A. F. Morland

Krimi-Sammlung Tod im Leuchtturm und 7 andere Krimis


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alles geklärt. Keine Fragen mehr, kein Morgen. Er klatschte mit dem Gesicht ins Wasser. Kalt, eiskalt, spritzte es auf, wo sein Kopf untertauchte. Ein Stechen in der Brust, als habe ihm jemand ein Messer ins Herz gebohrt, es brutal in der offenen Wunde gedreht. Und dieselben Hände, die ihn zu Fall gebracht hatten, rissen ihn nun wieder heraus aus dem Wasser.

       Dann stand er da, der Blonde. Mit schwer hängenden Armen. Es dauerte eine Weile, bis er die Wahrheit erkannte. Dann traten ihm, dem Erbarmungslosen, auf einmal Tränen in die Augen. Es waren echte Tränen.

       »Du Schwein!«, heulte er, und niemand war in der Nähe, der ihn hätte hören können. »Du zehnmal verfluchtes Schwein! Musstest du ausgerechnet jetzt krepieren?«

      3

       Toby Rogers trank gerade seinen dritten Whisky, für ihn eine beinahe olympiareife Leistung, weil er sonst Bier bevorzugte.

       Aber er litt unter Flugangst. Einer höllischen Flugangst. Nicht einmal die Oberweite der Stewardess konnte ihn darüber hinwegtrösten, und schon das allein bewies, welche Schrecken das Fliegen für den Schrecken der Centre Street barg.

       Centre Street. Das ist das Police Headquarters Manhattan South, ein Bau, der jährlich um die drei Zentimeter tiefer in die Erde versinkt und von Architekten schon ein Stahlkorselett verpasst bekommen hat. Und Rogers war in diesem Ameisenhaufen uniformierter und ziviler Gesetzeshüter der Leiter des Morddezernats C/II. Heiß geliebt von einer kleinen Handvoll Leute und wie die Pest gehasst von einem runden Tausend. Seine Squad erreichte die Aufklärungsquote von nahezu 90 Prozent, und das war einsame Spitze in New York.

       Zu den Leuten, die ihn deswegen hassten, gehörten nicht wenige seiner Kollegen.

       Neben ihm, auf der Fensterseite der Boeing 727, hatte Bount Reiniger überhaupt keine Angst, betrachtete sogar die Oberweite des so wenig engelhaft fliegenden weiblichen Personals mit wachsendem Genuss. Es stieg meist im Plaza ab, das wusste er, das gehörte bei ihm fast schon zur Allgemeinbildung.

       Indes, ein paar andere Probleme standen ihm zur Zeit näher. Und auch um Freund Rogers abzulenken, fragte er: »Woher kennst du Lionel Lister eigentlich? Bisher hast du dich darüber ausgeschwiegen.«

       »Wie man Leute halt so kennt«, wich Rogers aus.

       Ihn als Schwergewicht zu bezeichnen, wäre der Wahrheit ziemlich nah gekommen. Allerdings musste man ihm den Boxer wieder davon abziehen. Es sei denn, in der nächsten Saison würden Nashörner und Elefanten in den Ring des Madison Square Garden zugelassen. Captain Toby Rogers verfügte über eine rotledrige Haut, den Nacken eines Corrida-Stiers, die adrette Figur vom Kühlturm eines Atom-Meilers und das freundliche Gemüt eines gereizten Bull-Terriers.

       Bount Reiniger liebte ihn! Sie waren Freunde schon seit ungezählten Jahren.

       »Was soll das heißen?«, bohrte Reiniger nach. »Wie man Leute halt so kennt ...«, äffte er anschließend Rogers hinterher. »Du rufst mich an, fragst mich, ob ich innerhalb einer Stunde reisefertig und am La Guardia sein kann. Ich Trottel sage ja, und jetzt fliegen wir schon seit vier Stunden, und ich weiß immer noch nicht, worum es geht! Nur den Namen >Lionel Listen< nennst du ab und zu und so leise wie einen Geheimtipp beim nächsten Pferderennen. Was soll das alles? Deine Flugangst in Ehren, lange genug hab’ ich darauf Rücksicht genommen, aber jetzt solltest du endlich Farbe bekennen. Wir landen in weniger als einer halben Stunde.«

       »Landen? Ogottogott!«

       »Wenn dir Fallschirmspringen lieber ist ...?«

       »Idiot!«

       »Na endlich«, meinte Reiniger. »Du findest wieder zu dir. Wer ist Lionel Lister?«

       Rogers bedachte Reiniger mit einem umflorten Blick. »Du gibst wohl nie auf, eh?«

       »Hättest du mich sonst mitgenommen? Gratis? Oder besser gesagt, auf Kosten von irgendwem? Nur so zum Spaß?«

       »Du wirst schon auf deinen Schnitt kommen«, brummte Captain Toby. Seine Grammatik war nicht einwandfrei, die Aussage dennoch klar. »Wer wüsste inzwischen nicht mehr, dass du der am besten bezahlte Privatbulle der Ostküste bist.«

       In Rogers' Feststellung nistete Neid. Ganz einwandfrei.

       »Lister!«, insistierte Reiniger weiter. »Und jetzt bitte keine Ausreden mehr. Ich hatte mehr als vier Stunden Geduld mit dir. Mehr, als ich je jemandem anderen einräumen würde.«

       »Willst du mir auf meine alten Tage noch ein paar Schuldkomplexe aufladen?«

       »Du brauchst nur zu reden, Honey-Boy.«

       Unter der Boeing 727 breitete sich inzwischen die Wüste von Nevada aus. Nicht das geringste Anzeichen von schneebedeckt oder gar verschneit. Die Berge lagen nackt wie Marylin Monroe in ihren totgeschwiegenen Pornofilmen unter dem Flieger.

       »Ja, das ist so«, begann Toby Rogers endlich. »Lionel Lister. Ich hab ihn bei mir immer nur den >Lion< genannt. Den >Löwen<. Wenn du ihn siehst, wirst du wissen, warum.«

       Reiniger schwieg. Toby Rogers fuhr fort.

       »Siehst du, Bount, vor einigen vielen Jahren war alles noch ein wenig anders bei uns. Was heißt war? Ist doch immer noch! Bei uns in New York gelten die Betreiber von Spielkasinos als kriminelle Elemente. Meist stimmt das ja auch. Aber einigen von ihnen hat Las Vegas damals eine legale Existenz geboten. Sie haben sie ergriffen. Kann ich etwa was für unsere Gesetze?«

       Captain Rogers konnte nicht. In diesem Punkt war Reiniger mit ihm einig.

       »Weiter, Toby.«

       »Las Vegas«, wiederholte Rogers, »hatte ihnen eine legale Existenz geboten. Sie galten wieder als geachtete Mitglieder der Gesellschaft und konnten sich neu in die Gemeinschaft eingliedern. Sie waren keine >Outcasts< mehr, keine Ausgeschlossenem. Und siehst du, unter der Ägide von Leuten wie Lion ist Las Vegas das geworden, was es heute ist: Eine von Verbrechen saubere Stadt. Allein in der Lexington Ave registrieren wir in einem Monat mehr Raubüberfälle als Vegas in einem Jahr. Unter dem Einfluss von Männern wie Lion Lister entwickelte sich Las Vegas zu einer geordneten, dem Gesetz unterstellten Gemeinschaft, unabhängig der verkommenen Spieler aus aller Welt, die meist schleunigst wieder abgeschoben werden, sobald man sie erkennt. Es entstanden Schulen und Kirchen, zwei Universitäten, der Fremdenverkehr nahm ungeahnten Aufschwung. Und Lion ist einer jener Pioniere, die das alles bewerkstelligt haben. Ich habe alle Achtung vor ihm. Er ist auch ein Freund.«

       »Du willst mir nicht sagen, wie das kam?«

       Rogers zuckte die Schultern. Plötzlich sah er abgekämpft und müde aus.

       »Die alte banale Story, Bount«, sagte er dann. »Er hat mir das Leben gerettet. Ich war noch ein junger Spund damals. Nahm an einer Razzia teil. Es ging ausgerechnet darum, einen unkonzessionierten Spielklub in Manhattan auszuheben, der schon damals in Nevada stocklegal gewesen wäre. Aber du kennst das ja. In New York gibt’s keine Todesstrafe mehr. Und fährst du durch den Holland Tunnel rüber nach New Jersey, spritzen sie die Leute mit Gift ins Jenseits. Was soll man als Cop schon davon halten? Den Kopf in den Gasofen stecken, eh? Herrgott! Soll ich etwa Präsident Ford einen Gauner nennen, weil er Nixon begnadigt hat? Oder einen Bankier einen Dieb, weil er mit seiner Bank bankrott machte? Oder eine Firma, die Personalkredite gibt, ein Wucherunternehmen? So wie unser Staat das Rentensystem handhabt, in etwa?«

       Darauf war schwerlich was zu sagen. Bount Reiniger huldigte ja selbst der Anschauung, dass keineswegs nur im Shakespeares »Staate Dänemark« etwas faul war. Besonders die USA standen ihm da in nichts nach. Die unselige Allianz zwischen Politik und Korruption war schließlich schon sprichwörtlich geworden.

       Toby Rogers fuhr leiser fort: »Wir rückten also dort an, ich weiß es noch so gut wie heute. In einer piekfeinen Privatwohnung an der Park Avenue war das. Lion arbeitete an einem Roulettetisch. Um ihn herum lauter Großkotze aus der sogenannten besten Gesellschaft und ihre Huren. Und einer dieser Großkotze fühlte