Heinrich Thies

Fesche Lola, brave Liesel


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von Sternberg aber Marlene Dietrich als Mabel in Zwei Krawatten gesehen hatte, war er überzeugt, die Richtige gefunden zu haben. Um Marlene näher kennenzulernen, lud er sie sofort in sein Produktionsbüro ein.

      Glaubt man von Sternbergs Erinnerungen, zeigte sich Marlene Dietrich alles anderes als begeistert von der Einladung. Mürrisch und gleichgültig sei sie gewesen, schrieb er später in seiner Autobiographie. »Als Fräulein Dietrich am späten Nachmittag vor mir saß, tat sie nicht das Geringste, um mein Interesse zu wecken.« Offenbar habe sie gemeint, sie werde wieder einmal mit einer Nebenrolle abgespeist. Darauf habe er, von Sternberg, energisch widersprochen – aber mit geringem Erfolg: »Ich wiederholte, es sei die Hauptrolle, und sie sei ideal für das, was mir vorschwebe. Das schien sie nur zu ärgern, als hätte ich sie beleidigt.« Auf die Frage nach ihren bisherigen Filmen antwortete sie geradezu angewidert. »Ach, die taugen doch alle nichts.«

      Doch von Sternberg ließ sich davon nicht abschrecken. Der herbe Charme, das selbstbewusste Auftreten seiner Besucherin gefielen ihm. Er schnappte noch nicht einmal ein, als sie ihm sagte, sie habe einige seiner Filme gesehen und zweifle stark daran, ob er überhaupt mit Frauen umgehen könne. Und er nickte brav, als Marlene von ihm verlangte, dass er sich erst mal drei ihrer Filme anschauen müsse, bevor er mit ihr ins Geschäft kommen könne. Sie meinte ihre letzten Stummfilme – alles Produktionen, in denen sie schon eine etwas größere Rolle spielte. Von Sternberg sah sie sich alle an und musste Marlene recht geben: Die Filme waren furchtbar, Marlene sah schrecklich darin aus. Aber er spürte, dass sich mehr aus dieser Nachwuchsschauspielerin machen ließ. Viel mehr. Ein Geheimnis lag in ihrem Gesicht verborgen, fand er, eine Aura, die es ins rechte Licht zu setzen galt. Und obwohl er längst davon überzeugt war, dass Marlene Dietrich die Idealbesetzung für seine Lola sein würde, lud er sie zu Probeaufnahmen ein.

      Wie sich die Probeaufnahmen im Einzelnen abgespielt haben, lässt sich nicht mehr exakt rekonstruieren. Marlene Dietrich selbst hat von diesem denkwürdigen Wendepunkt ihrer Karriere in immer neuen Versionen erzählt. Doch die Probeaufnahme ist erhalten, und manche Details ziehen sich durch alle Darstellungen, sodass sie als halbwegs verbürgt betrachtet werden können. Fest steht, dass von Sternberg Marlene erst einmal in das paillettenbesetzte Flitterkleid einer Hafendirne steckte und ihr Haar mit einer Brennschere wellen ließ, dass es qualmte. »Dann warf ich sie in das Feuer meiner Konzeption und verschmolz ihr Bild mit meinem«, erinnert sich von Sternberg in seiner Autobiographie. »Ich tauchte sie in Licht, bis die Alchemie gelungen war.« Marlene sei förmlich zum Leben erwacht: »Sie reagierte auf meine Anweisungen mit einer Leichtigkeit, wie ich es bislang noch nie erlebt hatte.«

      Der Regisseur fordert sie auf, ein englisches Lied zu singen. Sie wählt »You’re the Cream in My Coffee«. Die amerikanische Aufnahme kennt sie gut, sie hat den Schlager oft zu Hause vor sich hin geträllert. Da dem Pianisten die Melodie nicht geläufig ist, klimpert sie ihm die ersten Takte auf dem Klavier vor.

      Jetzt wird es ernst. Als sie ein Zeichen bekommt, dass die Kamera mit der Tonspur läuft, zieht sie noch mal schnell an ihrer Zigarette, legt die brennende Kippe auf den Rand des Klavierdeckels, zupft sich Tabakbrösel von der Zunge, guckt nach links und rechts und nickt dem Pianisten zu. Sie ist nicht hundertprozentig textsicher, dichtet die erste Zeile um in »You’re the cream of my coffee«, verrät aber keinerlei Unsicherheit, sondern lässt ihren unterkühlten Charme spielen. Als sich der Klavierspieler in den Akkorden verheddert und in die falsche Tonart abrutscht, ist es vorbei mit der Nonchalance. Sie unterbricht ihren Gesang, und ihre Stimme klingt auf einmal ganz anders. »Soll Musik sein, ja?«, herrscht sie den Pianisten an, während sie die Zigarettenasche über die Klaviertasten stäubt. »No’ mal!«

      Aber es wird nicht besser. Schließlich hört sie erneut zu singen auf, beugt sich wutschnaubend über das Klavier und faucht den Pianisten mit zusammengekniffenen Augen an: »Mensch! Was fällt dir eigentlich ein? Soll das Klavierspielen sein? Zu dem Dreck soll ich singen? Gehört an’n Waschtrog, aber nich hier, vastehste?! Dussel!« Nach der Schimpftirade bäumt sie sich förmlich auf, zieht an ihrer Zigarette und bläst voller Verachtung den Rauch aus; daraufhin haut sie auf den Klavierdeckel, spuckt einen Tabakkrümel aus und kommandiert: »Noch mal!«

      Als auch der dritte Versuch in Missklang endet, explodiert sie. »Himmelherrgott«, schnauzt sie den Klavierspieler an. »An dir is wohl ’n Genie verlorengegangen. Wegen dir muss ich jetzt noch mal den ollen Quatsch singen. Den kannste.« Und mit den Worten: »Wenn du jetzt aber falsch spielst, vastehste, dann gibt’s ’n Tritt« schwingt sie sich aufs Klavier, zieht einen Seidenstrumpf übers Knie, schlägt kokett die Beine übereinander und singt:

      Wer wird denn weinen,

      wenn man auseinandergeht,

      wenn an der nächsten Ecke

      schon ein andrer steht.

      Sternberg amüsiert sich köstlich. Genauso schnoddrig, respektlos und ordinär hat er sich seine Lola vorgestellt. Auch so selbstbewusst und verführerisch. Es hat fast den Anschein, als habe der Aristokrat aus Hollywood sie mit Absicht so in Rage versetzt und die Schimpftiraden aus ihr herausgekitzelt. Auf jeden Fall sieht sich der Regisseur in seiner Wahl bestätigt. Umso erstaunter ist er, als sich die anderen Mitglieder seines Stabs, unter anderem Produzent Erich Pommer und sein maulender Star Emil Jannings, bei der Sichtung der Probeaufnahmen einstimmig für eine Mitbewerberin aussprechen. »Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen«, erinnerte sich von Sternberg später, »denn auf der Leinwand hatten wir unverkennbar eine einzigartige Persönlichkeit gesehen.« Die Kollegen seien konsterniert gewesen, als er seine Entscheidung für Marlene bekannt gegeben habe, berichtet Sternberg: »Man hörte nur noch Emil Jannings, der mit einer dunklen Stimme, die Kassandra zur Ehre gereicht hätte, murmelte, ich würde den Tag noch bereuen.«

      Als Marlene zu Hause Rudi von ihrem Erfolg erzählt, ist von Gleichgültigkeit nichts mehr zu spüren. Sie jubelt, schwärmt in den höchsten Tönen von Sternberg und begießt das nun sichere Engagement mit Champagner. Nicht im Traum habe sie zu hoffen gewagt, diese Rolle zu kriegen, sagt sie. Darum habe sie sich auch gar nicht besonders bemüht. Wahnsinn! Und dann die Gage! Fünftausend Dollar seien ihr angeboten worden. Fünftausend! Dass Jannings das Zehnfache bekommen soll, hat man ihr natürlich nicht gesagt. Aber es wäre auch vollkommen unwichtig. Eine neue Welt steht ihr offen.

      In den nächsten Wochen ist Josef von Sternberg häufiger Gast am Familientisch in der Kaiserallee. Das Drehbuch wird besprochen und verändert, ein Arbeitsplan für die Aufnahmen in den Neu-Babelsberger Tonkreuzateliers der Ufa entworfen. Empört lehnt Marlene das Kostüm ab, in das man sie als Hafendirne stecken will, und stößt damit bei ihrem Regisseur auf Verständnis. Als sie dann ihre Schränke, Kommoden und Hutschachteln nach billigem, aber aufreizendem Flitter aus früheren Filmen und Varietéauftritten absucht und ihm ihre eigene Kostümkreation vorführt, lässt Sternberg seiner Begeisterung freien Lauf: »Herrlich, Marlenchen, herrlich. Einfach herrlich!«

      Bei den folgenden Dreharbeiten gibt der Regisseur den Ton an. Josef von Sternberg modelliert und dirigiert Marlene ganz nach seinen Vorstellungen. Er bringt ihr bei, wie sie beim Gehen noch mehr ihren Sexappeal zur Geltung bringen kann oder die nackten Beine verführerisch übereinanderschlägt. Vor allem aber setzt er sie ins rechte Licht. Er beleuchtet ihre hohen Wangenknochen, lässt ihre herzförmigen Lippen glänzen, ihre Nase von einem Halbschatten umspielen. Er lässt sie in Nahaufnahmen elektrisierend die Augen aufschlagen, überredet sie, sich vier Backenzähne ziehen zu lassen, um ihr Gesicht schmaler zu machen, er lässt sie gleichzeitig vulgär und geheimnisvoll erscheinen, verleiht ihr den Heiligenschein einer Dirne. Kurz: Josef von Sternberg, dieser Magier des Lichts, formt Marlene nach seinem Bilde, macht sie zur Femme fatale. Dabei kriecht er selbst in Kamerakästen, klettert auf Leitern und Gerüste und schreit seine Regieanweisungen durchs Studio, dass manchem angst und bange wird.

      Auch Marlene wird nicht geschont. Immer wieder muss sie die gleiche Szene wiederholen und sich von ihrem Regisseur anbrüllen lassen. »Zieh die Hose rauf, du Sau, man sieht ja schon die Haare«, soll er ihr zugerufen haben. Marlene lässt es mit sich geschehen. »Sie verhielt sich, als sei sie mein Dienstmädchen«, schrieb Sternberg später. »Sie wehrte sich nicht im Geringsten, wenn ich ihre Lola gestaltete.«

      Die Aufnahmen, die von Sternberg ihr abends vorführt,