Heinrich Thies

Fesche Lola, brave Liesel


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San Francisco war. Das half ihr, sich vorzustellen, was Leni gerade machte.

      Aber das Schönste war, dass Marlene bald zu Besuch kommen würde. Noch im Dezember, rechtzeitig zu Marias sechstem Geburtstag, wollte sie in Berlin sein. Bis zum 13. Dezember war es nur noch eine Woche. Liesel freute sich. Gleichzeitig hatte sie auch ein bisschen Angst vor dem Wiedersehen. Leni war eine weltberühmte Frau geworden. Wie sollte sie ihr gegenübertreten?

      »Mutti!« Hans-Georg war aufgewacht. Sofort stürzte Elisabeth ins Kinderzimmer und nahm ihren Sohn aus dem Bett. Der Kleine schlang seine Arme um ihren Hals, sodass sie seinen verschwitzten Körper spürte. »Saft«, verlangte er.

      »Sofort, mein Süßer. Du hast bestimmt einen Riesendurst.«

      Während sie dem Jungen Apfelsaft in die Flasche füllte, hörte sie, wie unten die Haustür aufgeschlossen wurde. Josephine von Losch kehrte aus dem Uhrengeschäft zurück, wo sie gelegentlich aushalf. »Hast du den Jungen schon wieder aus dem Bett geholt?«, schallte es zu Elisabeth herauf. »Er sollt doch bis um halb drei schlafen.«

      »Er ist aufgewacht.«

      »Aufgewacht? Na und?! Dann lässt du ihn eben liegen. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass Kinder sich an feste Regeln gewöhnen müssen.«

      »Ich finde, es gibt noch etwas anderes als feste Regeln.«

      Josephine von Losch seufzte und schüttelte den Kopf. »Du bist unbelehrbar. Aber es ist natürlich dein Sohn. Wirst schon sehen, was du davon hast.« Daraufhin verschwand sie in der Küche. Kaum hatte Liesel aufgeatmet, donnerte die Stimme ihrer Mutter erneut durchs Haus: »Du hast ja immer noch nicht aufgeräumt! Nicht mal das Frühstücksgeschirr ist abgewaschen.«

      Pünktlich am Abend des 12. Dezember 1930 traf Marlene in Berlin ein. Kurz vorher war schon ihr Gepäck angeliefert worden: sechs Überseekoffer, die sie sich eigens nach ihren Vorgaben hatte anfertigen lassen – groß wie Schränke, geschmückt mit den Anfangsbuchstaben ihres Namens, »M« und »D«. Liesel traf Marlene am nächsten Tag bei Marias Geburtstag. Sie sah schöner aus denn je – vor allem noch viel eleganter. Sie duftete nach einem teuren Parfüm und hatte die Ausstrahlung einer Königin. Es war keine Frage, dass an diesem Tag nicht das Geburtstagskind im Mittelpunkt stand, sondern die heimgekehrte Mutter. Marlene erzählte von den Dreharbeiten, von ihrem wunderbaren Regisseur, von der Marokko-Premiere in den USA, von dem schönen Haus in Hollywood und all den verrückten Leuten dort und den vielen Berühmtheiten, denen sie jetzt begegnete – von Charlie Chaplin bis Greta Garbo, ihrer Nachbarin in Hollywood.

      Marlene hatte Liesel bei der Begrüßung in den Arm genommen, lange und fest gedrückt und auf beide Wangen geküsst. »Wie geht es dir, meine Süße?«, hatte sie gefragt. Als Liesel stockend und etwas verschämt auf die Frage geantwortet hatte, war sie ihr schon nach zwei oder drei Sätzen ins Wort gefahren. Immerhin konnte Liesel irgendwann noch erzählen, dass sie im Sommer mit ihrer Familie an die Riviera fahren wolle und dafür schon fleißig Italienisch pauke.

      »Das ist gut«, sagte Marlene. »Du musst auch mal was für dich tun – und hier unbedingt raus.«

      Bis Weihnachten war Marlene für ihre Schwester nicht mehr erreichbar. Sie erhielt Besuch von Freunden, sprach mit Journalisten, ließ sich fotografieren, besuchte ihre alten Stammlokale, gab Autogramme, wurde auf offener Straße bejubelt und in den Zeitungen gefeiert.

      Dass Marlene durch den Blauen Engel und ihre Hollywood-Karriere so berühmt geworden war, machte sie auch für Georg Will interessant. Der Kabarettdirektor lud seine glamouröse Schwägerin ein, in seine Shows oder Theatervorstellungen zu kommen, und brannte darauf, seine kleinen Kulturtempel mit ihrem Besuch zu adeln. Wie schön wäre es, Marlene in seinem Restaurant im Theater des Westens zu bewirten – natürlich sollte dabei dann ein Fotograf den Stargast werbewirksam ablichten. Doch Marlene erteilte ihm eine Abfuhr nach der anderen. Da nützte es auch nichts, wenn Georg Will seine Frau als Unterhändlerin einspannte.

      »Was der Kerl sich einbildet«, schnaubte Marlene, als Liesel in den Weihnachtstagen einen weiteren Versuch unternahm. »Tut mir leid, Süße, für den Quatsch ist mir die Zeit zu schade.«

      Schließlich klappte es dann doch. Am 7. Januar 1931 besuchte Marlene Dietrich eine Revuepremiere im »Tingel-Tangel«. Der Grund für ihre Zusage war aber nicht Kabarettmanager Will, sondern der Komponist Friedrich Hollaender, dem Marlene seit dem Blauen Engel in Freundschaft verbunden war. Hollaender hatte die Musik zu der Revue geschrieben und saß selbst am Klavier.

      Das Premierenpublikum erkennt sie sofort, und Marlene macht auch gar nicht erst den Versuch, sich in einer Loge zu verstecken. Sie winkt den Berlinern huldvoll zu und nimmt in der ersten Reihe Platz, als sei sie nicht nur der Ehrengast, sondern die Attraktion des Abends. Sie wird eingerahmt von ihrer Mutter und Elisabeth. Liesel ist für den feierlichen Anlass in ihr schwarzes Abendkleid geschlüpft. Im Vergleich zu dem roten Seidenkleid mit dem tiefen Dekolleté, das Marlene trägt, kommt ihr ihre eigene Garderobe trist vor. Sie wagt kaum zu atmen, weiß nicht, wohin mit den Händen, und blickt entsetzt zur Seite, als ein Fotograf nach vorn kommt, um ihre Nachbarin abzulichten. Georg, der zu ihrer Linken sitzt, wendet sich dagegen nicht ab, sondern beugt sich sogar ein wenig vor, um mit aufs Bild zu kommen. Wie peinlich! Zum Glück verlöschen dann aber die Lichter, und der Vorhang geht auf, sodass erst einmal alle Augen auf die Bühne gerichtet sind.

      In der Pause ist Liesel froh über den dichten Pulk von Leuten, die ihre Schwester derart umdrängen, dass sie von ihr getrennt wird. So kann sie an der Seite ihrer Mutter die Sektbar ansteuern und den Tumult, selbst unbeobachtet, aus sicherer Distanz verfolgen. Marlene verursacht unterdessen einen Menschenauflauf. Alle wollen ihr die Hand schütteln und bekunden, wie begeistert sie vom Blauen Engel sind. Sie genießt die Komplimente und freut sich besonders, einige Worte mit Friedrich Hollaender wechseln zu können. »Marlene«, rufen die Leute ihr zu, »Lola Lola«, skandieren sie. Marlene zeigt ihr strahlendstes Lächeln, sie winkt und lacht. Aber die Besucher geben sich nicht damit zufrieden, ihre »Marlene«-Rufe verstummen nicht. Sie wollen, dass sie singt, rufen die Titel ihrer Lieder durch das Foyer. Als sie sich mit einem fragenden Blick an Hollaender wendet, zuckt der Pianist nur scheinbar resigniert die Achseln und nickt ihr mit verschwörerischem Lächeln zu. Damit ist es abgemacht.

      Gegen Ende der Pause steigt sie auf die Bühne, verbeugt sich unter tosendem Beifall und singt »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«. Der Applaus will kein Ende nehmen – und natürlich muss sie auch die »Kesse Lola« zum Besten geben.

      Liesel klatscht kräftig mit. Sie ist stolz auf ihre Schwester. Als das Publikum Marlene auch nach dem fünften Lied noch nicht gehen lassen will, laufen ihr Tränen der Rührung über die Wangen. Schließlich geht die Revue weiter. Aber echte Begeisterung will nicht mehr aufkommen. Der Applaus bleibt hinter dem Jubel in der Pause zurück.

      Blandine Ebinger, die Hauptakteurin der Revue, ist an diesem Abend verständlicherweise nicht gut auf Marlene zu sprechen. Die Besucherin aus Hollywood hat ihr die Schau gestohlen. Georg Will wird Liesel später erzählen, Blandine, die Exfrau Hollaenders, habe hinter den Kulissen getobt. »Was hat dieses Filmsternchen hier bei uns auf der Bühne zu suchen? Kann mir das mal einer sagen?«, habe sie geschimpft. »Die kann doch überhaupt nicht singen.«

      Marlene lachte nur spöttisch, als sie von der Klage erfuhr. »Die Provinznudel ist doch bloß neidisch.«

      Sie blieb noch einige Monate in Berlin. Aber Liesel bekam ihre Schwester noch seltener zu sehen als zuvor. Marlene machte Plattenaufnahmen, gab Interviews, studierte ein neues Drehbuch, ließ von ihrem Gesicht einen Abdruck für eine Büste nehmen, ging mit ihrem alten Freund und Filmpartner Willi Forst auf den Presseball, begrüßte Chaplin auf seiner Werbetour für den Film Lichter der Großstadt in Berlin und ließ sich neue Kleider schneidern. Zwischendurch fuhr sie nach London und Paris, um sich bei der Kinopremiere von Marokko zu zeigen.

      Rudi sah man nur selten an ihrer Seite. Gleich nach ihrer Rückkehr war ihr klar geworden, dass ihr Mann inzwischen fest mit Marias Kindermädchen Tamara liiert war, die sich schminkte und stylte wie die fünf Jahre ältere Frau ihres Geliebten.

      Zur Marokko-Erstaufführung in Prag ließ