Heinrich Thies

Fesche Lola, brave Liesel


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Frankfurter Zeitung, Siegfried Kracauer, feiert sie als »neue Verkörperung des Sinnlichen«, und die Berliner Zeitung spricht vom »ersten Kunstwerk des Tonfilms« und hebt ebenfalls Marlene Dietrich hervor: das »narkotisierende Spiel des Gesichts, die dunkle, aufreizende Stimme«. In der Neuen Leipziger Zeitung vom 5. April ist auch eine Besprechung von Erich Kästner zu lesen. Der Film sei enttäuschend, schreibt der Autor, aber: »Marlene Dietrich als Lola ist ausgezeichnet, auf harmlose Art ordinär und aufreizend kostümiert. Ihr Wuchs, ihre Beine und Schenkel spielen die Hauptrolle. Das wirkt.«

      Während Rudi sie über das Presseecho in Berlin auf dem Laufenden hält, meldet sich Josef von Sternberg mit verheißungsvollen Nachrichten aus den Vereinigten Staaten. Der blaue Engel ist dort zwar noch nicht angelaufen, doch der sensationelle Erfolg hat sich schon auf der anderen Seite des Atlantiks in der Fachpresse herumgesprochen. Solche Nachrichten helfen Marlene über die Ungewissheit und die Melancholie hinweg. Wird ihr Traum vom Ruhm nun tatsächlich Wirklichkeit werden?

      7 Besuch aus Amerika

      Dicke Schneeflocken schwebten vor ihrem Fenster herab. Über die verschneite Kaiserallee rasselte eine Kutsche. Als sie von ihrem Buch aufblickte, sah sie, wie aus den Nüstern der schwarzen Rösser kleine Dunstwolken stiegen. Der Anblick stimmte sie melancholisch. Immer seltener waren auf den Berliner Straßen Kutschen zu sehen. Das Kutschenzeitalter neigte sich dem Ende zu. Mehr und mehr stinkende Automobile verdrängten die altehrwürdigen, von schnaubenden Pferden mit klappernden Hufen gezogenen Karossen, die sie immer an Eimimi denken ließen – ihre Großmutter, die gute alte Frau, die vor nun schon mehr als zehn Jahren gestorben war.

      So viel hatte sich seither verändert. Sie war selbst Mutter geworden. Der kleine Hans-Georg hielt gerade Mittagsschlaf. Zweieinhalb Jahre war er jetzt alt, der kleine Fratz. Keine Tischdecke, keine Blumenvase war vor ihm sicher, und einmal hatte er auch schon einen Rilke-Gedichtband mit seiner Milch getauft. Elisabeth liebte ihn über alles. Wärme durchrieselte sie, wenn er auf ihren Schoß kroch und sie mit seiner hellen Stimme bat, ihr aus einem Bilderbuch vorzulesen. »Mutti.« Immer noch versetzte es sie in Entzücken, wenn sie so gerufen wurde, wenn auch manchmal in gebieterischem Ton. Neun Monate hatte sie den Jungen gestillt und nur auf heftiges Drängen ihrer Mutter damit aufgehört. Fast war es ihr so vorgekommen, als sei ein zweites Mal die Nabelschnur durchtrennt worden.

      Denn Hans-Georg war ihr Ein und Alles. Der Junge half ihr, sich mit ihrem Leben abzufinden. Materiell fehlte es ihr an nichts. Es ging ihr besser als den meisten Menschen in dieser schwierigen, von Arbeitslosigkeit, nackter Armut, Inflation und politischen Unruhen geplagten Zeit. Die Fünfzimmerwohnung, die sie mit ihrer kleinen Familie und ihrer Mutter bewohnte, war geräumig und schön, wenn sie sich dort auch oft wie ein besseres Hausmädchen fühlte, denn das Oberkommando hatte nach wie vor ihre Mutter. Die ordnete an, was mittags auf den Tisch kommen sollte, wie die Wände zu tapezieren waren und wann für Hans-Georg Bettzeit war. Sie bestimmte, ab wann und wie stark geheizt wurde, und nicht selten mäkelte sie sogar an der Kleidung ihrer Tochter herum. Verständlich, dass Georg gleich nach dem Frühstück das Haus verließ und oft erst nach Mitternacht heimkehrte. Wenn er dann einmal längere Zeit mit ihr sprach, kam es nicht selten zum Streit. Äußerte sie auch nur den geringsten Zweifel an seinen hochfliegenden Plänen, fuhr er sie unwirsch an. »Was weißt du denn?!«, lautete einer seiner Standardsprüche. »Du hast doch keinen blassen Schimmer.«

      Einwände, Widerworte trieben ihn zur Weißglut. Deshalb ließ sie ihn meistens einfach reden. Es war ja auch wirklich interessant, wenn er von seinen Revuen, Kabarettaufführungen oder Lesungen sprach – von berühmten Dichtern wie Klabund oder Tucholsky, die angeblich für ihn schrieben; von Hans Albers, Rosa Valetti, Theo Lingen und vielen anderen prominenten Schauspielern und Schauspielerinnen, die seinen vollmundigen Erzählungen nach bei ihm auftraten; von Musikern, die für ihn spielten, Tänzerinnen, die für ihn tanzten. All das war doch viel aufregender als ihre kleine Welt in der Kaiserallee 135, und sie war selig, wenn er sie einlud, ihn zu der einen oder anderen Premiere zu begleiten. Nur kam sie sich oft sehr klein vor neben ihrem Mann – nicht nur, was die Körpergröße betraf. Manchmal wünschte sie sich, unsichtbar zu sein inmitten dieser schönen und geistreichen Menschen im Theater. Dann war sie froh, wieder nach Hause zu kommen.

      Sie sehnte sich zurück nach ihrer Arbeit als Lehrerin. Die Schule hatte ihrem Leben Sinn und Halt gegeben – und vielleicht auch so etwas wie Würde. Ein bescheidener Ersatz war es für sie, ihre Nichte zu unterrichten: die kleine Maria, Marlenes Tochter, die schon so hübsch war wie ihre Mutter. Obwohl Maria noch nicht zur Schule ging, brachte sie ihr Lesen und Schreiben bei. In ihren Briefen an Marlene schwärmte sie von den Fortschritten des klugen Mädchens, das sich selbst den Namen Heidede gegeben hatte und nun auch von anderen so genannt wurde. Auch über andere Neuigkeiten aus der Familie hielt Elisabeth die ferne Schwester auf dem Laufenden. Zum Beispiel dass Tante Jolly während einer Afrika-Safari mit dem Starpiloten und fliegenden Kinohelden Ernst Udet fremdgegangen war und Onkel Willi verlassen hatte. Eine Affäre, über die sogar die Zeitungen berichteten!

      Vor allem aber bewunderte Liesel in ihren Briefen all das, was Marlene ihr von ihren Triumphen in Amerika mitteilte. Jetzt hatte sie mit Josef von Sternberg schon den dritten Film gedreht. Nach dem Blauen Engel war auch ihr zweiter Sternberg-Film wieder ein Erfolg geworden. Marlene war in Marokko als Nachtclubsängerin an der Seite von Gary Cooper zu sehen. Dreißig Pfund hatte sie sich für die Rolle abgehungert! In einer Szene hatte sie – als Mann gekleidet – eine andere Frau geküsst. Manche hatten sich darüber aufgeregt. Aber das war gar nicht schlimm. Denn die kleine Provokation hatte den Film noch zusätzlich ins Gespräch gebracht, und die meisten lachten darüber, wie Marlene ihren Frauenkuss diskret hinter vorgehaltenen Blumen versteckte. O ja, Marlene kam an. Die amerikanischen Kritiker feierten sie als neue Verkörperung weiblicher Erotik in Frack und Zylinder, das Publikum strömte in die Kinos und verlangte nach mehr. Ähnlich erfolgreich würde sicher auch der neueste Film werden. Dishonored sollte er heißen. Entehrt. Josef von Sternberg hatte Marlene zu einem Markenartikel gemacht, zum Vamp mit rauchig-erotischer Stimme, zur Femme fatale, und Marlene war ihm dankbar dafür und passte sich dem Image auch außerhalb der Dreharbeiten an.

      In fast jedem ihrer Briefe sang sie Lobeshymnen auf ihren Regisseur – auch in Briefen an Rudi, ihren Mann, der anscheinend keinen Anstoß daran nahm. Manche der Briefe gab »Papilein«, wie Marlene ihn oft nannte, Liesel zum Lesen. In einem hatte sie über Josef von Sternberg geschrieben:

      Jo kann die Emotionen, die ich fühle, besser nach außen bringen als ich … Jo sagt mir, was ich tun soll, und ich tue es. Ich bin sein Soldat, er ist mein Führer, er leitet mich auf jedem Zentimeter Film … Ich bin sein Produkt, ganz von ihm gemacht. Er höhlt meine Wangen aus mit Schatten, lässt meine Augen größer erscheinen, und ich bin fasziniert von dem Gesicht da oben auf der Leinwand und freue mich jeden Tag auf die Schnellabzüge, um zu sehen, wie ich, sein Geschöpf, aussehe.

      Marlene verschwieg auch nicht, wie Sternberg sie bei den Dreharbeiten quälte, einzelne Szenen bis zur totalen Erschöpfung wiederholen ließ. Liesel hatte Mitleid mit ihrer »Pussycat«, wenn die von ihren Qualen unter der glühenden Sonne Kaliforniens berichtete. Aber sie sah ein, dass kein Weg darum herumführte. All das war nur zu Marlenes Bestem. Schließlich himmelte von Sternberg sie an. Er war so verliebt in sie, dass dessen Frau in ihrer Eifersucht die Nebenbuhlerin aus Berlin schon wegen Zerrüttung ihrer Ehe verklagt hatte.

      Nein, bei allem Glanz, bei allen Triumphen hatte Leni es nicht leicht in Amerika, davon war Liesel überzeugt. Sie hätte nicht mit ihr tauschen mögen. Die Mutter hingegen verfolgte die steile Karriere ihrer Jüngsten mit ungebrochenem Stolz, und, je mehr Geld Marlene in Hollywood verdiente, desto lebhafter schwärmte sie von ihr. Anstelle der vereinbarten 500 Dollar hatte Paramount ihr bereits 1750 Dollar pro Woche für Marokko gezahlt, und beim nächsten Film war ihre Gage schon in schwindelerregende Höhen geklettert, ganz zu schweigen von dem Traumhaus in Beverly Hills und dem anderen Luxus, den man ihr bot. Gleich bei ihrer Ankunft hatte Josef von Sternberg ihr einen Rolls-Royce geschenkt, Chauffeur inklusive. Liesel und ihre Mutter konnten sich gar nicht sattsehen, wenn sie die Bilder aus den Illustrierten betrachteten, die Marlene ihnen schickte. Ja, Pussycat brachte Glanz in das Leben ihrer Schwester, und oft war Liesel in Gedanken bei ihr. Zu gern betrachtete