Alfred Bekker

Alfred Bekker Krimi Trio #1


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      Unsere Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell versuchten zur gleichen Zeit, einige jener Männer ausfindig zu machen, mit denen Dexter zusammen Mitglied in verschiedenen Rockerbanden gewesen war. Weitere Kollegen klapperten die Clubs und Diskotheken rund um den Big Apple ab, um Informationen aus jener Zeit zu erlangen, als Dexter noch Teil der Türsteher-Szene gewesen war.

      Der erste Bruch in Ron Dexters Leben waren zweifellos die traumatischen Erlebnisse in Somalia und das damit verbundene Ausscheiden aus dem Marine Corps gewesen. Aber dieser Einsatz lag Jahre zurück. Danach hatte es offenbar noch einen zweiten Bruch in seiner Biographie gegeben, der geradewegs zur Macy's-Katastrophe geführt hatte.

      Und da sowohl Susan als auch Ron offenbar von einem Profi-Killer umgebracht worden waren, lag der Verdacht nahe, dass hier Zusammenhänge mit dem organisierten Verbrechen bestanden.

      "Wenn die Lebenserinnerungen eines Marine wirklich der Grund für einen Auftragsmord darstellen, dann sollten wir uns vielleicht mal die alten Kameraden aus dem Marine Corps vorknöpfen", meinte Milo, während wir die Liberty Lane in Paterson erreichten.

      "Wenn wir doppelt so viele Leute hätten wäre das kein Problem", erwiderte ich. Seit dem Anschlag auf das World Trade Center hatte die Terrorismusbekämpfung in allen sicherheitsrelevanten Behörden absolute Priorität. Das war auch beim FBI nicht anders. Im Windschatten dieser Verfahrensweise versuchte so mancher gewöhnliche Kriminelle zu segeln.

      Dr. McCullen wohnte in Haus Nummer 576. Eine schmucke Villa. Wir parkten am Straßenrand, gingen zum gusseisernen Einfahrtstor. Milo betätigte die Sprechanlage.

      "Hier McCullen", meldete sich eine heisere Stimme.

      "Special Agent Milo Tucker vom FBI Field Office New York. Wir möchten Ihnen ein paar Fragen zu einem Ihrer Patienten stellen."

      "Ich bin an die gesetzliche Schweigepflicht gebunden. Es hat wenig Sinn, sich mit mir über ehemalige Patienten unterhalten zu wollen."

      "Wir haben hier einen richterlichen Beschluss, der Sie von der Schweigepflicht entbindet. Es geht um Ron Dexter..."

      "Wir können Sie natürlich auch offiziell vorladen lassen, Mister McCullen", mischte ich mich ein.

      Ein Kameraauge bewegte sich surrend. Es war oben auf der etwa zwei Meter hohen Mauer angebracht. Ich hielt meine ID-Card hoch.

      Einige Augenblicke lang geschah gar nichts.

      Schließlich meldete sich McCullens Stimme wieder. "Okay, kommen Sie herein und stellen Sie Ihre Fragen."

      Das gusseiserne Tor öffnete sich selbsttätig.

      Wir betraten das von einem parkähnlichen Garten umgebene Anwesen.

      Ein grauhaariger Mann mit Halbglatze erwartete uns auf den Stufen des protzigen Säulenportals. Ich schätzte ihn auf Ende fünfzig. Die Rechte steckte in der Seitentasche seines Jacketts. Ich nahm an, dass er eine kurzläufige Waffe in der Hand hielt.

      "Ich bin Agent Jesse Trevellian. Wir sind wirklich vom FBI. Ansonsten hoffe ich, dass die Waffe in Ihrer Jackentasche auch offiziell zugelassen ist."

      McCullen war überrascht, wurde rot.

      Er atmete tief durch, nahm vorsichtig die Hand aus der Tasche. Ein 22er-Revolver kam zum Vorschein.

      "Die Waffe ist ordnungsgemäß registriert, das können Sie gerne überprüfen", sagte McCullen. Er reichte sie mir. Ich sah sie mir an. Immerhin war die Seriennummer nicht abgefeilt.

      "Vor wem haben Sie Angst, Mister McCullen?", erkundigte sich Milo.

      Er zuckte die Achseln. "Man braucht doch nur den Fernseher einzuschalten, um zu sehen, was heutzutage auf den Straßen los ist!"

      "Ich nehme an, Sie können mir die Registrierung belegen."

      "Sicher. Kommen Sie herein."

      McCullen führte uns in die hohe Eingangshalle. Der Boden war mit Marmorplatten ausgelegt. Das Anwesen musste ein Vermögen gekostet haben. McCullen führte uns in einen Salon, der mit Antiquitäten nur so vollgestellt war. Der Psychiater deutete auf eine Sitzecke mit zierlichen Rokoko-Möbeln und bot uns etwas zu trinken an.

      "Danke, wir sind im Dienst", sagte ich. Wir setzten uns.

      McCullen schlug die Beine übereinander.

      "Was wollen Sie über Dexter wissen?", fragte er.

      "Können Sie uns etwas über seine psychische Erkrankung sagen?"

      "Er litt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Aber das müssten Sie seinen Akten eigentlich entnommen haben."

      "Durch welches Erlebnis wurde dieses Trauma ausgelöst?", fragte ich.

      "Während seines Einsatzes in Somalia geriet er zusammen mit zwei anderen Marines und einigen Somalis vorübergehend in Gefangenschaft. Einer der rivalisierenden Clans kidnappte die ganze Gruppe. Man hat Dexter und den beiden anderen Marines kein Haar gekrümmt. Schließlich wollte man Lösegeld für ihre Freilassung erpressen. Allerdings mussten sie mit ansehen, wie die einheimischen Gefangenen bestialisch verstümmelt und zu Tode gefoltert wurden. Sie gehörten einem verfeindeten Clan an und es gab wohl auch keine Aussicht, mit ihnen ein Lösegeld zu erzielen."

      "Was ist aus den anderen beiden Marines geworden, die das mit ansehen mussten?"

      "Einer ist heute Ausbilder im Fort Lejeune. Der andere verließ ebenso wie Dexter das Marine Corps, verfiel dem Alkohol und kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Die Umstände ließen darauf schließen, dass es in Wahrheit ein Selbstmord war."

      "Sie waren damals bei den US-Truppen in Somalia."

      "Ja."

      "Waren die beiden anderen Marines auch bei Ihnen in Behandlung?"

      "Natürlich."

      "Dann geben Sie uns bitte die Namen."

      "James Kirkpatrick und Harold Montalban. Dienstgrad und so weiter weiß ich nicht mehr. Sie werden die näheren Daten sicher vom Marine Corps bekommen..."

      Milo mischte sich jetzt in die Befragung ein. "Warum verließen Sie selbst nach Somalia das Marine Corps, Dr. McCullen?"

      Dr. McCullen lächelte dünn. "Weil ich es auf die Dauer leid war, ein kleines Rädchen in einer großen Maschinerie zu sein, wenn Sie verstehen, was ich meine."

      "Ich glaube nicht, dass die Abfindung beim Marine Corps dazu ausreicht, sich eine Praxis einzurichten", hakte Milo nach.

      McCullen lächelte dünn. "Ich hatte ein gutes Angebot aus der freien Wirtschaft. Es bringt bedeutend mehr, ausgebrannte Manager wieder in Top-Form zu coachen als traumatisierte Soldaten zu therapieren. Patriotismus zahlt sich eben im Endeffekt nicht aus." Er hob die Augenbrauen. "Ich fürchte, was Dexter angeht, kann ich Ihnen nicht sehr viel weiterhelfen. Seit einiger Zeit habe ich keinen Kontakt mehr zu ihm."

      "Wissen Sie, ob er bei einem anderen Psychiater in Behandlung war?", fragte ich.

      Er schüttelte den Kopf. "Nein."

      "Bekam er Medikamente?"

      "Er bekam etwas gegen Depressionen. Er hat zwar einen Entzug hinter sich, bei dem ich ihn auch medizinisch-psychologisch begleitet habe, aber ich bin überzeugt davon, dass er bis zuletzt Drogen genommen hat. Dafür habe ich einen Blick."

      "Schildern Sie mir Ihr letztes Zusammentreffen mit ihm."

      "Wir hatten uns zuvor eine ganze Weile nicht gesehen, er war mit ein paar zweifelhaften Typen aus seiner Motorrad-Gang durch die Vereinigten Staaten gezogen."

      "Wie würden Sie seinen Zustand beurteilen?"

      "Er wollte eine ziemlich große Menge an Schlafmitteln. Ich musste ihm leider sagen, dass ich nichts im Haus hätte und ihm nichts verschreiben könnte. Selbst wenn ich wollte." Dr. McCullen zuckte die Achseln. "Schließlich hatte ich mich in der Zwischenzeit ja zur Ruhe gesetzt und die Praxis geschlossen."