Ulrike Barow

Baltrumer Wattenschmaus


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gut, dass ich meine Regenjacke zu Hause am Garderobenhaken gelassen habe, dachte er. So wird sie wenigstens nicht nass! Nein, er konnte Kramers nicht zumuten, dass er so bei ihnen auftauchte. Er würde erst nach Hause fahren, sich um- und diesmal wetterfest anziehen.

      Jetzt nichts wie rein. Beinahe warf er sein Rad an den Zaun und öffnete fast gleichzeitig die Tür zur Dienstwohnung.

      »Zieh die Klamotten im Bad aus!«, hörte er Sandra aus dem Wohnzimmer.

      Er zog das kleine Stück Reißverschluss wieder zu. Sie sollte ihren Willen haben. War auch besser so. Der Regen hatte ihn bis auf die Haut durchnässt, so klebte selbst das Unterhemd an seinem Rücken.

      »Willst du einen Tee zum Aufwärmen?« Sandra stand in der Tür und schaute ihn mitleidig an, als er mühsam seine Füße von den Socken befreite.

      »Nein. Nur etwas zum Anziehen. Ich muss wieder los.« Während er sich trockenrubbelte, erzählte er ihr, was der Grund für seine Aktivitäten war. »Ich bin echt gespannt darauf, was sich aus dem Leichenfund ergibt.«

      »Ich auch. Das muss ja gruselig ausgesehen haben.«

      »War nicht so schlimm. Es waren nur Knochen übrig. Es war kein Fleisch mehr dran und auch keine Haut. Außerdem sah man die Reste eines dunklen Stoffs.«

      »Warten wir also auf die Ergebnisse der Rechtsmedizin. Ist denn hier mal jemand vermisst worden? Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Sandra.

      »Ich habe auch nichts auf dem Plan. Wenn es sich um einen Inselbewohner handeln würde, wäre mir der Vorgang sicher bekannt.« Er wischte sich ein letztes Mal mit dem Handtuch über den Bauch.

      »Es schüttet doch ganz schön«, gab Sandra zu bedenken. »Würde es nicht reichen, wenn du Kramers anrufst?«

      Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich möchte die Reaktion sehen. Wir kennen wie gesagt keine Zusammenhänge. Es nützt nichts. Ich muss los.«

      Röder hatte das Gefühl, dass selbst Amir, ihrer beider Heidewachtel, ihn bedauernd anschaute, als er die Haustür hinter sich schloss. Es regnete immer noch und der Wind hatte zugenommen. Von dem lauen Maiabend, der Sandra und ihn gestern zu einem späten Strandspaziergang eingeladen hatte, war nichts mehr zu spüren. Er sah kaum einen Menschen auf der Straße.

      Er fuhr die Düne hoch zu Kramers Haus und klingelte. Nichts rührte sich. Er versuchte es ein zweites Mal. Dann öffnete sich die Tür.

      »Wer will da was von uns zu später Stunde?«, brummte Klaus Kramer mit tiefer, vom regelmäßigen Alkoholkonsum verdunkelter Stimme.

      »Ich bin es. Michael. Darf ich reinkommen?«

      Wortlos machte ihm Klaus Kramer Platz. Im Wohnzimmer sah Röder Elli sitzen. Sie drückte den Ton des Fernsehers weg. »Was führt dich zu uns?«

      Ein zweites Mal erzählte er an diesem Abend von dem Fund und sah, wie die beiden ihn immer ungläubiger anschauten.

      »Unser Grab?«, fragte Elli fassungslos. »Im Grab von unseren Eltern?«

      »Von meinen Eltern«, warf Klaus ein.

      »Ja, ist gut«, wischte Ella seine Worte genervt weg. »Ich will sie dir nicht nehmen.«

      »Die letzte Beerdigung hat vor zwei Jahren stattgefunden, richtig?«, fragte der Inselpolizist.

      »Ja, da ist sein Vater gestorben.« Ella zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf ihren Mann, der seinen breiten Körper im Sessel versenkte. »Seitdem haben wir uns allerdings nie mehr so richtig um das Grab gekümmert. Mal eine Blume drauf gepflanzt, wenn wir im Garten was übrighatten, das war es auch schon.«

      Er stand auf. »Die Leiche wird morgen früh abgeholt. Ich bitte darum, dort keine Spuren zu zerstören.«

      »Wenn du damit sagen willst, dass du denkst, dass wir die Knochen heute Nacht bereits aus dem Grab entfernen, hast du dich getäuscht. Außerdem, wer bezahlt uns eigentlich das Wiederherrichten des Familiengrabes?« Klaus Kramer schaute den Polizisten vorwurfsvoll an.

      »Klaus. Halt die Klappe!« Energisch schob Ella sich aus dem Sessel und beugte sich drohend über ihren Mann. »Als ob Michael nichts Wichtigeres zu tun hätte!«

      Tatsächlich. Hatte er. Und wenn es nicht der Fall gewesen wäre, hätte er in diesem Moment wichtige Aufgaben erfunden. Er wollte nichts wie raus, sich zu Sandra ins Wohnzimmer setzen und ein Glas Rotwein genießen.

      »Ich gehe dann mal«, sagte er knapp und verließ das Haus, ohne eine Antwort abzuwarten.

      3

      Aus dem einen Glas Rotwein waren drei geworden. Das merkte Röder am nächsten Morgen, als in aller Frühe sein Telefon klingelte.

      »Paul Abarth hier«, meldete sich der Leiter der kleinen Baltrumer Inselschule. »Hätten Sie Zeit für mich? Wir wollten über die Fahrradkontrolle sprechen.«

      »Natürlich. Wann? In einer halben Stunde?«, antwortete Röder.

      »Nein. Vielleicht heute Mittag. Ich rufe nur jetzt schon an, weil gleich der Unterricht beginnt. Wie wäre es um zwei bei mir im Büro?«

      »Dann um zwei bei Ihnen.« Es passte auch Röder ganz gut in den Kram. Er würde sich in Kürze mit seinen Kollegen vom Festland erst einmal um das Grab kümmern müssen.

      Ein Blick aus dem Fenster sagte ihm, dass er an diesem Morgen seine Regenklamotten getrost zu Hause lassen konnte. Im Osten der Insel stand die Sonne bereits am Himmel. In einer halben Stunde würde der Hubschrauber mit den Leuten vom Kriminaldauerdienst landen.

      Er räumte die Reste des Frühstücks weg und setzte sich in sein Dienstzimmer. Die Büroarbeit hörte nicht auf. Er sortierte ein paar Unterlagen, schaute nach, ob wichtige E-Mails angekommen waren, und machte sich auf den Weg zum Flugplatz. Gerade landete eine Maschine. Der Pilot stieg aus und packte ein paar Pakete neben die Landebahn. Aha, der Zeitungsflieger, überlegte Röder. Der kam in der Saison jeden Morgen um 8.30 Uhr. Die Mitarbeiter der entsprechenden Geschäfte warteten bereits. Zügig beluden sie ihre Wippen und verließen den Platz. Röder stellte sein Rad ab und klopfte an die Tür des Towers.

      »Komm rein«, hörte er Melanies Stimme. »Habe dich schon gesehen.«

      »Ich wollte nur sagen, dass gleich ein Hubschrauber landet«, teilte er der Frau mit, die an diesem Morgen Dienst in dem kleinen Tower tat.

      »Die Besatzung hat sich bei mir angemeldet«, erklärte sie. »Ist etwas passiert?«

      Röder überlegte. Sollte er …? Warum nicht? Kramers, Tim Seebald und auch die Feuerwehrleute wussten von den Knochen. Also wussten es bereits Dreiviertel der Insulaner. Da war er sich ziemlich sicher.

      »Nichts Spektakuläres«, winkte er ab, »nur ein seltsamer Knochenfund, der untersucht werden muss. Daher kommen die Kollegen vom Festland, nehmen den Fundort unter die Lupe und alles Relevante mit.«

      In der Ferne hörte er bereits das dumpfe Schlagen der Rotoren. Er schloss die Tür, kurz darauf landete der Hubschrauber.

      Martin Brinkmann und ein weiterer Mann kamen ihm lächelnd entgegen.

      »Darf ich vorstellen: Lars Haltegrund. Er wollte unbedingt mal auf einer Insel Spuren sichern«, erklärte Brinkmann. »Ist es mal wieder soweit?«

      »So sieht es aus«, erwiderte Röder. »Laden wir eure Sachen ein und gehen zum Friedhof. Auf dem Weg dorthin berichte ich, was euch erwartet.«

      Brinkmann nahm einige Kisten aus dem Hubschrauber und lud sie in die Polizeiwippe. »Hat es hier gestern auch so sehr geregnet?«

      »Ziemlich.« Röder erzählte von seiner durchnässten Kleidung. »Aber die Fundstelle ist abgesichert.«

      Als sie den Friedhof erreicht hatten, sah Röder einige Menschen, die um das abgesperrte Areal standen.

      »Was ist mit Kramers Grab?«, rief ihm eine der Frauen zu.

      »Eine Ermittlung steht an«, gab er knapp Antwort. »Bitte