war ich in meinem Leben aber genau so oberflächlich gewesen wie Gwendolyn. Wenn ich mich in einen Mann wie John Severen hatte verlieben können, war auch nicht auszuschließen, dass ich vor meinem Unfall eine ganz andere Frau, mit einem völlig anderen Gefühlsleben gewesen war, als es offensichtlich jetzt der Fall war.
Der Anblick der unzähligen antiken Bücher, die in reichverzierten Regalen standen, die so hoch waren, dass sie bis an die Decke stießen, versetzten mich in einen wahren Freudentaumel. All meine Probleme waren plötzlich wie weggewischt. Stattdessen schritt ich nun voller Andacht die Regalreihen ab und ließ meinen Blick ehrfürchtig über die alten Buchrücken und Pergamente schweifen.
Die Bibliothek umfasste nicht nur eine Sammlung der wichtigsten Werke der Weltliteratur, es waren auch äußerst seltene und kostbare Bücher darunter, die sich mit Magie, Okkultismus und übersinnlichen Phänomenen beschäftigten.
Nachdem ich einige Regale abgeschritten hatte, stellte ich sogar fest, dass die Werke mit spirituellem Inhalt die der Weltliteratur zahlenmäßig bei weitem übertrafen. Die Bibliothek von Danmoor Castle war ein fast unerschöpflicher Quell übersinnlichen Wissens!
Verwundert drehte ich mich zu John um.
»Das... das ist einfach überwältigend«, stammelte ich. »All diese Bücher über Okkultismus und Magie stellen einen unschätzbaren Wert dar. Jedes Museum würde sich die Finger danach lecken.«
John seufzte entnervt. »Fang bloß nicht wieder mit deinen Museumssprüchen an«, meinte er grimmig. »Niemals würde ich es dulden, dass auch nur ein einziges Werk aus meiner Bibliothek in einem Museum verschwindet. Diese Bücher gehören mir!«
Missbilligend kräuselte ich die Stirn und ich fragte mich unwillkürlich, wie ich all die Jahre zwischen diesen Kostbarkeiten gelebt haben konnte, ohne den Versuch zu unternehmen, meinen Mann dazu zu überreden, seine unschätzbare Bibliothek der Öffentlichkeit zugänglich zu machen oder sie einem Museum zu stiften.
John trat auf mich zu und lächelte gezwungen. »Es freut mich zu sehen, wie sehr dir meine Bibliothek gefällt«, meinte er. »Du hast dich immer sehr gerne hier aufgehalten und konntest stundenlang damit zubringen, in alten Folianten zu blättern.«
Ich schaute die Regale an und nickte. »Das kann ich mir lebhaft vorstellen«, sagte ich schwärmerisch. »Ich liebe alte Bücher.«
»Dann ist dies ja genau der richtige Ort, um mit unserem kleinen Experiment zu beginnen«, erklärte Gwendolyn gut gelaunt. »John, zeige Brenda jetzt eines ihrer Lieblingsartefakte. Bestimmt wird sie sich daran genauso erfreuen, wie an dies en verstaubten, alten Schinken.«
John nickte und ging zu einem zierlichen Schrank, der zwischen zwei hohen Regalen stand. Er öffnete den Schrank und holte aus einer reichverzierten Truhe einen kleinen Gegenstand hervor.
»Diesen kleinen Anhänger habe ich dir vor einem Jahr aus München mitgebracht«, erklärte er. »Du wolltest immer herausfinden, was es mit diesem Kleinod auf sich hat und warst fest davon überzeugt, dass ein Geheimnis darin schlummert.«
John streckte die Hand aus. Darin lag eine grobe Silberkette, an der ein walnussgroßer Anhänger befestigt war, der die Form eines Totenkopfes hatte.
Zögernd nahm ich John die Kette aus der Hand und betrachtete den Totenkopf mit gemischten Gefühlen.
Er bestand aus Silber und war sehr sorgfältig und aufwendig gearbeitet. Die Schädeldecke ließ sich aufklappen, wie ein winziges verschnörkeltes Scharnier, das sich am Hinterkopf befand, vermuten ließ.
Ich erschauderte. Die leeren Augenhöhlen des Totenkopfes schienen mich höhnisch anzustarren.
Was war das für ein Mann, der seiner Geliebten einen abstoßenden Totenkopfanhänger mitbrachte? Etwas Böses und Unheimliches ging von dem Kleinod aus, das konnte ich deutlich spüren.
»Und?«, erkundigte sich John neugierig. »Regen sich in dir irgendwelche Erinnerungen?«
»Hast du mir immer so hässlichen Schmuck geschenkt?«, fragte ich sarkastisch. »Du musst mich ja wirklich abgöttisch geliebt haben, wenn du mir eklige Totenköpfe von deinen Reisen mitbrachtest.«
John machte eine hilflose Geste. Meine Bemerkung hatte ihn sichtlich aus der Fassung gebracht.
»Du hattest eben eine Vorliebe für skurrile Artefakte«, bemerkte Gwendolyn und lächelte versöhnlich. »John hat sich mit seinen Geschenken lediglich deinem Geschmack angepasst.«
Nachdenklich starrte ich den silbernen Totenkopf an. Ich konnte dem hässlichen Ding beim besten Willen nichts abgewinnen. Was für eine Frau war ich gewesen, dass ich an solchen abstoßenden Artefakten Gefallen gefunden hatte?
»Es ist sinnlos«, meinte John ungeduldig. »Brenda erinnert sich nicht an das Schmuckstück.«
»Das ist kein Schmuckstück, sondern ein Amulett«, hörte ich mich sagen. »Es ist ein sogenannter Bisamapfel. Das sind Amulettkapseln, in denen Duftstoffe aufbewahrt wurden.«
John sah mich gebannt an. »Es funktioniert tatsächlich«, freute er sich. »Gwendolyn, du hattest Recht. Brenda beginnt sich zu erinnern!«
»Was weißt du noch über das Amulett?«, ermutigte Gwendolyn mich. »Du hast einen Zipfel deiner Erinnerung zu fassen bekommen, Brenda. Gib jetzt nicht auf!«
Ich war von meinen Worten selbst ziemlich überrascht. Prüfend sah ich den abstoßenden Totenkopf an und lauschte in mich hinein. Die leeren Augenhöhlen waren tiefe Löcher, durch die man ins Innere des Amuletts sehen konnte.
»Es besteht kein Zweifel«, sagte ich gedehnt. »Es ist tatsächlich ein Bisamapfel. Die Kapseln müssen durchbrochen sein, damit die Geruchsstoffe, die darin aufbewahrt werden, auch nach außen dringen können. In diesem Fall sind es die Augenhöhlen.
Bisamäpfel tragen ihren sonderbaren Namen, weil für sie überwiegend tierische Duftstoffe verwandt wurden, wie zum Beispiel Bisam, Ambra und Moschus.«
Ich schnupperte vorsichtig an dem Amulett. Ein kaum wahrnehmbarer stechender Geruch stieg mir in die Nase, der in mir sofort eine eigenartige Benommenheit hervorrief.
Rasch brachte ich das skurrile Amulett aus der Reichweite meines Gesichts.
»Für diesen Bisamapfel muss ein mir unbekannter Duftstoff verwendet worden sein«, sagte ich nachdenklich. »Wahrscheinlich ist das Amulett schon mehrere hundert Jahre alt und der Duftstoff nahezu verbraucht. Auch scheint mir dies kein gewöhnlicher Bisamapfel zu sein. Sie sollten ihren Träger vor Dämonen und Krankheiten schützen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, wer solch einen abstoßenden Bisamapfel getragen haben mochte. Sicherlich jemand, der nichts Gutes im Schilde führte.«
»Wie kommst du darauf?«, wollte John wissen, der mir die ganze Zeit wie gebannt zugehört hatte.
»Etwas Böses geht von diesem Amulett aus«, sagte ich vage. »Es muss mit dem Geruchsstoff zusammenhängen.«
Ich schüttelte das Amulett. Deutlich war zu spüren, wie ein kleiner Gegenstand darin hin und her purzelte. Ich spähte durch die Augenhöhlen und hielt das Amulett so, dass etwas Licht ins Innere der Kapsel fiel.
Ein dunkler, nicht zu identifizierender Brocken befand sich in dem Amulett. Woraus er bestand, ließ sich jedoch nicht erraten.
»Willst du die Kapsel nicht öffnen und den geheimnisvollen Geruchsstoff untersuchen?«, fragte John. Er wirkte irgendwie aufgeregt, als könnte er gar nicht erwarten, dass ich das Geheimnis des Amuletts endlich lüftete.
Ich ging zu einem Lesepult und versuchte dort, das Amulett zu öffnen. Aber ich schaffte es nicht. Die Schädeldecke ließ sich nicht hochklappen, obwohl es keinen Riegel oder einen Verschluss gab, der ein Öffnen verhinderte.
John reichte mir ein Messer. »Versuch es damit«, sagte er aufgeregt.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich möchte das Artefakt nicht beschädigen«, sagte ich. »Es gibt auch einen anderen Weg, an die Ingredienzen in dem Amulett heranzukommen. Ich benötige dazu eine dünne Pinzette, die durch die Augenhöhlen