ich nach.
"Ziemlich aufbrausend. Er war früher schon nahe daran gewesen, eine richtige Paranoia zu entwickeln. Inzwischen war es wohl so weit. Er beschuldigte mich, für die Regierung zu arbeiten, die ihn immer noch verfolgen würde."
Milo meldete sich zu Wort. "Hat er Ihnen gegenüber mal erwähnt, dass er seine Biographie schreiben wollte?"
McCullen lachte heiser. "Das war sein Lieblingsthema. Ich habe ihn auch dazu ermutigt, sich die Dinge von der Seele schreiben, die ihn belasteten."
"Wir haben Grund zu der Annahme, dass sowohl Ron als auch Susan Dexter umgebracht wurden, weil jemand in den Besitz von Ron Dexters Aufzeichnungen gelangen wollte."
McCullens Gesicht erstarrte. Für einen kurzen Moment glichen seine Züge einer eisigen Maske. Schließlich zwang er sich zu einem Lächeln. "Das klingt wie eine der wilden Verschwörungstheorien, an die Dexter glaubte. Die CIA, die Mafia und der Ku-Klux-Klan wollten ihn mit vereinten Kräften aus dem Weg räumen, so hat er es mir mal erläutert."
"War er nicht ein Fall für eine stationäre Behandlung?", erkundigte ich mich skeptisch.
"Das lässt sich im nach hinein natürlich leicht sagen. Aber zum damaligen Zeitpunkt war nicht vorhersehbar, dass dieser Mann zu einem Amokläufer mutieren würde. Menschliches Verhalten ist einfach nicht berechenbar."
Eine Frau betrat jetzt den Raum.
Sie war höchstens 25, trug ein hauteng anliegendes Kleid, das ihre attraktive Figur betonte. Das seidige, blauschwarze Haar fiel ihr über die Schultern.
"George...oh, ich wusste nicht, dass du Besuch hast."
McCullen erhob sich. "Kein Problem, Schätzchen!" Er legte besitzergreifend einen Arm um ihre schmale Schulter. "Darf ich dir die Special Agents Jesse Trevellian und Milo Tucker vorstellen?"
"FBI?", fragte die junge Frau besorgt.
"Ja, aber mach dir keine Gedanken." McCullen wandte sich uns zu und deutete auf die Frau in seinem Arm. "Dies ist Mona Garrison, eine... gute Bekannte!"
Für eine "gute Bekannte" drückte McCullen die junge Frau ziemlich eng an sich, wie ich fand.
Das Telefon läutete.
Mona musterte uns beide misstrauisch.
McCullen ging zum Apparat. Es handelte sich um ein sehr edles Uralt-Modell mit Wählscheibe. Es war teilweise vergoldet, der Griff des Hörers bestand aus Elfenbein. Ein Telefon, das zu der Ansammlung von Antiquitäten in McCullens Anwesen passte.
"Ich hoffe nicht, dass Sie den guten Doc eines Verbrechens verdächtigen!", säuselte Mona mit rauchiger Stimme.
Ich hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, achtete mehr auf McCullen und das Telefon.
"Ja, ja, Sie sind richtig verbunden. Hier spricht Dr. McCullen. Aber ich habe meine Praxis seit geraumer Zeit geschlossen und bin an kostenlosen Medikamentenproben nicht mehr inter..."
Weiter kam der Psychiater nicht.
Der Hörer in seiner Hand explodierte.
14
Etwa zur gleichen Zeit befanden sich unsere Kollegen Clive Caravaggio und Orry Medina in der Leichenhalle des Coroners von Stamford, Connecticut. Clive bekleidete den Rang eines stellvertretenden Special Agent in Charge. Damit war der flachsblonde Italoamerikaner nach Mister McKee der zweite Mann im Field Office New York.
Die State Police von Connecticut bearbeitete einen Leichenfund, der mit dem Dexter-Fall offenbar in Zusammenhang stand.
Auf einem Parkplatz an der Küstenstraße Richtung Stamford war ein Toter gefunden worden. Ein NYPD-Dienstausweis und ein Führerschein hatte man bei ihm gefunden. Beide lauteten auf den Namen Norman E. Smith. Wie eine Daten-Schnellabfrage ergeben hatte, war zumindest die ID-Card des NYPD eine Fälschung.
Im Laufe des Vormittags war das vorläufige ballistische Gutachten erstellt worden.
Und dessen Ergebnis hatte den zuständigen Beamten der State Police dazu veranlasst, den FBI einzuschalten.
Der falsche Police-Lieutenant Norman E. Smith war nämlich mit derselben Waffe erschossen worden wie Ron Dexter und seine Schwester Susan.
"Schön, dass jemand vom Field Office so schnell Zeit für uns hatte", wurden sie von Ruben Van Doren begrüßt, einem Captain der State Police von Connecticut, die den Fall, um den es ging, zunächst bearbeitet hatte. Van Doren deutete auf den Mann im Weißkittel neben sich. "Das ist Dr. Soames von der Gerichtsmedizin. Er hat die Autopsie vorgenommen."
"Kommen Sie", sagte Dr. Soames und winkte die beiden G-men zu den Kühlfächern, in denen die Leichen aufbewahrt wurden. Er öffnete eins der Fächer. Ein weißes Tuch bedeckte den Körper des Toten. Soames zog es vom Gesicht. "Dieser Mann starb eindeutig durch die ihm beigebrachten Schussverletzungen", erläuterte er. "Er wurde aus einer Entfernung von maximal vier Metern erschossen. Laut den Papieren, die er bei sich trug, war dieser Mann 32 Jahre alt. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass er mindestens zehn Jahre älter ist. Das Haar ist übrigens gefärbt. In Wahrheit ist es vermutlich vollkommen ergraut."
"Welche Schuhgröße hatte er?", fragte Clive. "Unsere Kollegen haben nämlich am Tatort im Fall Susan Dexter einen Abdruck sichern können..."
"Fünfundvierzig. Die Sachen, die Smith oder wie immer sein tatsächlicher Name auch sein mag, am Leib trug, sind noch im Labor."
Clive wandte sich an Captain Van Doren. "Was die wahre Identität dieses Mannes angeht..."
"...haben wir bislang nicht die geringste Ahnung, Sir. Tut mir leid. Allerdings wurde die Waffe, die dieser Mann bei sich trug, vor einigen Wochen schon einmal benutzt."
"Wer war das Opfer?"
"Ein gewisser Gilbert Bradley, Mitte vierzig, ehemaliger Lieutenant im Marine Corps, Teilnehmer am ersten Golfkrieg und an verschiedenen anderen Einsätzen."
Orry hob die Augenbrauen. "Zufällig auch in Somalia?" erkundigte sich unser indianischer Kollege.
Van Doren zuckte die Achseln. "Ich habe Ihnen ein Dossier zusammengestellt, lesen Sie es selber nach. Ich weiß es nicht mehr genau. Jedenfalls ist dieser Bradley nach seiner Dienstzeit ziemlich weit heruntergekommen, kam sozusagen auf die schiefe Bahn. Er gehörte verschiedenen kriminellen Rockerbanden an und hat diverse Vorstrafen wegen Körperverletzung und Drogendelikten vorzuweisen."
"Klingt nach einem Zwilling von Ron Dexter", fand Orry.
Clive fiel die Parallele ebenfalls auf. "Wäre doch nicht ausgeschlossen, dass Dexter und Bradley sich gekannt haben", murmelte er nachdenklich.
"Vielleicht standen sie demselben großen Boss im Weg", war Van Dorens Vermutung. "Schließlich bewegten sie sich doch wohl beide in sehr halbseidenem Milieu. Wer weiß, wen die gegen sich aufgebracht haben..."
"Gut möglich", nickte Orry.
Van Doren fuhr fort: "Kommen Sie, ich möchte Ihnen in einem etwas angenehmeren Ambiente die Videoaufzeichnung des Tatorts vorführen. Da gibt es nämlich auch noch ein paar interessante Details."
"Ich bin gespannt", bekannte Clive.
"Und noch was: Dieser Smith benutzte eine Kreditkarte,