Peter Gerdes

Langeooger Dampfer


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sackte stumpf und stumm zu Boden.

      Stahnke musterte die verbliebenen vier Männer am Tisch. Sie saßen da wie erstarrt.

      Der Hauptkommissar wechselte einen Blick mit seinem Kollegen. Der hatte gerade sein Smartphone gezückt. Auf Stahnkes Wink hin stoppte er in der Bewegung, senkte seinen Daumen nicht auf das Anruf-Symbol. Fragend hob er die Augenbrauen.

      Stahnke warf einen prüfenden Blick in die Runde. Die Doppelparzelle der Männerrunde war gut abgeschirmt, dichte Büsche und die Wände der umstehenden Campingmobile sorgten für Sichtschutz. Der allgemeine Lärmpegel um sie herum war hoch genug, um Kampfgeräusche und Schmerzlaute zu verschlucken. Bisher hatte offenbar niemand wahrgenommen, was sich hier abgespielt hatte.

      »Also gut«, sagte Stahnke und fixierte dabei den Mann, der mutmaßlich Maik Schubert hieß. »Mein Kollege kann jetzt die 110 anrufen – oder die 112. In dem Fall haben die beiden Kollegen beim Bierholen nicht aufgepasst und sind mit ihren Klotzköpfen aneinandergerummst. Die anderen halten ihre versammelten Schnauzen, und wir drei Hübschen« – seine Handbewegung schloss Lüppo Buss, Schubert und ihn ein – »ziehen uns zurück und führen ein vertrauliches Gespräch. Mehr nicht, erstmal jedenfalls. Deal?«

      Keine Reaktion. Die vier Männer am Tisch schienen dauerhaft eingefroren zu sein.

      »Dann eben 110«, sagte Stahnke. »Dann weiß ich schon, wer heute Nacht härter schläft als sonst. Und wer weiß, vielleicht für länger.«

      Der Mann mit dem gebrochenen Nasenbein richtete sich stöhnend auf, seine Augen über den blutverschmierten Fingern vor Schreck geweitet.

      »Okay«, ließ sich Maik Schubert vernehmen. »Okay, einverstanden. Holen Sie den Krankenwagen, dann reden wir.«

      Wie zur Bestätigung stöhnte auch der zweite Mann, der zu Boden gegangen war, und begann, sich hochzustemmen. Das dauerte eine Weile.

      Stahnke nickte Lüppo Buss zu. Der drückte die Ruffunktion seines Handys und wandte sich ab.

      »Ach, eine Sache noch, während wir warten«, ergänzte Stahnke. Er nickte zweien der jungen Männer zu, die sich bisher nicht am Geschehen beteiligt hatten. »Sie können mir noch etwas bringen.«

      »Was?«, fragte einer der Angesprochenen. Ton und Haltung ließen keinen weiteren Widerstand erwarten.

      »Die Klokassetten«, erwiderte Stahnke. »Die aus dem Wohnwagen hier und die aus dem Wohnmobil. Und ehe ihr fragt: Nein, ihr braucht sie nicht auszuleeren.«

      9.

      Der Mord an Robin Seefeld war Thema Nummer eins im »Dwarslooper« an diesem Abend. Längst waren die ersten Berichte in Funk und Fernsehen gelaufen. Da die Polizei sich partout nicht zur Art und Weise der Tötung äußern wollte, machten wilde Gerüchte die Runde.

      »Bestimmt haben die ihn mit einem seiner Treibholz-Machwerke erschlagen«, tönte der dicke Schmidt, der in kleiner Runde das große Wort führte und beim Gestikulieren ständig Bier auf sein ohnehin schon fleckiges Hemd schüttete. »Was soll dieser Müll überhaupt darstellen? Ehrlich, da graust es doch den Kunstsachverständigen!«

      »Und wer soll das sein, dieser Kunstsachverständige?«, fragte Ocko Onken scheinheilig. »Wohnt der hier? Bist du dem schon mal begegnet?«

      »Immerhin hat Robin den Strand von dem angeschwemmten Zeug gesäubert. Das muss man doch anerkennen«, warf Klaas Reershemius ein. Er war schon im Gehen – vielmehr wurde er gerade gegangen, denn seine Gertrud schleifte ihn förmlich aus dem Lokal. Offensichtlich war sie der Ansicht, ihr Gatte hätte für heute genug gehabt, und ihre Ansicht war die, die zählte.

      Sina nahm am Tresen ihr Alster entgegen und wühlte sich durchs Getümmel, weg von der ewig lästernden Viererbande, dorthin, wo sie Bea vermutete. An einem Abend wie diesem brauchte sie jemand Vertrautes. Stahnke war ja nicht hier. Und Marian konnte sie auch nirgends entdecken. In einer der Sitznischen nahm sie ein Pärchen wahr, das in ein intensives Gespräch vertieft war. Albern, diese Partner-T-Shirts, dachte sie und wollte sich weiter zwischen den anderen Gästen hindurchdrängeln. Dann fiel ihr ein, dass sie diese rot-weiß geringelte junge Frau heute schon gesehen hatte. Als die Frau sich vorbeugte, näher ans Ohr ihres Gesprächspartners heran, erhaschte Sina unauffällig einen Blick auf ihren Rücken. »Prinz Heinrich«, aha, alles klar. Das verheulte Mädel mit dem blauen Auge! Ihr Make-up hatte sie inzwischen restauriert, der dunkle Schatten rund um das Auge war nur noch zu erahnen. Und wer war dieser Kerl mit den breiten Schultern und dem trapezförmigen Oberkörper? Womöglich der, der ihr diesen Augenring verpasst hatte? Die beiden waren immerhin Besatzungsangehörige desselben Schiffes. Gehörte so etwas dort womöglich zum guten Ton? Unglaublich, wie vor hundert Jahren!

      Jetzt legte der Typ seine Riesenpranke um den Hinterkopf des Mädels und zog sie zu sich heran. Wollte er sie etwa küssen? Ja, allerdings, und er tat es auch. Sie ließ es sich gefallen. Na ja, nicht so ganz, denn sie drehte ihr Gesicht so, dass der Kuss auf ihrer Wange landete. Aber echte Gegenwehr sah anders aus.

      »Ach, die arme Tinka!« Unvermutet ragte Bea Wulf neben Sina auf, ein Weizenbierglas in der Hand. »Sie leidet natürlich doppelt.«

      »Doppelt? Es ist aber doch nur das eine Auge, oder?« Sina verstand nur Bahnhof.

      »Auge?« Völlig ungeniert musterte Bea die junge Frau in der Nische. »Stimmt, du hast recht! Ob Kante ihr eine gefenstert hat? Na warte, dieser Lump, dem sollte man …«

      Sina kannte Beas aufbrausende Art ebenso gut wie ihren Beschützerinstinkt gegenüber Geschlechtsgenossinnen und schob sich ihr schnell in den Weg. Zum Glück beruhigte sich die Gastwirtin stets ebenso rasch, wie sie sich echauffierte. »Ja, schlimm, echt!«, stimmte Sina ihr zu. »Aber wieso denn eigentlich?«

      »Wieso? Na, weil Tinka doch mit Karl zusammen ist!«

      »Wer ist denn Karl? Und wieso ist das ein Grund?«

      Bea stöhnte über so viel Uninformiertheit. »Karl Antes ist Kante, der Typ da mit den Schultern! Mit dem ist Tinka zusammen, ein halbes Jahr schon. Aber ich weiß aus sicherer Quelle, dass sie außerdem nebenbei was am Laufen hatte.«

      »Deswegen das blaue Auge, aha.« Sina verzog das Gesicht. Was waren das nur für Kerle, die Frauen als ihr Eigentum betrachteten! Oder als Leibeigene, die man züchtigen durfte. Unglaublich, in welchem Land und in welcher Epoche lebten die denn! Dann endlich dämmerte ihr etwas. »Nebenbei was am Laufen? Du meinst doch nicht etwa …«

      »Doch, das meine ich.« Beas Miene verdüsterte sich. »Mit Robin. Robin Seefeld. Unserem kleinen grünen Umweltkämpfer Robin Hood.« Ein tiefer Seufzer dehnte ihre Brust; Sina musste ihr Glas eilig in Sicherheit bringen. »Ich hab die beiden mal beobachtet, ganz zufällig natürlich. Total süß waren die zusammen. Das hat echt richtig gepasst mit denen.«

      »Ach herrje.« Sina wurde sich bewusst, dass sie Tinka und Karl seit Sekunden anstarrte. Zum Glück hatte Karl, genannt Kante, nur Augen für Tinka, und die hielt ihren Blick gesenkt. »Und was hat dieser Kante dazu gesagt?«

      »Na ja, Kante ist kein Freund vieler Worte, auch wenn das im Moment ganz anders aussieht«, sagte Bea. »Und ein Schnellmerker ist er auch nicht. Ist ja auch so, dass er an Bord seines Dampfers viele Arbeiten gerade dann erledigen muss, wenn das Schiff nicht in Fahrt ist, sondern im Hafen liegt. Während Tinka als Servicekraft arbeitet. Wenn die Gäste von Bord sind, kann sie auch an Land. So hatte sie ein gewisses Zeitfenster.«

      »Ganz zufällig hast du die beiden mal beobachtet, ja?« Sina konnte nicht anders, sie musste breit grinsen. »Ganz zufällig! Donnerwetter, dafür bist du aber sehr gut informiert.«

      »Na ja, man interessiert sich eben für seine Mitmenschen.« Völlig unbeeindruckt trank Bea einen großen Schluck aus ihrem Weizenbierglas.

      »Aber irgendwann ist Kante den beiden Süßen auf die Schliche gekommen«, kombinierte Sina. »Dann hat er Tinka verkloppt. Und jetzt sind die beiden trotzdem zusammen. Muss ich das verstehen?«

      »Was soll ich sagen, Sinchen, der Mensch braucht eben jemanden zum Anlehnen, nicht? Weißt du doch.« Wieder