspacken helfen?«, fragte er in der Hoffnung, dass der Kelch an ihm vorüberging. Er hatte Glück. Sandra zog es vor, die Ware Stück für Stück nach eingehender Begutachtung selbst in die Regale zu stellen.

      »Gut. Ich bin auf der Wache, falls du mich brauchst. Später fahre ich zum Schiff.«

      »Drehst du mit Amir eine Runde?«, fragte sie.

      »Mache ich. Ich will sowieso mal eben zum Wasser gucken.« Er verabschiedete sich und fuhr nach Hause, wo sein Heidewachtel bereits wartete. Zumindest erweckte es den Anschein, so, wie der Hund ihn sehnsüchtig anschaute, als Röder die Küche betrat.

      Der Hund sprang sofort auf, als Röder die Leine vom Haken nahm. »Also, los geht’s.« Er schaute in den Dienstraum, aber Anika war nicht da. Wahrscheinlich war sie bereits auf dem Weg zu Jessens.

      Auf der Strandmauer waren einige Spaziergänger unterwegs. Die meisten Tagesgäste, die morgens mit dem Schiff gekommen waren, hatten ihre Strandmuscheln aufgebaut und sich im Sand ein gemütliches Nest geschaffen, das sie noch nicht bereit waren aufzugeben. Sie würden später mit der »Baltrum III« zurück ans Festland fahren. Die große Fähre war bereits unterwegs nach Neßmersiel. So regte sich buntes Treiben, obwohl es erst Mitte Mai und Vorsaison war. Auch die Strandkörbe, die die Mitarbeiter des Bauhofes aus dem Winterschlaf geholt hatten, waren gut belegt. Röder wandte sich nach links und ging an den Buhnen vorbei bis zur Kuckucksdüne. Er wunderte sich immer wieder, wie hartnäckig die Natur ihren Platz eroberte. Die Strandmauer, ein Gebilde aus beinahe nichts als Beton und Steinen, wies über die ganze Länge ganz schmale Einbuchtungen auf, in die sich Sand gesetzt hatte. Darin trotzten Löwenzahn, Gänseblümchen, Disteln und viele andere Arten ungeschützt Sturm, Regen und Salzwassergischt.

      Das Wasser lief bereits wieder auf. Er schaute auf die Uhr. Noch eine Stunde, dann würde die »Baltrum I« in Neßmersiel die Motoren anschmeißen.

      Er ließ die Strandmauer hinter sich und ging zurück ins Dorf. In Höhe des Nationalparkhauses sah er Ole Zander auf dem Fahrrad vom Hafen kommen.

      »Na, Wattwanderung beendet?«, rief er ihm zu.

      »Ja, schon eine ganze Weile. Habe mich mit Gästen unterhalten, die seit 30 Jahren auf die Insel kommen und alles kennen. Besser als die Einheimischen«, lachte er.

      »Das kenne ich«, bestätigte Röder. Dann fragte er den Wattführer, was genau er beobachtet hatte, als er Elmar Diesterweg und den Jungen gesehen hatte.

      »Genau das, was ich Hans bereits gesagt habe. Der Diesterweg und Wilko bückten sich öfter, als ob sie etwas suchten oder pflückten. Dann, kurze Zeit später, war ich bei ihnen und sah, dass eine Nonnengans tot im Gras lag. Wilko schlug vor, sie zu braten.«

      »Das hast du seinem Vater erzählt?«

      »Ja. Denn es ist verboten, Nonnengänse zu töten. Sie stehen unter strengstem Schutz. Es war so schräg irgendwie. Diesterweg hat mich sogar zum Essen eingeladen. So dachte ich, Hans sollte wissen, was ich beobachtet habe«, erklärte Ole Zander.

      »Danke für deine Offenheit«, sagte Röder.