Heinrich Thies

Fesche Lola, brave Liesel


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noch vagen Absicht, vielleicht irgendwann selbst einmal auf der anderen Seite des Atlantiks Wurzeln zu schlagen. Die politische Lage in Deutschland verdüsterte sich zusehends. Bei den letzten Reichstagswahlen im September 1930 hatten die Nationalsozialisten gut achtmal mehr Stimmen erhalten als zwei Jahre zuvor. Das waren für Leute aus der Filmbranche wie Rudi Sieber keine guten Signale. Denn die antisemitischen Parolen der Nazis richteten sich auch gegen jüdische Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler und damit gegen einen großen Teil der Künstler, die dem deutschen Film gerade erst im vergangenen Jahrzehnt zu seinem hohen internationalen Ansehen verholfen hatten.

      Überall im Kulturbereich standen jüdische Intellektuelle und Künstler hoch im Kurs. Die künstlerische Leitung des »Tingel-Tangel« zum Beispiel hatte gerade Friedrich Hollaender übernommen, der ebenfalls Jude war und selbst ein ironisch-politisches Couplet zum Thema beisteuerte: »An allem sind die Juden schuld«.

      Das gefiel auch dem Kabarettmanager Georg Will. Der wusste natürlich, wie seine alten Freikorpskameraden über solche Sticheleien dachten. Aber in Fragen der Kunst stand er den meist jüdischen Kulturschaffenden näher.

      In anderen Fragen geraten Will und Hollaender mächtig aneinander. Streit entzündet sich vor allem an einer Trennwand mit Mosaiken, die Szenen aus dem Nibelungenlied zeigen. Hollaender stört die Sichtblende im germanischen Stil enorm. Vollkommen unmöglich, mit dieser Trennwand dreihundert Besuchern eine barrierefreie Sicht zu bieten, wie es der Vertrag vorsieht.

      »Brechen wir doch die entsetzliche Mosaikmauer weg«, schlägt er vor.

      Aber Will protestiert. »Unmöglich! Alles von Hand eingesetzt. Goldsteinchen, echte Goldsteinchen sind das.«

      »Grässlich!«

      Will weist händeringend auf den Denkmalschutz hin, hebt den kunstgeschichtlichen Wert der Mosaikwand hervor: »Alles Motive aus der Nibelungensage. Sehen Sie doch, hier: Hagen mit dem Jagdspeer! Und da: Kriemhild mit Etzel beim Gemetzel. Sehen Sie nur, wie schön das glitzert.«

      »Muss alles weg«, entgegnet Hollaender.

      »Nur über meine Leiche.«

      Trotz seiner Empörung über den bilderstürmenden Komponisten unterzeichnet Georg Will den Vertrag dann aber doch. Denn der Theatermanager weiß den zugkräftigen Namen seines störrischen Partners durchaus zu schätzen.

      Einen Tag vor der Generalprobe kracht es erneut. Als dreihundert neue Stühle angeliefert werden, sieht Hollaender sich bestätigt, dass die Mosaikwand die Sicht tatsächlich massiv behindert. Und der Komponist ruft eigenmächtig die Handwerker und lässt das germanische Heldenepos mit Axthieben zertrümmern, dass sich die Mosaiksteinchen in einen großen Schutthaufen verwandeln und das ganze Theater des Westens erbebt. Götterdämmerung im »Tingel-Tangel«. Der Kabarettchef zieht sich wutschnaubend in sein Restaurant zurück und tröstet sich mit einem steifen Grog. Hollaenders Erfolg aber stimmt Georg Will dann wieder versöhnlich. Denn alle folgenden Vorstellungen sind ausverkauft. Dabei fehlt es nicht an politischen Anspielungen. So trägt zum Beispiel Lügenbaron von Münchhausen in der Hollaender-Revue eine Hitler-Maske.

      Schon bald wird ein Regime solche Respektlosigkeiten erbarmungslos unterbinden und bestrafen, aber erst einmal darf noch gefeiert werden, und Georg Will stößt an auf das Wohl seines künstlerischen Leiters. Sicher, auch Hollaender ist einer dieser neunmalklugen Juden, mag der Kulturmanager gedacht haben, aber er ist erfolgreich, und allein das zählt. Die ganze Kulturszene ist ja geprägt von jüdischen und linksliberalen Künstlern, darüber kann man schon aus geschäftlichen Gründen nicht hinwegsehen.

      Elisabeth freute sich über den Erfolg der satirischen Revue, und das nicht nur, weil er Geld in die Kasse brachte. Die Spitzen gegen die Braunhemden sprachen ihr aus dem Herzen. Aber die Kommunisten machten ihr ebenfalls Angst, und eigentlich interessierte sie sich gar nicht für Politik. Sie war traurig, dass Marlene schon wieder packte, um nach Amerika zurückzukehren – diesmal mit Maria. Das Mädchen würde ihr fehlen. Marlene sowieso.

      Und mit der bevorstehenden Abreise der Schwester quälte sie erneut die Frage, wie ihr eigenes Leben weitergehen sollte. Ein Lichtpunkt immerhin war der geplante Italienurlaub, für den sie weiter Italienisch paukte – und Goethes Erinnerungen an seine Reise ans Mittelmeer las.

      Aber erst einmal gingen Marlene und Maria auf ihre weite Reise. Am 16. April 1931 war es so weit. Kurz nach Mitternacht sollte der Zug in Richtung Bremerhaven abfahren. Freunde, Bewunderer und Reporter waren zum Bahnhof geströmt, um Abschied zu nehmen. Liesel stand mit ihrer Mutter und Rudi am Bahnsteig. Der Schlagerkomponist Peter Kreuder, der Hollaender bei den Musikarrangements zum Blauen Engel unterstützt hatte, war sogar mit einer Blaskapelle angerückt, die zu dieser nächtlichen Stunde aufspielte. Marlene trug einen Leopardenmantel, als sie den Zug bestieg – an der Hand Maria, in einem weißen Mantel aus Kaninchenfell. Begleitet wurden die beiden von Resi. Die Garderobiere sollte sich in Amerika um Maria kümmern.

      Liesel musste weinen, als der Zug abdampfte. Abschiedsszenen dieser Art gingen bei ihr selten ohne Tränen ab. Später, als Schwager Rudi ihr die Telegramme zeigte, die Marlene ihm von Bord des Schiffes – es war wieder die »Bremen« – gesandt hatte, musste sie aber auch lachen. Da die Überfahrt sehr stürmisch gewesen war, waren alle seekrank geworden. Besonders Resi. Sie hatte sich übergeben müssen und so weit über die Reling gelehnt, dass ihr Gebiss mit über Bord gegangen war.

      Jetzt lagen Tausende von Meilen zwischen Liesel und Leni. Doch sie ließen den Kontakt nicht abreißen, schrieben einander Briefe und Telegramme. Darin informierte Marlene ihre Schwester zwar nicht über alle pikanten Details ihrer Affären, in ihre komplizierte Beziehung zu Josef von Sternberg aber weihte sie sie ein. Elisabeth wusste, dass Sternbergs Frau Riza Royce Marlene wegen der Zerstörung ihrer Ehe mit dem Regisseur verklagt hatte und eine halbe Million Dollar »Schmerzensgeld« verlangte – und sie freute sich mit ihrer Pussycat, als der Streit hinter den Kulissen gegen eine stattliche Abfindung beigelegt und Sternberg von seiner Frau endlich rechtsverbindlich geschieden wurde. Da immer damit zu rechnen war, dass ihre Briefe in die falschen Hände gerieten, setzte sie für manche Namen Pseudonyme ein. Josef von Sternheim zum Beispiel nennt sie in dem folgenden Brief aus dem Jahr 1932 »Stocke«, während sie dessen Exfrau unverblümt – ganz im Sinne ihrer Schwester – schlicht als »altes Scheusal« bezeichnet:

      Dass mit Stockes Frau hat mich riesig gefreut, direkt eine Herzensfreude! Dieses alte Scheusal! Dass Du mit Stocke wieder Filme machst, ist ja herrlich. Lass Dich nur nicht quälen und ärgern.

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