A. F. Morland

Krimi-Sammlung Tod im Leuchtturm und 7 andere Krimis


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mickriger City-Bulle.«

       »Und dürr wie ein unterernährter Hering«, warf Reiniger ein, doch Rogers hatte offenbar nicht hingehört, denn er vollführte eine wegwerfende Handbewegung.

       »Der Knabe kam nur zu diesem einen Schuss, weil ihm Lion von hinten einen Schlagring über den Schädel zog.« Beinahe bekam Captain Toby vor Rührung feuchte Augen. »Ja, und das war’s dann schon. Der Junge wurde nicht mal angeklagt, doch Lion Lister brummten sie drei Jahre auf. Aber ich fühlte mich verdammt dankbar, verstehst du? Ich besuchte ihn öfter im Knast, setzte Himmel und Hölle in Bewegung und kriegte ihn schon nach vier Monaten wieder frei. Bald darauf siedelte er nach Vegas um. Trotzdem ist die Verbindung nie vollkommen abgerissen. Wann immer er in New York zu tun hat, lädt er mich großartig und zum teuersten Essen ein.«

       »Es geht eben nichts über die Liebe, die durch den Magen geht«, kommentierte Bount und handelte sich einen bösen Blick des Freundes dafür ein.

       »Ich war auch damals schon nicht mehr besonders schlank«, knurrte er.

       Die Maschine hatte das Fahrgestell ausgefahren. Sie setzte auf die Minute pünktlich auf.

      4

       Sie wurden abgeholt. Auf dem Rollfeld tauchte eine schwarze achtsitzige Cadillac-Limousine auf und stellte sich direkt neben die Gangway, kaum dass die an den Vogel herangerollt war.

       Captain Toby grinste, versuchte seine Jacke zuzuknöpfen, ließ es jedoch dann aufseufzend bleiben.

       »Der Schlitten ist doch nicht etwa für dich?«, wunderte sich Bount.

       »Für uns«, verbesserte Rogers. Er hatte sich für diese Reise extra ein paar Tage frei genommen. »Wir sind VIPs. Very important persons. Habe ich etwa vergessen, dir das zu erzählen?«

       Bount war beeindruckt. Das nannte er einen Empfang nach seinem Herzen.

       »Dann muss er ja ganz schön hochgerutscht sein auf der Karriereleiter, dein Lion.«

       »An die Spitze«, meinte Rogers schlicht. »Er ist Leiter des All America Casino. Das dazugehörige Hotel hat zweitausend Zimmer und Suiten und gehört ebenfalls zur absoluten Luxusklasse. Das leitet er natürlich auch. Er hat den golden pencil.«

       Reiniger stieß pfeifend die Luft aus den Lungen. »Der goldene Bleistift« war ihm natürlich ein Begriff. Er wurde nur an sehr wenige Geschäftsführer abgegeben und berechtigte den Inhaber, nach eigenem Gutdünken Freunde des Hauses und auch persönliche nicht nur zu bewirten, sondern sie auch kostenlos in seinem Hotel wohnen oder gleich aus aller Welt einfliegen zu lassen. Und für all diese Vergünstigungen leistete ein Kasinodirektor nur seine Unterschrift. Daher der Name.

       Dann stieg ein livrierter Chauffeur aus, muskulös, ein schickes Käppi auf seinem blonden Schopf, und öffnete eine der hinteren Türen.

       Ein Mann in Rogers' Jahren wurde sichtbar, doch hatte er sich entschieden besser gehalten. Die schlanke Gestalt in einen sepiafarbenen Seidenanzug gehüllt und in ein ähnlichfarbenes Hemd mit gelben Nadelstreifen, winkte er herauf zu den winzigen Fenstern in der ersten Klasse. Sein Haar war schlohweiß und lang wie bei einem Künstler, der sich wenig um Konventionen scherte. So wie er dastand, erinnerte die Mähne tatsächlich an die eines Löwen, doch damit hörten die Ähnlichkeiten auch schon auf. Löwen trugen keine Maßanzüge und keine Maßschuhe. Vielleicht waren sogar noch die Socken nach seinen speziellen Daten gestrickt.

       Toby winkte nicht zurück, er drängte bereits zum Ausgang, zwängte sich rigoros durch die übrigen Passagiere. Auf seinem runden Bulldoggengesicht glänzte ein freudiges Strahlen. Flink wie ein überfüttertes Wiesel, jedoch immer noch flink, huschte er über die Stufen hinunter. Um in die weit ausgebreiteten Arme von Lionel Lister zu laufen. Beide grinsten sie sich an wie die Ölgötzen.

       Es war schon ein rührendes Bild, irgendwie, das sich Reinigers Blicken bot: hier Captain Rogers in seinem zerknitterten Konfirmandenkostüm, verschwitzt und dicknackig, unrasiert; und da dieser Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, der mit Sicherheit mindestens nach Rosenwasser duftete. Ein Herz und eine Seele waren sie beide anscheinend trotzdem.

       Bount folgte langsam, nachdem das Gedränge nachgelassen hatte, und nahm auch Tobys Bordgepäck mit. In der Eile hatte er's vergessen. Und er erreichte die seltsame Gruppe, als die erste Begrüßungsfreude endlich abflaute. Die beiden erwachsenen Männer versicherten sich gerade, wie gut sie eigentlich noch ausschauten. Vonseiten Lionel Listers eine unverschämte Lüge.

       »Und das ist mein Freund Bount«, sagte Rogers jetzt. »Ich habe dir ja schon von ihm erzählt. Manchmal bin ich ihm beim Lösen seiner Fälle behilflich.«

       Bount Reiniger bleckte die Zähne. Toby konnte mindestens ebenso gut flunkern wie der Spielcasino-Löwe Lion. Denn meistens war’s umgekehrt, wenngleich Bount zugeben musste, dass Captain Rogers unterm Strich doch ein Prachtbulle war. Noch einer vom alten Schrot und Korn und keiner von diesen geschniegelten und gestriegelten Schreibtischhengsten mit dem Bachelor of Science als Schulabschluss, wie sie neuerdings immer mehr in Mode kamen.

       Lister reichte ihm die Hand. Ihr Druck war kühl und fest. Dabei schauten sie sich in die Augen. Der Kasinodirektor versuchte in Bounts Zügen zu forschen, und umgekehrt war es nicht anders. Was Bount sah, beeindruckte ihn aus der Nähe nicht weniger als auch schon aus der Entfernung.

       Ein feingeschnittenes, sonnengebräuntes Gesicht mit gerader Nase, einem smarten, ebenfalls schlohweißen Oberlippenbärtchen, in der Mitte des markigen Kinns ein Grübchen. Hoch angesetzte Wangenknochen, buschige Brauen, denen man allerdings die Nacharbeit einer Visagistin ansah. Die Augen selbst waren von eisiger Bläue und wichen Bounts Blick keinen Sekundenbruchteil lang aus. Ein Mann insgesamt, der sich über seinen Wert nicht täuschte.

       Dann verzogen sich die Lippen zu einem diffusen Lächeln.

       »Herzlich willkommen, Mister Reiniger. Ich hoffe, Sie werden Ihren Aufenthalt hier genießen.«

       »Vielen Dank. Aber ich fürchte, dazu sind wir nicht gekommen.«

       Listers Blick verengte sich einen Moment. Dann drang sein Lächeln wieder an die Oberfläche.

       »Kompliment«, sagte er. »Unser gemeinsamer Freund hat also nicht übertrieben, als er Sie schilderte. Immer am Ball bleiben; das Ziel nie aus den Augen verlieren ...«

       Bount zuckte die Schultern. »Jeder macht seinen Job, so gut er kann. Ich denke, bei Ihnen ist das um kein Jota anders.«

       »Hm. Sie sind ein Mann nach meinem Geschmack, Mister Reiniger. Ich darf Sie doch Bount nennen?«

       Zwar hatte Bount etwas gegen schnelle Kameraderie, aber er wusste auch, dass an der Westküste andere Sitten herrschten. Dort lächelten sich die Geschäftsleute freundlich an, während sie versuchten, sich gegenseitig an der nächsten Wand zu zerquetschen.

       »Nichts dagegen, Lion.« Der Händedruck wurde erneuert. Bount hatte noch kein rechtes Bild von diesem Mann. Er war glatt wie ein Aal und scharfsichtig wie ein Geier. Etwas in seinem Blick erinnerte ihn tatsächlich an einen Raubvogel.

       »Aber was stehen wir hier noch länger in der Hitze herum?«, meinte Lister anschließend. »Drinnen im Wagen ist es kühl. Und ein Gläschen Champagner steht auch bereit.«

       Diesmal öffnete er den Wagenschlag selbst. Das heißt, er öffnete zwei Stück, und der Einlass in den Caddy wurde breit wie ein Scheunentor.

       Auf den Rückplätzen lagen sich die Sitzreihen gegenüber. Sie waren mit mitternachtsblauem Samt ausstaffiert. Auf dem hochflorigen Teppichboden dazwischen hätte ein erwachsener Mann bequem wie in einem Daunenbett schlafen können. Dagegen ging es in Bounts Mercedes 500 SL beinahe eng oder sogar ein bisschen ärmlich zu.

       Trotzdem hätte er nicht tauschen mögen. Er war ja kein Busunternehmer und die City in New York auch ohne diese Zehn-Meter-Karossen schon verstopft genug.

       Zwischen