als dass es für seinen Bruder bei der Polizei äußerst unangenehm war. Genauer hatte Benjamin sich da nicht geäußert, und sie hatte nicht neugierig erscheinen wollen. Sie empfand es ohnehin als ziemlichen Vertrauensvorschuss, dass er ihr so offen davon erzählte. Benjamin hatte ihr auch noch einmal erklärt, dass er ihr lieber selbst die Umstände erklären wollte, bevor sie in den kommenden Tagen von Kollegen auf der Dienststelle oder anderen, die beide Brüder kannten, irgendwelche Halbwahrheiten hören würde. Schließlich war es vor acht Jahren wohl so weit gekommen, dass Benedict sich ziemlich reingeritten hatte, und nur durch die Hilfe seines Bruders hatte er einer Anklage entgehen können. Benjamin selbst hatte seine Karriere bei der Polizei damit riskiert, und das hatte den Bogen endgültig überspannt. Benedict verließ Lüneburg, und bis auf seltene Lebenszeichen bei seiner Mutter oder noch seltenere Telefonate mit Benjamin war die Verbindung abgerissen.
Katharina wusste nicht recht, ob sie beeindruckt oder eher schockiert davon sein sollte, wie glatt ihr Chef die Situation am Morgen überspielt hatte. Wenn sie selbst sich in die Situation hineinversetzte, hätte sie es niemals geschafft, so abgeklärt zu reagieren, wenn der lang verschwundene Bruder so unverhofft vor ihr gestanden hätte, noch dazu unter diesen Umständen. Konnte ihr neuer Chef seine Gefühle so gut verbergen, oder hatte er vielleicht kaum welche? Zu Katharinas Erleichterung war Benjamin nach seinem Bericht mit keinem Wort darauf eingegangen, dass sie und Benedict sich zu kennen schienen. Und sie selbst hatte zum jetzigen Zeitpunkt nach wie vor keinerlei Anlass gesehen, ihm davon zu erzählen. Auch Benjamin Rehders Offenheit ihr gegenüber hatte ihre Einstellung dazu nicht geändert. Was für ein Bild sie in den Augen ihres Chefs sonst abgeben würde, konnte sie sich lebhaft vorstellen. Und auch wenn er sich seinen Teil sicher dachte, musste sie das ja nicht unbedingt bestätigen.
Benjamin hatte Katharina abschließend nur gebeten, die Geschehnisse aus seiner Vergangenheit für sich zu behalten, trotzdem er meinte, dass alle im Kommissariat Bescheid wussten. Aber er wollte das Gerede darüber nicht neu entfacht sehen – für Katharina eine Selbstverständlichkeit, sie war noch nie ein Tratschmaul gewesen, und damit war das Thema vom Tisch. Dann hatten sie noch kurz über die beiden aktuellen Fälle gesprochen, bevor sie sich verabschiedeten.
Als Katharina nun in ihre Wohnung kam, fühlte sie sich unangenehm verloren. Der ganze Tag war so vollgepackt gewesen, dass sie keine Zeit gehabt hatte, sich richtig unwohl zu fühlen, doch jetzt kam alles auf einmal in ihr hoch. Die neue Stadt, der neue Job … Ganz abgesehen von der vertrackten Situation mit Bendedict, der ihr – unabhängig von dem unverhofften Wiedersehen – öfter durch den Kopf geisterte, als ihr lieb war. Und diese vermaledeite Namensähnlichkeit mit ihrem Chef tat ihr Übriges dazu. Was hatten sich die Eltern wohl dabei gedacht? Brüdern – und dann auch noch eineiigen Zwillingen – fast gleiche Namen zu geben, das war doch grausam. Das konnte ja nur zu Verwirrung bei anderen führen! Katharina beschloss, sofort ins Bett zu gehen, um den trüben Gedanken erst gar keine Chance zu geben, sich weiter auszubreiten. Sie rauchte am offenen Fenster noch eine Zigarette, bevor sie sich auf den Futon legte und einschlief, ehe sie wieder ins Grübeln verfallen konnte.
Gedicht
Und all die seidenen Kissen
Gehörten deinem Mann.
Doch uns schlug kein Gewissen.
Gott weiß, wie redlich untreu
Man sein kann.
Weißt du noch, wie wir’s trieben,
Was nie geschildert werden darf?
Heiß, frei, besoffen, fromm und scharf.
Weißt du, dass wir uns liebten?
Und noch lieben?
Man liebt nicht oft in solcher Weise.
Wie fühlvoll hat dein spitzer Hund bewacht.
Ja unser Glück war ganz und rasch und leise.
Nun bist du fern.
Gute Nacht.
(Joachim Ringelnatz)
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