Sie hatte schon im Kellerclub an der Kantstraße keine guten Erfahrungen mit diesem Mann gemacht, der so schnell aufbrauste. So hatte sie denn auch immer etwas anderes vor, wenn Will sie zu einer Vorstellung oder einem gemeinsamen Essen einlud.
Elisabeth litt darunter. Denn sie liebte ihre Schwester – vielleicht sogar mehr als ihren Mann. Und sie verteidigte Marlene, wenn Georg sich abfällig über sie äußerte. Im Übrigen wagte sie es nur sehr selten, ihrem Mann zu widersprechen. Oft genug hatte der ihr zu verstehen gegeben, was er von ihrer Meinung hielt: »Was weißt du denn?! Du hast doch keine Ahnung.«
Damit hatte er sicher nicht unrecht. Denn sie verstand wirklich nicht, nach welchen Gesetzen dieses turbulente Berliner Kulturleben funktionierte. Georg machte ihr aber immer wieder klar, dass es dabei nicht nur um Kunst ging, sondern auch um Geld. Das Dumme war, dass Georgs Projekte oft mehr Geld verschlangen, als sie einbrachten, sodass sie ihre Mutter hin und wieder um einen »kleinen Kredit« für ihren Mann bitten musste – was Josephines Meinung über Georg nicht eben besser machte und Liesel ungeheuer peinlich war. Sie sah sich darum immer häufiger genötigt, Georg gegenüber ihrer Mutter zu verteidigen, obwohl sie oft selbst ihre Zweifel hegte und im Stillen mit Georg haderte. Manchmal wusste sie gar nicht mehr, was sie denken sollte. Dann konnte es vorkommen, dass sie so durcheinander war, dass sie alles falsch machte und dafür auch noch von Georg lautstark gescholten wurde. Nein, sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut.
Zu den Höhepunkten ihres Lebens zählten die Abende, wenn Georg sie zu seinen Premieren mitnahm. Aber auch da kam sie sich neben den hübschen Schauspielerinnen und Tänzerinnen, die Georg schöne Augen machten, oft klein und hässlich vor. Einfacher war es, wenn Marlene sie einlud. Aber dann war meist auch ihre Mutter dabei, die sie immer flüsternd zurechtwies, etwa weil sie zu gebückt saß oder zu lange klatschte.
Ungestört und mit sich selbst im Reinen war sie nur, wenn sie sich in ihre Bücher versenkte. Und natürlich brachten die Stunden mit ihrer kleinen Nichte Freude in ihren Alltag, wenn Marlene sie wieder einmal bat, sich um Maria zu kümmern. Das Lachen dieses schönen Kindes war ansteckend.
Schließlich wurde Elisabeth selbst schwanger, und alle Sorgen und Kümmernisse traten jetzt hinter der frohen, aber auch etwas bangen Erwartung der Niederkunft zurück.
Am 10. Juni 1928 war es so weit. Liesels Leben hatte endlich wieder einen Mittelpunkt. Sie liebte ihren kleinen Hans-Georg aus vollem Herzen, umsorgte ihn von morgens bis abends, schaukelte ihn in seiner Wiege, und wenn er zu weinen begann, nahm sie ihn sofort auf den Arm und stillte ihn, mochte ihre Mutter sie auch noch so streng zu mehr Zurückhaltung und Regelhaftigkeit ermahnen. Manchmal wagte sie es sogar, die Einmischungsversuche der Hausherrin zurückzuweisen. So gab sie ihrem Sohn beharrlich die Brust, obwohl ihre Mutter energisch für die Flasche plädierte.
Seinen Vater bekam das Kind nicht sehr oft zu sehen. Der war weiter mit wechselnden Kulturprojekten beschäftigt – und vielleicht auch mit wechselnden Frauen. Liesel blieb nicht verborgen, dass seine Hemden manchmal nach einem fremden Parfüm rochen. Aber sie stellte ihn deswegen nicht zur Rede und betrieb auch keine Nachforschungen. Sie war ganz zufrieden mit sich und der Welt, wenn sie mit dem kleinen Hans-Georg allein sein konnte.
6. Der Durchbruch
Eine junge leichtbekleidete Frau, die lässig einen aufgespannten japanischen Lackschirm über der Schulter trägt, posiert mit einem kleinen blondgelockten Mädchen vor dem Strand von Swinemünde – ihr linkes Bein hat sie kokett vorgestreckt und dabei den Fuß wie bei einem Tanzschritt leicht angehoben, sodass nur die Zehenspitzen den Sand berühren. Marie Magdalene Sieber, bekannt unter ihrem Künstlernamen Marlene Dietrich, und ihre dreijährige Tochter Maria während ihres Ostseeurlaubs im Sommer 1928 – fotografiert von ihrem Mann Rudolf Emilian Sieber, den sie »Rudi« nennt und gern auch »Papi«.
Mutter und Tochter am Strand (1928).
Ein Foto fürs Familienalbum und ein eher seltenes Bild. Denn allzu oft hat Marlene in diesen Tagen keine Zeit für ihre Familie, und meistens müssen ihr Scheinwerfer die Sonne ersetzen.
Marlene mit ihrem Mann Rudolf Sieber in Swinemünde (1928).
Sie dreht einen Film nach dem anderen, tanzt, singt und spielt Theater – nicht nur in Berlin, sondern auch in Wien oder bei Außenaufnahmen im holländischen Scheveningen. Sie ist gefragt, und es sind nicht mehr nur Nebenrollen, die ihr angeboten werden. Ihr Stern ist gestiegen und steigt weiter, ihr Gesicht ziert Illustriertenseiten – von den Beinen ganz zu schweigen. Gerade hat sie gemeinsam mit Hans Albers in Prinzessin Olala vor der Kamera gestanden, bald werden die Dreharbeiten zu Ich küsse Ihre Hand, Madame beginnen, dem Film zum bekannten gleichnamigen Schlager des inzwischen zu einem der großen Popstars der zwanziger Jahre avancierten Richard Tauber. Ihren bisher größten Erfolg aber feiert sie gerade mit einer Revue: Es liegt in der Luft – ein übermütiges Spiel mit den Reizen, Absurditäten und Verlockungen der aufblühenden Konsumgesellschaft, das den Nerv der Zeit trifft. Die Bühne der Berliner »Komödie« ist als Warenhaus dekoriert, und Marlene tänzelt in wechselnder Kostümierung durch die verschiedenen Abteilungen dieses Einkaufsparadieses, präsentiert sich mit frechen Songs als Kleptomanin, als Scherzartikel und als singende Säge – mit einer echten Säge, die sie wie eine Geige zum Klingen bringt. Besonders umjubelt ist sie als beste Freundin in einem Duett mit der berühmten Kollegin Margo Lion:
Wenn die beste Freundin
mit der besten Freundin …
… und weiter:
Früher gab’s den Hausfreund,
doch der schwand dahin.
Heute statt des Hausfreunds
Gibt’s die Hausfreundin.
Das Lied lässt unverblümt die Reize der lesbischen Liebe anklingen, und Marlene und ihre Freundin spielen offensiv mit der kess vorgetragenen Botschaft, indem sie beide einen großen Strauß Veilchen ins kichernde Publikum halten – ein Erkennungszeichen »jener Damen«, die sich »so furchtbar gut« vertragen.
Maria Riva erzählt in ihrem Buch, dass Margo Lion die Familie gelegentlich besuchte und dass sie und Marlene dann ihr Lied von den besten Freundinnen auch bei Tisch trällerten. Und zwar so oft, dass Maria es schon als kleines Mädchen selbst singen konnte. Nur habe sie damals nicht verstanden, warum sich die Leute vor Lachen schüttelten, wenn sie den Schlager zu Hause vortrug.
»Meine beste Freundin« war bald so populär, dass eine Studioaufnahme mit den beiden Revuegirls produziert wurde. Marlene Dietrichs erste Schallplatte – ein Duett mit Margo Lion – erschien und fand reißenden Absatz.
Es liegt in der Luft wurde vom Publikum und von der Kritik gleichermaßen gefeiert und zog weitere Engagements nach sich. 1929 drehte Marlene Dietrich gleich drei Filme, wirkte als Nebendarstellerin in Frank Wedekinds Theaterstück Der Marquis von Keith mit und übernahm zudem noch eine tragende Rolle in Zwei Krawatten, einem Revuestück von Georg Kaiser, in dem sie unter anderem – wieder als Partnerin von Hans Albers – die Nummern von Gewinnlosen verlas. Damit es sich weltläufig anhörte, auf Englisch: »Three … three … and three! Three cheers for the gentleman who has drawn the first price.«
Unter den Besuchern im »Berliner Theater« war eines Abends auch ein gebürtiger Österreicher, der sich schon einen Namen als Filmregisseur in Hollywood gemacht hatte: Josef von Sternberg. Der Sohn eines orthodoxen Wiener Juden und einer Seiltänzerin hatte gerade mit der 1917 gegründeten Ufa (Universum Film AG) einen Vertrag über die Verfilmung des Romans Professor Unrat von Heinrich Mann geschlossen und suchte eine geeignete Hauptdarstellerin. Fest stand, dass der Weltstar Emil Jannings den Studienrat spielen sollte. Das Drehbuch, an dem unter anderem Carl Zuckmayer mitgearbeitet hatte, war aber ebenso auf die Barsängerin Rosa Fröhlich, genannt Lola Lola, zugeschnitten. Und da der Streifen nicht nur als einer der ersten deutschen Tonfilme konzipiert war, sondern gleich auf Deutsch und Englisch gedreht werden sollte, drängten sich etliche