Thomas H. Huber

Hexenkolk - Wiege des Fluchs


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Hause, gerade bei ausschweifenden Partys kam das mal vor, doch eigentlich wiederstrebte ihr das. Sie wollte einen Mann, mit dem sie alles teilen konnte, einen, der nur Augen für sie hatte. Und dieser Wunsch schien ihr mehr und mehr durch die Finger zu gleiten. Wie sollte sie es schaffen, Beruf und Beziehung in einem ausgewogenen Verhältnis in ihr Leben zu integrieren?

      Aus diesem Grund begab auch sie sich am Nachmittag ins Plaza, um bei William Sutherfords Präsentation dabei zu sein. Da sie es kaum erwarten konnte, sah sie ständig auf ihre Armbanduhr.

      Und obwohl sie sich rechtzeitig auf den Weg gemacht hatte, war sie aufgrund des immensen Verkehrsaufkommens letztlich doch spät dran, und fand nur noch in der letzten Reihe einen freien Platz. Wie sich jedoch kurz darauf herausstellte, war der Redner ein Riese, der selbst von ganz hinten noch gut zu sehen war. „Was hätte ich dafür gegeben, Mick Jagger auf diese Länge heranwachsen zu lassen. Bei dem Konzert der Stones konnte ich nur einen hüpfenden Punkt auf der Bühne wahrnehmen“. Doch dann besann sie sich wieder auf die Gegenwart. Der gigantische Therapeut machte einen sehr sympathischen, wenn auch geheimnisvollen Eindruck, und was er bislang sagte, erweckte ihr Interesse. Als William Sutherford einen tiefen Atemzug nahm, spürte Sarah in ihrem Herzen, dass nun der interessante Teil seines Vortrags beginnen würde.

      „Bevor ich mit meiner Rede fortfahre möchte ich Sie darauf hinweisen, dass das, was ich Ihnen gleich sagen werde, verstörend auf Sie wirken könnte. Deshalb gebe ich Ihnen jetzt die Möglichkeit, sich zu verabschieden. Wenn Sie jedoch hierbleiben, habe ich Sie wenigstens gewarnt“, breit grinsend stützte er sich auf dem Pult ab. Nachdem keiner seinen Platz verließ, fuhr er fort: „Also, gesetzt den Fall, Adam und Eva hätte es tatsächlich gegeben, wären sie dann aus Fleisch und Blut, Menschen wie Sie und ich gewesen? Ich beantwortete diese Frage mit ja, und nein. Ja, natürlich waren sie Menschen, allein schon deshalb, weil sie menschliche Nachkommen zeugten. Und nein, weil es inzestuöse Folgen gehabt hätte, wenn sie ausschließlich menschlich gewesen wären“. Er machte eine Pause. „Aber, was waren sie dann? Vielleicht Außerirdische oder gar Götter?“ Jetzt wurde der Saal erneut von einem Raunen erfüllt. Sutherford trank einen Schluck Wasser, bevor er weitersprach. „Ich behaupte sie waren alles, von jedem etwas. Sie waren sowohl menschlich als auch göttlich, und ja, sie kamen ursprünglich auch nicht von der Erde, weshalb man sie durchaus auch als Außerirdische bezeichnen könnte“. Jetzt war der Saal in Wallung und erste Zwischenrufe drangen durch das laute Gemurmel: „Dr. Sutherford, wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass wir von Aliens abstammen?“

      Sutherford grinste breit und antwortete: „Ja, das will ich. Allerdings füge ich hinzu, dass wir selbst diese Aliens waren“. Jetzt war die Verblüffung perfekt. Es dauerte ein paar Minuten, bis im vollbesetzten Saal wieder Ruhe eingekehrt war. Dann sprach er weiter: „Nicht, dass Sie meinen, ich hätte mir das einfach so aus den Fingern gesaugt, ich kann meine Behauptungen natürlich auch beweisen. Doch bis ich soweit bin, Ihnen diese Beweise auf den Tisch zu legen, bitte ich Sie, mir einfach zuzuhören, einverstanden?“ Die Menschen im Saal nickten wieder und schauten sich verstohlen um, als erwarteten Sie, dass jeden Moment ein Kamerateam hinter einem Vorhang hervorspringen könnte, und das Ganze sich als ein Scherz mit der versteckten Kamera entpuppte. Aber dazu kam es nicht. Sutherford sprach unbeirrt weiter: „Haben Sie sich mal in der Welt umgesehen? Mord, Totschlag, Krieg, Vereinsamung und unzählige Ehescheidungen. Und warum das alles? Weil der Mensch die Anbindung an die Schöpfung verloren hat. Im Grunde genommen sehnen wir uns alle nach Frieden und Liebe, wollen aber nicht akzeptieren, dass wir es sind, die das verhindern. Viele Jahrtausende liegen zwischen uns und Adam und Eva. Der ursprüngliche Genpool ist verwässert, wir sind nur noch ein Schatten von dem, was wir mal waren, nämlich von Gott erschaffene, vollkommene Wesen“. Er trank wieder einen Schluck und im Saal herrschte ungläubiges Schweigen. „In meine Praxis kommen durchweg verzweifelte, einsame Menschen, und Paare, die niemals hätten zueinander finden dürfen. Sie haben sich nur deshalb das „Ja-Wort“ gegeben, weil sie den anderen für ganz passabel hielten und er möglicherweise den gleichen gesellschaftlichen Status innehatte, wie sie selbst. Hätten Sie aus wahrer Liebe geheiratet, bräuchten sie keinen Ehetherapeuten. Und was passiert mit solchen Menschen, die einen derartigen „Liebes-Deal“ eingehen? Genau, irgendwann fliegt alles auf. Und manche machen selbst dann weiter, wenn der Partner sie betrügt. Sie befürchten finanzielle Einbußen, wenn sie im Falle einer Trennung, vom Geldstrom ihres Ehegatten abgeschnitten würden. Andere bleiben zusammen, weil sie keinen Unterhalt bezahlen wollen. Ist es nicht so, meine Damen und Herren?“

      Wieder nickten die Zuhörer schweigend, nur einer meldete sich zu Wort, und streckte dabei wie ein Grundschüler die Hand in die Luft. Sutherford wirkte im ersten Moment irritiert, wandte sich dem Mann in der zweiten Reihe dann aber freundlich zu: „Da hat ganz offensichtlich jemand etwas zu sagen. Verraten Sie uns Ihren Namen?“ Der Mann sprach zögerlich: „Ich bin Jonathan, äh, mein Name ist Jonathan Kramer“. Als die Zuhörer seinen Namen hörten, hatten sie einen weiteren Grund zu tuscheln: „Das ist doch der Autor des Romans ‚Der Mönch und die sieben Leichen‘“. Was macht der denn hier?“ Nur Sutherford wusste mit seinem Namen offenbar nichts anzufangen, denn er antwortete vollkommen unbeeindruckt: „Willkommen, Jonathan, wo drückt der Schuh?“ „Doktor Sutherford, Sie sagten, dass sich jeder nach einer glücklichen Beziehung sehnt. Das tue ich auch. Aber wie kann ich meine Eva finden?“ Sutherford legte die Stirn in Falten und antwortete lächelnd: „Sie werden Sie finden, glauben Sie mir. Und sie findet Sie. Warum Sie beide sich bis jetzt nicht getroffen haben liegt einfach nur daran, dass wir Menschen es im Allgemeinen nicht für nötig halten, genau diese eine Frau, beziehungsweise diesen einen, besonderen Mann, finden zu müssen, wenn wir ein erfülltes Leben führen wollen? Die Liebe wurde in unserer Gesellschaft schon seit tausenden von Jahren instrumentalisiert und auf billigen Sex reduziert. Aus der wahren Liebe wurde die „Ware“ Liebe, verstehen Sie? Wir haben die Liebe auf das Niveau einer Dienstleistung gebracht, und da wir in einem Patriachart leben, zählt die Frau zum Besitz des Mannes“. Sutherford sah kurz auf seine Taschenuhr, die er zuvor sehr geschickt und vollkommen unauffällig aus der Uhrentasche seines Jacketts gezogen hatte, und sagte dann: „Hören Sie, Jonathan, wir werden uns Ihrer Frage am Ende dieser Veranstaltung intensiv widmen, versprochen. Sind Sie damit einverstanden, wenn ich jetzt mit meinem Programm weitermache?“ Jonathan nickte zustimmend und nahm wieder Platz.

      HERVORDIA (Hansestadt-Herford)

      DES PRIESTERS WANDLUNG, 21. AUGUST 1627

      Magdalena wartete seit zwanzig Minuten ungeduldig auf Konstantin. Sie wollten sich um 12 Uhr im Haus ihrer Eltern treffen, um noch einmal die Details zur anstehenden Hochzeitszeremonie zu besprechen.

      Da Pünktlichkeit eine seiner Tugenden war, ging sie unruhig in ihrer Stube auf und ab. Als er um 12: 30 Uhr noch immer nicht da war, machte sie sich auf die Suche nach ihm. Zuerst lief sie zu seiner Wohnung. Doch da war er nicht. „Dann kann er nur in der Kirche sein“, sagte sie sich. Auf ihrem Weg zur Stiftbergkirche passierte sie die Radewiger Brücke, und nahm wehmütig die johlende Menge am Hexenkolk wahr, die dem Kolker begeistert bei seiner grausamen Arbeit zusah.

      „Diese Dreckschweine“, zischte sie und ihre Sorge um ihren vermissten Ehemann in spe wuchs mit jedem ihrer hastigen Schritte. Als sie die Stadt durch das Tor zum Berge (das heutige Berger Tor) verließ, blickte sie hinauf zur Kirche, doch von ihm war keine Spur zu sehen. Fieberhaft ging sie in den Laufschritt über, bis sie schließlich keuchend vor dem Eingangsportal der Kirche auf die Knie sank. Ihr Atem rasselte und ihr Blut pochte gegen ihre Schläfen. Dann stieß sie die schwere Eichentür auf und sah ihn. Er beugte sich gerade über einen Mann, der regungslos am Boden lag. Seiner braunen Kutte nach, war es ein Mönch, ein gewaltig großer sogar.

      „Gott sei Dank, Konstatin, da seid Ihr ja“, sagte sie immer noch atemlos. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Wer ist dieser Mönch?“ Konstantin drehte sich mit geschlossenen Augen langsam zu ihr um. Kurz bevor Magdalena ihn erreichte, öffnete er sie wieder und sah sie mit durchdringendem Blick an, während seine Iris bernsteinfarben zu leuchten begann.

      Sie erschrak: „Was ist mit Euch Konstantin? Was ist mit Euren Aug…?“ Bevor sie ihren Satz zu Ende führen konnte, legte Konstantin seine Hand über ihr Gesicht,