schon aufgefallen, dass sich viele Kunstschätze in diesem Castle befinden. Ich scheine einiges davon zu verstehen.«
John nickte gewichtig. »Das stimmt auch«, sagte er. »Du hast dich schon immer sehr für Archäologie interessiert. In diesem Punkt haben wir beide uns immer hervorragend ergänzt.«
John breitete die Arme aus. »All die Kunstschätze, die ich in Danmoor Castle horte, habe ich auch dir zuliebe angeschafft. Du konntest Stunden damit zubringen, die Herkunft der Artefakte zu bestimmen. Es war erstaunlich, was für ein Wissen du dir auf diesem Gebiet angeeignet hattest.«
»Aber dieses Gedeck sollte nicht im Besitz einer Privatperson sein«, gab ich zu bedenken. »Es ist so wertvoll und selten, dass es eigentlich in ein Museum gehört. Könige haben von diesem Teller gegessen. Sie sind ein Stück englische Geschichte und sollten auch der Bevölkerung zugänglich gemacht werden.«
John machte eine wegwerfende Handbewegung. »Seit wann interessieren dich gewöhnliche Leute? Du hast das Leben auf Danmoor Castl e zwischen all diesen Kunstschätzen immer sehr genossen. Wir beide sind hier sehr glücklich gewesen und das zählt doch viel mehr als die profane Neugierde irgendwelcher gewöhnlicher Leute, die diese Artefakte sowieso nicht richtig zu schätzen wissen.
Wir hingegen leben mit diesen Kunstschätzen. Wir speisen von Tellern, die einst zu dem Haushalt eines Königs gehört haben und fühlen uns dabei fast selbst wie Könige!«
John ergriff plötzlich meine Hand und drückte sie ungestüm. »Du beginnst dich wieder zu erinnern, Brenda«, sagte er glücklich. »Dass du dieses Gedeck erkannt hast, lässt mich hoffen, dass es nicht halb so schlimm um dich steht, wie ich befürchtet hatte.«
Ich zog meine Hand zurück. »Ich fürchte, ich kann deinen Optimismus nicht teilen«, dämpfte ich seine Freude. »Ich habe sämtliche Erinnerung an mein Leben verloren. Was nützt es mir zu wissen, aus welcher Epoche irgendwelche Kunstschätze stammen, wenn ich mich an nichts aus meinem Leben erinnern kann?«
»Es ist doch bloß ein Anfang«, ließ John nicht locker. »Glaube mir, für mich ist es genau so schlimm, dass du dich nicht mehr an unsere gemeinsame Zeit erinnern kannst. Doch ich bin fest davon überzeugt, dass sich deine Erinnerung wieder einstellen wird. Nachher kommt Dr. Hyes. Ich habe sie bereits verständigt und ihr geschildert, was vorgefallen ist. Ich bin sicher, Dr. Hyes wird dich wieder gesund machen und dir deine Erinnerung zurückgeben.«
Ich bedachte John mit einem flüchtigen Seitenblick. Bisher war mir dieser Mann noch nicht sympathischer geworden. Ganz im Gegenteil. Was er über die Artefakte gesagt hatte, bewies nur, wie eigensüchtig und egoistisch er war. Mir war schleierhaft, wie ich es all die Jahre mit solch einem Mann hatte aushalten können. Ich überlegte ernsthaft, ob ich Dr. Hyes nicht bitten sollte, mir mein Gedächtnis lieber nicht zurück zu geben, denn ich war mir nicht sicher, ob ich an mein Zusammenleben mit John überhaupt erinnert werden wollte.
Doch dann fiel mir plötzlich der mysteriöse Junge wieder ein, den ich auf der Burgzinne gesehen hatte. Irgendetwas stimmte mit mir nicht, wenn ich mir nun sogar schon einbildete, Menschen zu sehen, die sich anschließend in Nebel auflösen.
Dr. Hyes musste mich unbedingt heilen, damit ich wieder normal wurde. Lieber wollte ich die Erinnerung an eine furchtbare Ehe zurück, als in Zukunft ständig irgendwelche Geister zu sehen.
Resigniert machte ich mich über das Frühstück her. Erst jetzt bemerkte ich, wie ausgehungert ich war. Heißhungrig schlang ich das Spiegelei hinunter, dabei peinlich darauf bedacht, dem unersetzlichen Teller keinen Schaden zuzufügen.
5
»Dr. Heyes ist soeben eingetroffen«, meldete Mechthild, die den Speisesaal durch einen Seiteneingang betreten hatte. »Sie wartet im Blauen Salon.«
»Hervorragend!«, sagte John und erhob sich abrupt von seinem thronartigen Stuhl. Auffordernd streckte er mir die Hand hin. »Komm, meine Geliebte«, sagte er vergnügt. »Dr. Hyes wird dich schnell wieder heilen. Du wirst sehen, sie ist eine ausgezeichnete Ärztin. Du hast ihr immer sehr vertraut.«
Johns Worte ließen mich aufhorchen. War diese Dr. Hyes eine Vertraute von mir gewesen? Wenn ja, konnte ich ihr auch von dem Vorfall mit dem mysteriösen Jungen erzählen?
Ich ignorierte Johns ausgestreckte Hand und stand auf. Mechthild machte sich unverzüglich daran, die Teller fortzuräumen.
»Vorsicht!«, gemahnte ich die junge Bedienstete, die für meinen Geschmack etwas zu sorglos mit dem antiken Geschirr umging. »Wenn Sie etwas kaputt machen, wird Sie das Ihren Job kosten. Dieses Geschirr ist mehr wert, als Sie in Ihrem Leben je verdienen können!«
Mechthild starrte mich böse an. »Jawohl, Madame«, sagte sie dann bemüht höflich. »Ich hantiere mit diesem Porzellan schließlich nicht das erste Mal.«
»Entschuldigen Sie«, sagte ich, da mir meine harten Worte plötzlich leid taten. »Ich kann mich nur an den Gedanken nicht gewöhnen, von Tellern zu essen, die eigentlich in die Vitrine eines Museums gehören.«
»Du brauchst dich bei Mechthild nicht zu entschuldigen«, sagte John streng. »Sie ist schließlich nur ein Dienstmädchen. Komm jetzt, Brenda. Wir wollen Dr. Hyes nicht unnötig warten lassen.«
John umfasste meinen Arm und zog mich von der Tafel fort. In der Eingangshalle angekom men lenkte er seine Schritte zu einem Korridor am anderen Ende der Halle. Johns Griff war fest und unerbittlich. Wie eine Gefangene zog er mich hinter sich her.
»Du tust mir weh!«, beschwerte ich mich und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien.
»Ich will nur dein Bestes«, erwiderte John kalt. »Mit dem Theater muss endlich Schluss sein. Du musst endlich wieder gesund werden. Du benimmst dich nämlich ziemlich kindisch. Ich erkenne dich gar nicht wieder, Brenda!«
»Wie bin ich denn gewesen?«, fragte ich verzagt und bemühte mich, mit John Schritt zu halten. Der Korridor, den wir jetzt durchschritten, war genauso pompös und kostspielig eingerichtet wie alle Flure und Räume des Castles. In den Nischen standen wertvolle Marmorfiguren und an den holzvertäfelten Wänden hingen Ölgemälde von bekannten klassischen Künstlern.
»Du warst eine liebevolle und ehrgeizige Frau«, berichtete John ungehalten. »Du hast mich geehrt und meine Autorität stets geachtet. Die Kunstschätze in unserem Castle haben dir immer sehr viel bedeutet. Du konntest gar nicht genug von diesem Zeug bekommen und warst immer ganz aufgeregt, wenn ich wieder neue Stücke mitbrachte.«
»Du musst Millionär sein«, meinte ich, während mein Blick immer wieder an den Gemälden und Statuen haften blieb, an denen wir vorbeikamen.
»Das bin ich auch«, erwiderte John lapidar. »Ich entstamme einer wohlhabenden Familie. Die Liebe zu Kunstschätzen wurde von Generation zu Generation an die Söhne weitervererbt. Was du hier siehst, sind die Früchte der Sammlerleidenschaft mehrerer Generationen.«
Plötzlich blieb John vor einer Tür stehen. Ohne anzuklopfen stieß er sie auf und zog mich in den dahinterliegenden Raum.
Die Wände des Zimmers waren mit mattblauen Seidentapeten beklebt. Auch die Sessel und die Sofas, dem Stil nach zu urteilen ebenfalls aus de m Rokoko stammend, waren mit blauem Stoff bezogen. Die Intarsien der Schränke und Vitrinen waren blau abgesetzt. Alles war farblich perfekt aufeinander abgestimmt. Nur die Frau, die beim Fenster mit den himmelblauen Vorhängen stand,
wollte sich nicht in das harmonische Bild fügen. Sie hatte langes feuerrotes Haar und trug ein raffiniertes rotes Kleid, das ihre weiblichen Rundungen vorteilhaft betonte.
»Guten Tag, Brenda!«, rief die Frau und eilte mit ausgestreckten Armen auf mich zu. »John hat mir erzählt, dass dein gestriger Sturz vom Pferd anscheinend doch negative Auswirkungen zeigt.«
»So ist es leider«, bestätigte ich und reichte der Frau zögernd die Hand.
Dr. Hyes blieb mit ausgestreckten Armen verdattert vor mir stehen und starrte meine Hand an. Offenbar irritierte sie diese förmliche Geste.
Unschlüssig ließ sie die Arme sinken