Pete Hackett

Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019


Скачать книгу

der Kunst umgebracht ...

      Wäre da nicht dieser verfluchte Föhn gewesen, der uns alle zu seinen Geiseln machte, selbst jetzt noch, da er tot war − er hätte wochenlang in seiner Räuberhöhle vor sich hinfaulen können, ohne dass irgendjemand das zur Kenntnis genommen hätte. Die Miete wäre automatisch von seinem Konto abgebucht worden ... Vielleicht hätte sich sein Arbeitgeber eines Tages um sein Verbleiben gekümmert.

      Vorausgesetzt, es gab überhaupt einen Arbeitgeber.

      Auch das wusste ich nicht. Ich hatte keine Ahnung, woher er sein Geld bekam. Ich wusste noch nicht einmal, ob er regelmäßig aus dem Haus ging, um irgendeiner Tätigkeit nachzugehen − und mochte sie auch nur darin bestehen, im Stehcafe zu frühstücken.

      Das Einzige, was sicher zu sein schien, war, dass er sich regelmäßig sein schütteres Haar geföhnt hatte!

      Verdammt noch mal, das war wirklich eine feste Größe in seinem und unser aller Leben gewesen! Aus den Seiten, die er mir zerstört hatte, konnte man sicher einen ganzen Roman zusammenstellen!

      3

      Es dauerte noch eine geschlagene Viertelstunde, bis die Polizei in Gestalt von zwei Männern auftauchte, die mich unwillkürlich an Dick und Doof erinnerten.

      Dick war wohl der Boss hier und stellte sich mit "Rehfeld, Mordkommission!" vor. Irgendwie schien er nicht besonders gute Laune zu haben. Keine Ahnung, welche Laus ihm über die Leber gelaufen war.

      Doof sagte erst einmal gar nichts und dackelte mit eingezogenen Schultern hinter seinem Herrn und Meister her. Er hätte auch größte Schwierigkeiten gehabt, etwas über die Lippen zu bringen, denn er kaute auf irgendetwas herum. Erdnüsse, schätzte ich, denn nach einem schwachen Händedruck hatte ich Öl und Salz an den Fingern.

      Dann hielt er mir wortlos seinen Ausweis unter die Nase.

      Und dort konnte ich es dann schwarz auf weiß lesen: Doof hieß Lehmann.

      Lehmann trug ein preiswertes Polyester-Longjackett, in dessen rechter Tasche er genug Platz für seinen Erdnuss-Vorrat hatte. Im Ganzen wirkte er wie ein ausgehungerter Schimanski-Verschnitt. Er war dürr und schlaksig, wenn auch zwei Köpfe länger als ich.

      Seine Körperhaltung gab ihm die Gestalt eines Fragezeichens. Nur nicht zu tief Luft holen!, dachte ich. Sonst bläst es ihn um!

      Bei dem dicken Rehfeld bestand da keinerlei Gefahr. Er war kugelrund und trug einen Mantel, bei dem er nur hoffen konnte, dass Regen und Wind immer von hinten kamen, denn es war einfach undenkbar, dass es ihm jemals gelingen konnte, die Knopfreihe zu schließen.

      Rehfeld ging ins Bad, nachdem ihn die beiden Frauen darüber aufgeklärt hatten, dass dort die eigentliche Musik spielte.

      Lehmann musterte uns einen nach dem anderen mit seinen verschlafenen Augen.

      Dann nahm er noch eine weitere Handvoll Erdnüsse aus der Jackentasche heraus und stopfte sie ziemlich ungeschickt in den Mund, so dass ihm ein halbes Dutzend davon auf den Boden fiel.

      Er grunzte ärgerlich und mit vollem Mund, wobei ihm um ein Haar noch etwas herausgefallen wäre. Dann dackelte er erneut hinter seinem dicken Herrn und Meister her, diesmal ins Bad. Ich folgte den beiden. Die Frauen schienen ihrerseits genug von Lammers Anblick zu haben. Sie hatten ihn ja schließlich auch lange genug angestiert.

      "Schlimm, schlimm", murmelte der dicke Rehfeld vor sich hin und schnaufte. Aber er fand es nicht wirklich schlimm.

      Es berührte ihn überhaupt nicht, davon war ich felsenfest überzeugt. Ich sah, wie er kurz in der Nase bohrte. Aber als er mich bemerkte, hörte er sofort damit auf. Es war ihm peinlich.

      Er wollte eine nicht vorhandene Pietät raushängen lassen. Schließlich wusste er ja nicht, dass er das bei mir nicht brauchte. Ich war nämlich keineswegs unangenehm berührt durch sein Verhalten. Irgendwie verstand ich ihn sogar ganz gut.

      Wenn man den ganzen Tag nichts anderes tut, als Leichen zu besichtigen und herauszufinden, wie sie zu Tode gekommen sind, muss man abgebrüht werden, wenn man nicht den Verstand verlieren will. Das ist ganz natürlich.

      Jedenfalls sehe ich das so.

      "Wer sind Sie eigentlich?", fragte Rehfeld.

      "Ich heiße Michael Hellmer und wohne eine Etage tiefer."

      "Und in welcher Beziehung standen Sie zu ..." er räusperte sich und hustete dann geräuschvoll in das riesenhafte Taschentuch, das er blitzschnell aus der Manteltasche gezogen hatte, "... zu dem Toten?"

      "In gar keiner."

      "Wie?"

      "Ich hatte keine ›Beziehung‹ zu ihm. Ich mochte ihn nicht − und vor allem nicht seinen Föhn."

      Er deutete in die Wanne. "Meinen Sie den da?"

      "Ja. Den da!"

      "Verstehe ich nicht."

      "Ist auch nicht so wichtig!"

      Oh, da war ich ihm aber auf seine überbreite Krawatte mit dem geschmackvollen grellen Blumenmuster und dem überdicken Windsorknoten getreten.

      "Was hier wichtig ist, bestimme ich!", stellte er barsch und genau in der Art und Weise, die zum Klischeebild eines hässlichen, herrschsüchtigen, deutschen Beamten passte, fest.

      "Okay, okay!", meinte ich. "Was wichtig ist, bestimmen Sie! Wer denn auch sonst!"

      "Nicht frech werden!"

      "Würde mir nie einfallen!"

      Er blitzte mich böse an. Tja, dachte ich, jetzt weißt du nicht mehr, was du sagen sollst!

      Er machte das einzig Vernünftige. Er schnaufte erst einmal ausgiebig. Und bevor er danach etwas sagen konnte, fing ich an, ihm von der Schönen mit den graugrünen Augen zu erzählen, die an mir vorbeigerannt war und allem Anschein nach geradewegs aus Lammers Wohnung gekommen war!

      "Hm", brummte Rehfeld, jetzt schon etwas versöhnlicher. "Haben Sie eine Ahnung, wer die Frau war?"

      "Nein."

      "Hatte der Ermordete eine Freundin?"

      "Kann ich mir nicht vorstellen. Er war ein Ekelsack! Aber ausschließen will ich das nicht. Es gibt schließlich auch Frauen mit schlechtem Geschmack."

      "Er lebte allein in dieser Wohnung?"

      "Soweit ich das sagen kann, ja. Jedenfalls ist mir nie etwas Gegenteiliges aufgefallen. Aber um ehrlich zu sein, ich habe mich auch nie besonders um das Liebesleben dieses Mannes gekümmert."

      "Was machte er beruflich?"

      "Keine Ahnung."

      "Was wissen Sie überhaupt über ihn?"

      "Zum Beispiel, dass er bestimmt keine Haustiere hatte, denn Haustiere sind hier verboten. Aber ansonsten weiß ich fast nichts."

      "Sie lebten unter einem Dach, Herr Hellmer!"

      "Ja, traurig, nicht? Das ist die Anonymität der Großstadt."

      Er nickte, und dabei bildete sich ein imposantes Doppelkinn. Es war so groß, dass es fast den gesamten MEGAdicken Windsorknoten verdeckte.

      "Das