weil sie zu lang war. Mama nähte sie um, bevor wir nach Hooksiel fuhren, erst zu Tante Toni und dann ins Schwimmbad.
Tante Toni hatte knochige Hände. Vor dem Haus lagen Fischerboote im Hafen. Bis da und da hatte dann und dann das Hochwasser gestanden.
Im Schwimmbad kriegte ich ein Milky Way. Gustav hatte sich einen Klappstuhl mitgebracht, und Renate hatte ihren schicken neuen Bikini an.
Opa war mager und vom Hals bis zu den Füßen käseweiß, aber er konnte schwimmen. Oma ging nur bis zu den Knien ins Wasser: »Sonst bekomme ich einen Herzschlag.« Ihr Badeanzug war schwarz, und ihre Badekappe hatte Glibberschuppen.
Mama wollte mit mir Schwimmen üben. Ich sollte mich ziehen lassen, mit ihrer Hand unterm Bauch. Mama hatte versprochen, die Hand nicht wegzunehmen, aber dann nahm sie sie trotzdem weg. Ich schrie und zappelte und kriegte Wasser in die Nase.
»Hör auf zu jöseln«, sagte Mama.
In Schillig wanderten wir durchs Watt. Barfuß, weil das gesund für die Füße war. Es lagen Muscheln rum und tote Krebse. Ich fand auch zwei Vogelfedern im Schlick. Vor Quallen mußte man sich hüten, die konnten wie Feuer brennen, obwohl sie aus Wasser waren.
Zum Geburtstag schenkte ich Renate eine von meinen Vogelfedern. Die andere hob ich für Mamas Geburtstag auf. Von Tante Grete kriegte Renate zwei Badekappen, eine rote und eine gelbe, von Mama ein Tausend-Teile-Puzzle mit einer Kirche und von Oma und Opa das Buch Der kleine Mann. Tante Grete war aber gar keine richtige Tante, die war nur Renates Patin und eine alte Freundin von Mama.
Von dem Puzzle hatten wir erst ein Randstück fertig, als wir fahren mußten. Renate wollte es in den Kasten legen, aber es fiel auseinander.
Oma gab mir ein neues Karl-May-Bild mit: Indianer, die durch einen Fluß reiten und mit Pfeil und Bogen schießen.
Auch als wir schon wieder auf der Horchheimer Höhe waren, rochen meine Bilder noch nach Tee.
In Schmallenberg hatte Volker haufenweise Segelflugzeuge gesehen und in einem Freigehege Hirsche und Wildschweinkeiler.
Kalli nannte Wildschweine Wutzen und sagte, die seien friedlich, es sei denn, sie hätten gerade Frischlinge geworfen. Dann würden sie auch Menschen angreifen. Kallis Vater hatte schon mehr als zwanzig Wutzen geschossen.
Uwe hatte eine Schwester gekriegt, die Vera hieß und viel brüllte, genau wie Wiebke früher. Kleine Schwestern waren zu nichts zu gebrauchen.
Der Fußgängerweg vorm Wäldchen führte zu einem Spielplatz, der für Babys war. In der Kurve davor zweigte ein Pfad in die Büsche ab. Zwischen Disteln, Birnbäumen und wilden Brombeersträuchern ging es da zu einer Mauerruine. Überall flogen Wespen rum, und von den Brombeerranken kriegten wir Kratzer ab.
In den Ritzen der Mauer wuchs Löwenzahn. Auf den Steinen krabbelten winzige rote Tierchen rum. Uwe Strack sagte, das seien Blutläuse, und wir schlugen sie mit Steinen kaputt.
Hinter der Mauer lag Schutt. Wir fanden einen Stollen, wo es schräg nach unten ging, aber es war zu dunkel. Vielleicht war da ein Bunker aus dem Krieg.
Weiter hinten war eine Müllkippe. Da fanden wir einen Benzinkanister, einen Handschuh und drei Batterien. Oder waren das Zündkerzen?
An einer Stelle hatte jemand Feuer gemacht. Die Asche qualmte noch. Von den verkohlten Ästen kriegten wir schwarze Finger.
Ich nahm eine kleine rote Vase mit, die noch heile war.
Mama sagte, ich solle mich bloß vorsehen. Einmal sei ein Junge auf einer Müllkippe in einen alten Kühlschrank gestiegen, und dann sei die Tür zugefallen, und der Junge sei fast erstickt, weil man Kühlschranktüren von innen nicht aufmachen kann. Der Junge habe zum Glück einen Stock dabeigehabt und sein Taschentuch drangebunden und den Stock durch die Türritze gefummelt und gewinkt, und das habe jemand gesehen, der da zufällig vorbeigekommen sei. Der habe den Jungen dann befreit.
Auf einem Lastkraftwagen kam ein großes Schaukelgestell für uns, aus Metall. Papa schaufelte Löcher neben dem Haus und betonierte das Gestell da ein. Mit dem Schaukeln mußten wir warten, bis der Beton hart war.
Ich kriegte neue Sandalen von Romika und fand raus, daß ich damit gut an den Straßenlaternen hochklettern konnte, bis obenhin. Das machte ich auch den Engländern vor, als sie uns besuchen kamen: Tante Therese, Onkel Bob, Kim und Norman. Kim hatte einen Pagenschnitt und konnte englische Lieder singen. Leider wußte Mama nicht, was Klettermaxe auf englisch heißt.
Wir fuhren mit dem Schiff nach Boppard zur Sesselbahn. An den Ufern standen Ritterburgen.
In der Sesselbahn saß ich neben Papa. Auf halber Strecke stand ein Fotograf und machte ein Foto von uns und dann eins von Renate und Volker, die als nächste kamen. Bei meiner einen Sandale war die Schnalle offen, und als ich mich zu Renate und Volker umdrehte, fiel die Sandale runter in die Bäume. Papa sagte, ich sei ein Hornochse.
Als Denkzettel kriegte ich oben keine Limonade. »Und das Foto kannst du dir auch in die Haare schmieren«, sagte Mama.
Oben war ein Spielplatz mit Rutsche und Schaukel, aber mit nur einer Sandale an machte das Rumlaufen keinen Spaß. Ich konnte nur humpeln, und huckepack tragen wollte mich keiner.
Tante Therese kaufte mir dann doch eine Limonade. Papa ging zu Fuß ins Tal, um auf dem Weg nach meiner Sandale zu suchen.
»Und jetzt sitz gefälligst still«, sagte Mama, als wir wieder runterfuhren. Auf Papa mußten wir noch lange warten. Die Sandale hatte er nicht gefunden. Es war gut, daß wir Besuch hatten, sonst hätte ich die Hucke vollgekriegt.
Am nächsten Tag ging Mama mit mir in die Stadt, Sandalen kaufen, und die anderen gingen zum Deutschen Eck. Bei Salamander war eine Rutschbahn, aber ich durfte nur dreimal drauf. »Wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier«, sagte Mama.
Mit Uwe schloß ich im Wäldchen Blutsbrüderschaft. Wir piekten uns jeder mit einem Dorn in den Zeigefinger, bis Blut kam, und dann hielten wir die Finger aneinander. Jetzt floß Uwes ganzes Blut in mich und meins in Uwe.
Mama sagte, ich sei ein Torfkopp. Was ich so für Vorstellungen hätte. »Wenn das ganze Blut aus jemandem rausfließt, kippt der um wie ’n nasser Sack.«
Morgens lief ich immer gleich zum Kletterbaum. Uwe schaffte es höher, aber der war auch nicht so schwer ich. Bei mir wären die dünnen Äste ganz oben abgebrochen. Uwe sagte, ich sei bloß zu feige, aber dafür kam er nicht die Laternen hoch.
In einem Gebüsch im Wäldchen fanden wir eine tote Schlange, eine Ringelnatter oder eine Blindschleiche. Wir hätten sie wem in den Schuh legen können, Uwes großer Schwester Claudia meinetwegen, aber dazu hätten wir die Schlange anfassen müssen, und die konnte noch giftig sein.
Im Wäldchen wuchsen auch Brennesseln. Davon juckten einem die Beine und die Arme, und wenn man sich kratzte, juckten die Stellen noch mehr.
Einen großen Stein, der aus der Erde ragte, wollten wir ausgraben. Vielleicht war da ja was drunter, eine Schatztruhe oder ein Hirschgerippe. Wir zogen an dem Stein, aber der rührte sich nicht vom Fleck.
Oben von der Schlucht aus konnte man bis zu einer Stelle runterklettern, wo der Felsen ein kleines bißchen ausgehöhlt war. Wenn wir dahinwollten, sagten wir jetzt immer, daß wir zu unserer Höhle gehen.
Wir zeigten auch Volker und Kalli unsere Höhle. Kalli sagte, wenn wir eine Höhle haben wollten, müßten wir sie hier in den Felsen schlagen. Dafür brauchten wir aber Werkzeug. Von zuhause holte Kalli einen Hammer und lange Nägel. Damit kloppten wir Stücke aus der Höhlenwand, zu viert nebeneinander. Wenn die Höhle groß genug wäre, könnte man sich da ein Versteck anlegen wie das Häschen in der Grube.
Vor dem Mittagessen mußte ich die Hände vorzeigen. »Jetzt andere Seite!«
Gulasch, Kartoffeln und Bohnen oder Bratwurst, Kartoffeln und Erbsen oder Milchreis mit Dosenpfirsich. »Schmatz nicht so!« sagte Papa. »Und nimm die Knochen vom Tisch!« Wenn mir was von der Gabel