Peter Strauß

Ende offen


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lokale Herrscher an die Stelle des früher lenkenden Instinkts.

      Kapitel 4.2: Wir haben mehr Möglichkeiten, als man uns glauben machen will. Die Welt ist nicht alternativlos, und sie ist auch nicht die beste aller möglichen Welten.

      Kapitel 4.3: Die Individualisierung hat uns in Entfremdung und Anonymität geführt, aber der Höhepunkt ist überschritten. Unser Ziel ist Individualität in Gemeinschaft.

      Kapitel 4.4: Wir können Entwicklungen bremsen oder beschleunigen, indem wir Erkenntnisse verbreiten und die richtigen Themen in den Fokus rücken. Bisher gestalten wir unsere Reifung kaum, sondern lassen sie geschehen. Das birgt das Risiko, dass uns unsere Technologie über den Kopf wächst.

      Kapitel 4.5: Wir sollten die Bildung und Reifung aller Menschen weltweit fördern. Der Fokus sollte auf den Kindern liegen, denn sie sind die erste Generation, die ohne den Schatten der alten, falschen Werte aufwachsen kann.

      Kapitel 4.6: Oft sehen wir uns als die Familie Müller, die Deutschen, die Angestellten oder die Mittvierziger, weil die Evolution uns Anlagen für das Leben in Gruppen mitgegeben hat. Die Erkenntnis, dass wir eine geeinte Menschheit sind, kann über unser Fortbestehen entscheiden.

      Kapitel 4.7: Zusammenarbeit ist die Zukunft, und Hierarchie wird dazu immer weniger benötigt. Wir werden kaum noch urteilen. Grundlage dafür ist ergebnisoffene, ehrliche Kommunikation.

      Kapitel 4.8: Anders als früher muss und wird eine zukünftige Systemveränderung friedlich verlaufen – weil wir reif dafür sind. Wir werden auch heute unlösbar erscheinende Probleme lösen – weil wir reifer werden und sich unsere Werte ändern.

      Kapitel 4.9: Falls wir in fünfhundert Jahren noch existieren, wird vieles anders sein. Wir können viel mehr erreichen, als wir denken.

      2 Welzer, 2018

      3 Munition und Giftgas auf dem Meeresgrund, gesunkene Atom-U-Boote, neue Kriegsgefahren, der weltweit zu beobachtende „Rechtsruck“, Beschleunigung des Klimawandels durch Schmelzen allen Eises und Methaneises, Mikroplastik in der Nahrungskette, vergiftetes Grundwasser durch Überdüngung der Äcker.

      4 https://ourworldindata.org, abgerufen am 23.02.2019

      5 Klein, 2013: „Weil die Evolution sehr langsam ist, das Tempo der Zivilisation dagegen rasant. […] In einigen Punkten mögen wir uns biologisch angepasst haben, aber die Steinzeit steckt uns weiterhin in den Knochen.“

      6 Mit dem Begriff Steinzeit meine ich hier den Zeitraum des Pleistozäns, der vor zweieinhalb Millionen Jahren begann und mit der Sesshaftwerdung und der Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht etwa 1 1.500 v. Chr. endete.

      7 Schmidbauer, 1972, S. 89: „Doch wenn auch Lernfähigkeit und Einsicht die Steuerungsfunktion der Instinkte übernommen haben, bleiben doch die emotionalen Kategorien des menschlichen Erlebens bis heute von der Adaptation [sic] an die kleinen, besitzlosen Gruppen der Jäger und Sammler geprägt.“

      8 Ich setze „Erziehung“ in diesem Buch durchgängig in Anführungszeichen, weil ich nicht der Ansicht bin, man müsse an Kindern ziehen, damit etwas aus ihnen wird. Daher will ich dieses Wort nicht so gebrauchen. Ähnliches gilt für das Wort „beibringen“, wenn man es im ursprünglichen Wortsinn betrachtet. Sie drücken den Zynismus aus, mit dem „Erziehung“ und Schulunterricht früher meist stattfanden. Wenn wir nicht mehr „Neger“ oder „Mohr“ sagen, sollten wir aus denselben Gründen auch die Worte „beibringen“ und „Erziehung“ nicht mehr benutzen.

      9 Schmidbauer, 1972, S. 10

      10 Dieser Satz geht möglicherweise auf einen Ausspruch von Abraham Lincoln (1809 - 1865, 16. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika) zurück: "Wenn ich acht Stunden Zeit hätte um einen Baum zu fällen, würde ich sechs Stunden die Axt schleifen."

       2 Woher wir wirklich kommen

      Wir haben oft den Eindruck, ohne unsere technischen Errungenschaften wären wir kaum überlebensfähig. Das ist nicht richtig, denn wir wären längst ausgestorben, wenn wir nicht an unsere Umwelt angepasst wären. Wir sind nicht unzulänglich und müssen nicht dauernd verbessert werden. Wir sind für diese Welt richtig und ohne Hilfsmittel vollständig lebensfähig – allerdings nur im steinzeitlichen Zustand und unter den damaligen Umständen. Wir sind nicht an das Leben in einer Zivilisation angepasst, und unsere Zivilisation ist nicht an unsere Eigenschaften angepasst. Weiterentwicklung und Zivilisation haben die Zusammenhänge unseres Lebens verändert. Viele der biologisch alten Eigenschaften wirken jedoch heute unverändert weiter.11 Wir haben neue Regeln und Gesellschaften geschaffen und nicht beachtet, dass unser Verhalten von uralten Regeln bestimmt wird. Wir haben eine neue Zeit geschaffen, ohne uns zu fragen, ob sie zu den Regeln passt, die uns die Evolution eingeprägt hat.

      Die Steinzeit ist für mich der Maßstab, an dem sich unsere Zivilisation messen lassen muss. Wir sollten es schaffen, bei unserer Entwicklung nicht hinter die damalige Qualität zurückzufallen. In den folgenden Kapiteln möchte ich auf Hintergründe eingehen, die unser Leben und unser Zusammenleben jahrtausendelang bestimmt haben und die auch heute noch gültig sind. Mich beschäftigt, woher wir kommen und warum wir uns so entwickelt haben.

      Wir beschwören oft den „inneren Schweinehund“, der uns faul mache und uns daran hindere, die bei uns hoch bewertete Leistung zu erbringen. Es entsteht der Eindruck, Faulheit sei falsch, Eifer, Leistung, und permanente Anstrengung dagegen grundsätzlich gut und richtig. Doch die Evolution hat uns die Muße mitgegeben, damit wir in friedlichen Situationen, wenn ausreichend Nahrung vorhanden ist, unsere Kräfte schonen. Würden wir heute Faulheit weniger sanktionieren, wären stressbedingte Erkrankungen Vergangenheit.

       Zurück in die Steinzeit?

      Einer meiner Lektoren merkte an: „Willst du wirklich, dass wir in die Steinzeit zurückfallen – ständiger Kampf ums Überleben und eine Lebenserwartung von maximal dreißig Jahren?“ Doch waren unsere Vorfahren tatsächlich pausenlos auf der Suche nach Nahrung, mussten sich ununterbrochen gegen wilde Tiere verteidigen, und ereilte sie nach einem entbehrungsreichen Leben ein früher Tod?

      Die ersten Menschen dürften weniger durch Fressfeinde bedroht gewesen sein, als gemeinhin angenommen. Raubtieren stand mit großen Herden von Pflanzenfressern reichlich Beute zur Verfügung. Darüber hinaus nahm die Bedrohung ab, als Waffen entwickelt wurden, also etwa vor zweieinhalb Millionen Jahren.

      Die Nahrungssuche dürfte wesentlich einfacher gewesen sein, als wir im Jagen mit Pfeil und Bogen ungeübten Europäer uns das vorstellen. In der Geschichte der Evolution haben meist die Arten überlebt, die noch Zeitreserven hatten: Wer schon in guten Zeiten immer auf Nahrungssuche ist, wird beim ersten Wetterumschwung verhungern.12

      Und wie steht es mit der Lebenserwartung? Die Daseinsspanne der Jäger und Sammler wird meist mit gerade einmal dreiunddreißig Jahren angegeben.13 Allerdings lag die Kindersterblichkeit bei einem Drittel bis zu einer Hälfte. Auf jedes gestorbene Kind unter zehn oder fünfzehn Jahren muss es demnach rechnerisch einen Menschen gegeben haben, der über fünfzig Jahre alt wurde. Das niedrige arithmetische Mittel schließt nicht aus, dass es auch unter den Jägern und Sammlern Achtzigjährige gab.14

      Das stärkste Argument dafür, dass es auch in der Altsteinzeit Menschen höheren Alters gegeben haben muss, ist, dass die Evolution die Möglichkeit dazu in uns angelegt hat. Dass wir so alt werden können, ist mit hohem Aufwand verbunden: Die Alterung von Zellen muss verlangsamt werden, Krebszellen müssen beseitigt und beschädigte DNS muss repariert werden, langsame Vergiftungen durch Umwelteinflüsse müssen abgebaut werden können, und der Verschleiß an Knochen und Gelenken muss sich in Grenzen halten. Nicht ein einzelnes Gen entscheidet über die Möglichkeit zu altern, sondern es ist eine Vielzahl von Veränderungen erforderlich, um die Lebenserwartung anzuheben, denn sinnvollerweise altern alle unsere Körperteile und -funktionen gleichmäßig.15 Unsere Lebenserwartung ist wie alle anderen menschlichen Eigenschaften nicht zufällig entstanden, sondern das Ergebnis einer Optimierung auf bestmögliche Arterhaltung.