A. F. Morland

Krimi-Sammlung Tod im Leuchtturm und 7 andere Krimis


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geblieben.

       Jerome Kelly kannte diese Geschichte. Und er schöpfte Trost daraus. War er etwa ein primitiver Heide? War der Blonde neben ihm etwa ein spanischer Priester aus einer Epoche religiösen Wahns?

       »Wo fahren wir hin?«, fragte er. Er fühlte sich jetzt ein bisschen besser. Die etwas frischere Nachtluft hatte gut getan. Der Mond und die Wüste wirkten beruhigend auf ihn. Der Cadillac schaukelte dahin wie eine Sänfte. Was, zum Teufel, sollte ihm schon passieren?

       Sie lebten schließlich in zivilisierten Zeiten!

      2

       Viel konnte man in seiner Freizeit nun wirklich nicht anfangen in Las Vegas. Und das war vollkommen beabsichtigt. Am Swimmingpool herumliegen, der ebenfalls nie weiter als zwei Minuten vom nächsten Spielautomaten entfernt war; in glühender Hitze Tennis spielen; eine Runde reiten oder wie nirgendwo sonst in den Staaten schweißtreibend Golf spielen. Der Service auch in den Luxusherbergen war anerkannt miserabel, denn die Besucher - selten blieb einer länger als drei oder vier Tage - sollten sich ja nicht in ihren Zimmern aufhalten, sondern spielen. Aus demselben Grund war das Essen in den allermeisten Restaurants vom qualitativen Standard einer Quick-Food-Kette. Die Stühle und Tische samt übrigem Interieur luden niemals zum Verweilen ein. Sie hatten den Charme einer Werkskantine.

       Eine löbliche Ausnahme im Freizeitprogramm bildete einzig und allein der Lake Mead hinter der gigantisch aufragenden Steilwand des Hoover-Staudamms. Hier konnte man segeln, sich in überraschend kaltem Wasser erfrischen und wenn man Glück hatte auch etwas Vernünftiges zwischen die Kiemen bekommen.

       »Ich lade Sie ein«, sagte der Fahrer, während er vom Interstate Highway zur kaum schmäleren Auffahrt abbog. »Hängt Ihnen der Fraß in Las Vegas nicht auch schon zum Hals raus?«

       »Wie? Was?« Kelly war in Gedanken versunken gewesen. Jetzt ruckte er wieder hoch. »Ach ja. Ja bitte. Sehr freundlich von Ihnen.«

       »Wir können uns doch auch wie kultivierte Menschen unterhalten, nicht wahr? Und uns einigen.«

       Im letzten Satz schwang unüberhörbar ein drohender Unterton mit. Jerome Kelly nickte heftig. Gleichzeitig setzte sein Herz einen Schlag aus. Wie immer öfter in der letzten Zeit. Er schluckte schnell eine Tablette. Er trug sie in der Seitentasche seines Jacketts. »Natürlich werden wir uns einig.«

       Die mondhelle Nacht floss an den Fenstern vorbei. Steine, nichts als Steine. Am Tag und besonders bei Sonnenauf- und -untergang brannten sie in allen Regenbogenfarben. Nun aber lagen sie da, wie von der Faust eines grimmigen Riesen verstreut, schwarz und abweisend. Nur vereinzelt wuchs ein Kreosot, ein Dornbusch. Die Landschaft war bedrückend. Sie legte sich aufs Gemüt, und schon war Kellys Laune wieder am Schwindel! Er wusste das Kribbeln in seinen Fingerspitzen und am Nacken nicht zu deuten. Machte er sich nur etwas vor? War er doch in Gefahr?

       Das Gesicht des Blonden blieb ausdruckslos. Er schaute stur geradeaus, zündete sich eine neue Zigarette an. Er trug nur ein Sweatshirt und hellfarbige enge Jeans. Darunter konnte er unmöglich eine Waffe verbergen. Doch andererseits, wenn Kelly so seine kräftigen Hände ansah, die zur Zeit noch locker das Steuer umfassten, dann brauchte dieser Mann wahrscheinlich gar kein Schießeisen. Mit solchen Fäusten brach man ein Genick wie einen dürren Ast. Die kurzen Ärmel ließen den imposanten Bizeps frei.

       Eine neuerliche Abzweigung. Der Croupier war schon oft genug hier oben gewesen, doch die kannte er nicht. Automatisch verkrampfte er sich auf seinem Sitz.

       »Mein Geheimtipp«, meinte der Blonde, als habe er Kellys Gedanken erraten. »Ein Lokal, in dem es täglich frische Forellen gibt. Und die besten Butterkartoffeln weit und breit. Selbst angebautes Gemüse und nicht das aus der Gefriertruhe. Sie werden begeistert sein. Nur keine Bange. Ihnen passiert schon nichts. Schließlich haben Sie uns in der Hand. Wir wollen keinesfalls, dass Ihr Wissen an fremde Ohren dringt. Wie viel, sagten Sie, möchten Sie haben?«

       Kelly schluckte am Kloß in seinem Schlund. Er schmeckte scheußlich. Der Fahrtwind Fächelte in seinem pechschwarzen glatten Haar.

       »H..., hunderttausend Dollar ...«

       Der Fahrer nickte. »Nicht gerade ein Pappenstiel.«

       »Was wollen Sie? Ihre Gruppe hat inzwischen mindestens zehn Millionen abgeräumt.«

       »So genau wissen Sie das?«

       Kelly wurde patzig. »Ich bin vom Fach.«

       »Das ist mir klar. Sie können sich übrigens wieder entspannen. Wir sind gleich am Ziel. Nur um die vierhundert Yards noch.«

       Die Straße führte jetzt zwischen Kiefern hindurch. Sie waren nicht von selbst gewachsen, sondern gesetzt worden. Für dieses Ufer hatte die Natur keine Bäume vorgesehen gehabt. Sie waren so künstlich wie Las Vegas auch. Der Wüste abgerungen und nur lebensfähig, weil der Mensch das so wollte. Die Erde dafür hatte extra von weit her angefahren werden müssen. So wie auch jene am Rand des Pools und für den Rasen und die üppigen Blumenrabatten dazwischen. Las Vegas verbrauchte fast viermal so viel Wasser wie eine vergleichbar große Stadt in gemäßigteren Zonen.

       Der Fahrer verlangsamte sein Tempo. Ein Nachtvogel schrie geisterhaft. Der Motor des Caddy war kaum zu hören. Kelly kam es vor, als würde sein Puls viel lauter pochen. Jeglicher Appetit war ihm ohnedies vergangen.

       Keinen Bissen hätte er jetzt noch hinuntergekriegt, und das wollte er gerade sagen, als der Blonde aufs neuerliche die Straße verließ. Kein Asphalt mehr. Nur ein holpriger Feldweg. Der Croupier hatte auch kein Schild bemerkt, das auf irgendein Lokal hingewiesen hätte. Dann knirschte plötzlich Kies unter den Pneus, und der mächtige Wagen stand, in den Stoßdämpfern wippend.

       Jerome Kellys Gedanken brauchten sich nicht erst zu überschlagen. Panik schwemmte in ihm hoch wie eine Sturmflut, schwappte über ihm zusammen, hüllte ihn ein, trug ihn fort. Ein Paradoxon, dass ihm das ausgerechnet hier in Nevada passierte.

       Doch seine Reflexe waren in Ordnung. Ohne blendende Reflexe kam kein Croupier aus. Sie waren das A und O in seinem Beruf.

       Blitzschnell huschten die Karten aus dem Schuh beim Baccarat, blitzschnell flogen die Würfel beim Craps. Er musste Augen haben wie ein Luchs und die Geschicklichkeit eines Zauberkünstlers, ohne selbst dabei »zaubern« zu dürfen. Und seinen schnellen Augen war es letzten Endes auch zu verdanken gewesen, dass er diesen Betrügern überhaupt auf die Spur gekommen war.

       In diesen Sekunden allerdings war Jerome Kelly seinem Schicksal überhaupt nicht mehr dankbar für dieses Talent. Er hätte es verfluchen mögen! Wieso hatte er nur so leichtfertig sein können!

       Er riss den Wagenschlag auf, ließ sich hinausfallen, rollte über die Schulter ab. Der Blonde war sich zu sicher gewesen mit seinen Muskeln und seinem stoischen Gehabe und seiner Größe, mit der er den Croupier des »All America Casino« um mindestens einen Kopf überragte. Glaubte der Kerl denn, er ließe sich die Haut abziehen wie ein totes Kaninchen?

       Kelly kam hoch. Er hatte die Orientierung verloren. Doch die Doppelscheinwerfer des Caddy brannten noch. Nichts wie weg aus dem Lichtkegel, der seine Balken drohend in die Dunkelheit schnitt. Unterholz. Rascheln an seinen Knien. Frische Luft.

       Und dann vor ihm die Fläche des Lake Mead. Unschuldig wie flüssiges Silber lag sie vor ihm. Kein Windhauch kräuselte den Spiegel.

       Wohin jetzt? Zu den Forellen?

       Es gab keine Forellen im See. Er hätte vorher daran denken sollen. Er hätte so vieles vorher bedenken sollen.

       Was für ein Narr er doch gewesen war!

       Kelly stolperte weiter, wusste den Verfolger hinter sich, ohne auch nur einen Atemzug von ihm zu hören. Leute wie dieser Blonde hielten sich nicht mit Keuchen auf. Sie handelten. Blind wie ein Grottenolm war er in eine Falle getappt. Nicht aus Geldgier, sondern von einer vagen Hoffnung getrieben. Von einer Hoffnung auf eine Zukunft, die ihm hier in Las Vegas nie in Erfüllung gegangen wäre.