Claudia Rossbacher

Steirerland


Скачать книгу

war, hatte sie damals wie heute nicht interessiert. Es nervte sie auch so schon gewaltig, dass Bergmann Berufliches und Privates nicht trennen konnte. Weniger wegen der Ärztin, die er ungeniert hofiert und wohl auch außerhalb des Dienstes getroffen hatte, sondern viel mehr, weil er anfangs versucht hatte, bei Sandra zu landen. Erst hatte sie es gar nicht kapiert, dann hatte sie ihn abblitzen lassen. Aber das war eine andere Geschichte, die längst verjährt war. Der Transportsarg, der eben in den Leichenwagen geschoben wurde, raubte Sandra die Sicht auf Bergmann und die Gerichtsmedizinerin.

      Miriam wandte sich zu ihr um. »Ich bin echt froh, dass du wieder da bist.«

      »War’s denn so schlimm mit Bergmann?« Sandra rutschte auf der Rückbank nach vorn. Der Leichenwagen setzte sich langsam in Bewegung. Doktor Kehrer redete, während Bergmann ihr zuhörte. Dabei kaute er am Bügel seiner Sonnenbrille und nickte wiederholt.

      »Nein. Der ist doch eh ganz handzahm. Meistens jedenfalls. Aber wir sind einfach zu wenige Ermittler. Im ersten Mordfall stecken wir ganz am Anfang. Und jetzt passiert auch noch ein zweiter …« Miriam seufzte.

      Bergmann setzte die Sonnenbrille auf und strebte federnden Schrittes auf den Audi zu.

      »Vielleicht hilft uns der zweite Mord ja, beide Fälle aufzuklären«, sagte Sandra. Das war aber auch schon der einzige mögliche Vorteil an einem Serienmord. Der große Nachteil war, dass der Täter jederzeit wieder zuschlagen konnte. Wenn es ihnen nicht rechtzeitig gelang, ihn auszuforschen und von einem dritten Mord abzuhalten.

      6.

      Miriam bremste den Dienstwagen ab und ließ die ranghöheren Kollegen aussteigen, um anschließend allein nach Graz zurückzufahren.

      Bergmann schwang seine Jacke über die Schulter und überquerte neben Sandra die Fahrbahn. Von der Funkstreife, hinter der sie vorhin den Toyota geparkt hatte, war nichts mehr zu sehen.

      »Das ist jetzt aber nicht dein Ernst.« Bergmann hob seine Sonnenbrille einige Zentimeter von der Nase und betrachtete den Kleinwagen argwöhnisch.

      »Was denn? Ist dir das Auto etwa nicht gut genug?«

      Die Sonnenbrille landete wieder auf Bergmanns Nasenrücken. »Was heißt gut? Du weißt doch, dass mir Autos ziemlich wurscht sind. Aber das hier ist zweifellos ein bisschen zu klein geraten, findest du nicht?«, meinte er spöttisch.

      Sandra drückte den Entriegelungsknopf am Autoschlüssel. Die Schlösser sprangen klackend auf. »Dann passt es ja perfekt zu mir«, murmelte sie.

      »Was? Wieso?«

      »Ach vergiss es.«

      Bergmann grinste. »Hast du jetzt auch noch einen Minderwertigkeitskomplex wegen der beiden groß gewachsenen jungen Damen aufgerissen?«

      Wie so oft hatte er zielsicher den wunden Punkt getroffen. Aber daran war Sandra selbst schuld. Hätte sie mal den Mund gehalten, wäre ihr sein sarkastischer Kommentar erspart geblieben. Rein äußerlich ließ sie die Bemerkung an sich abprallen und blieb sachlich. »Es ist nur ein Leihwagen, Sascha. Ab morgen chauffiere ich dich wieder im Dienstauto herum. Aber steig doch erst einmal ein. Da drinnen ist nämlich mehr Platz, als du glaubst.«

      »Klein, aber oho«, hauchte Bergmann und packte sein anzüglichstes Grinsen aus.

      »Du musst es ja wissen«, konterte Sandra und stieg in den Wagen.

      Bergmann fuhr mit dem Beifahrersitz so weit wie möglich nach hinten und gurtete sich an. Während der Fahrt nach Graz beschwerte er sich kein einziges Mal mehr über mangelnden Komfort. Stattdessen weihte er Sandra endlich in den ersten Mordfall ein.

      Markus Haselbachers Leiche war am 21. Oktober um 11.50 Uhr unweit des zweiten Fundortes, der sich auf der anderen Seite des Hügels, auf dem sich der Koglerhof befand, entdeckt worden. »Der ermordete Winzer lag im Laderaum seines BMW Kombi auf der umgeklappten Rückbank«, berichtete Bergmann. »Das Auto stand auf dem Parkplatz eines stillgelegten Gasthofs. Einem Bauern, der morgens und mittags mit dem Traktor vorbeifuhr, kam es seltsam vor, dass der Wagen so lange mitten in der Pampa parkt.«

      »Wo liegt denn der Winzerhof der Haselbachers?«

      »In Tieschen, keine zehn Kilometer vom Leichenfundort entfernt.«

      »Tieschen. Kenne ich.«

      »Das war ja klar.«

      Es war offensichtlich, dass Bergmann nicht wegen ihrer guten Ortskenntnisse grinste, sondern über ihre Herkunft aus einem abgelegenen Dorf im steirischen Krakautal. Einen Kommentar ersparte sich Sandra. Schließlich hatte sie sich vorgenommen, nicht mehr alles persönlich zu nehmen. Selbst, wenn Bergmann es so gemeint hatte.

      »Jutta konnte die Todeszeit auf den Vorabend zwischen 19 und 22 Uhr eingrenzen«, fuhr er fort. »Todesursache war ein tiefer Halsschnitt, der ihm mit einem sehr scharfen Messer oder einem Skalpell zugefügt wurde. Der Täter muss hinter seinem Opfer gestanden sein und die Tatwaffe von links nach rechts über den Hals geführt haben.«

      »Demnach ein Rechtshänder.«

      Bergmann nickte.

      »Waren Markus Haselbachers Hände ebenfalls amputiert?«

      »Nein. Die Hände waren unversehrt. Dafür haben ihm beide Unterschenkel gefehlt. Die Amputationen wurden oberhalb der Kniegelenke durchgeführt. Nicht gerade nach dem Lehrbuch, meint Jutta. Dennoch ist der Täter sehr sorgfältig und mit einigem anatomischen Knowhow vorgegangen.«

      »Sorgfältig?«

      »Na ja, ein Unkundiger hätte einfach eine Säge angesetzt oder mit einer Hacke zugeschlagen und die Gliedmaßen durchtrennt, fertig. In diesem Fall wurden die Haut und das subkutane Fettgewebe mit einem Skalpell oder einem sehr scharfen Ausbeinmesser bearbeitet. Beide haben eine gebogene Klinge, die spitz zuläuft. Ebenso wurde die Muskulatur durchtrennt, wobei bei Operationen ein Elektrokauter eingesetzt wird, um die Blutungen in Schach zu halten. Das war hier nicht der Fall. Die großen Gefäße wurden durchgeschnitten, allerdings ohne wie bei OPs vorher vernäht zu werden. War vermutlich eh schon egal, denn der Patient«, an dieser Stelle malte Bergmann Gänsefüßchen in die Luft, »war zu diesem Zeitpunkt schon verblutet. Die Knochen wurden dann, wie vom Chirurgen, mit einer Knochensäge durchtrennt.«

      »Merkwürdig.«

      »Am merkwürdigsten war die Schnittführung: Von den beiden Oberschenkeln wurden Hautlappen entnommen. Normalerweise ist das umgekehrt.«

      »Was heißt umgekehrt?«

      »Üblicherweise verbleibt bei einer Amputation ein ausreichend großer Hautlappen samt Gewebe, um das Knochenende damit vollständig bedecken zu können. Dieser Lappen verheilt dann zum Stumpf, der in weiterer Folge in der Prothese sitzt. Bei Haselbachers Leiche hat dieser nicht nur gefehlt, sondern es wurden oberhalb der Amputationsstellen solche Teile entfernt. Als würde man die abgetrennten Gliedmaßen damit bedecken wollen.«

      Sandra runzelte die Stirn. »Das ist wirklich seltsam und legt nahe, dass wir es mit einem medizinisch geschulten Täter zu tun haben.«

      »Kann gut sein.«

      »Ein Arzt oder Pfleger, eine Krankenschwester …«, überlegte Sandra laut. »Oder eine Hebamme?«

      »Du traust diese Taten doch nicht etwa Waltraud Krenn zu?«

      »Nicht wirklich. Einmal abgesehen vom fehlenden Mordmotiv: Warum sollte sie die zweite Leiche im Laub verscharren, um sie nach Tagen wieder aufzufinden und die Polizei zu verständigen? Vor allem aber: Wie soll sie den Transport der Leiche bewerkstelligt haben? Allem Anschein nach ist der Mann an einem anderen Platz als am Fundort verblutet. War das bei Haselbacher eigentlich auch der Fall?«

      »Yep. Darüber hinaus konnte das Labor Chloroformrückstände in seiner Leiche nachweisen. Dafür hat die restliche Blutmenge noch ausgereicht. Wir müssen demnach davon ausgehen, dass das Opfer betäubt wurde, bevor es starb und ausblutete. Danach wurde amputiert.«

      »Aber nicht in seinem Wagen?«, vermutete Sandra.

      »Ausgeschlossen