hatten der Herrgott und der Redakteur noch ein bisschen Schweiß gesetzt. Seite Zwanzig. Heute war ich gut in Form, und vielleicht würde ich nachher noch einmal zehn Seiten schreiben.
Doch im Augenblick war mir mehr nach einer Tasse Kaffee.
Ich wollte gerade den Text sichern, da wurde der Bildschirm plötzlich dunkel.
Auch das Licht war ausgegangen.
Ein Kurzschluss! Ich fluchte innerlich. Die letzten fünf Seiten waren nicht gesichert gewesen und damit unwiederbringlich verloren.
Wahrscheinlich war es wieder der defekte Föhn von dem Kerl, der die Wohnung eine Treppe höher bewohnte.
Es war immer dasselbe. Der Kerl benutzte das Gerät, und wenn ich Pech hatte, sprang die Hauptsicherung raus.
Das Leitungsnetz in diesem Haus war völlig veraltet. Baujahr irgendwann vor dem Krieg oder kurz danach. Eigentlich hätten hier alle Leitungen herausgerissen und erneuert werden müssen. Abends, wenn die Fernseher nach und nach angingen, wurde es immer besonders kritisch.
Am besten ließ sich zwischen Mitternacht und Frühstück arbeiten. Dann war man relativ sicher davor, dass der Strom auf einmal weg war. Nur weil zwei Dutzend Idioten plötzlich alle gleichzeitig ihre sämtlichen elektrischen Geräte anstellen mussten. Und selbst der Typ mit dem kaputten Föhn trocknete sich dann seltener die Haare.
Ich war sauer.
Der blöde Kerl über mir - vorausgesetzt mein Zorn traf ihn in diesem Fall zu Recht - hatte mir fünf Seiten vernichtet.
Beim nächsten Mal sollte ich ihn auf Schadensersatz verklagen!, dachte ich.
Diese Seiten waren schließlich bares Geld für mich gewesen!
Andererseits war der Kerl aber selbst offensichtlich zu geizig, um sich endlich einen neuen Föhn zu besorgen, der sich mit der Hauptsicherung besser vertrug!
Ich atmete tief durch. So lange ich in diesem Haus lebte, würde ich mich mit diesen Zuständen abfinden müssen.
Ich knipste Bildschirm und Zentraleinheit des Computers off, damit - wenn die Sicherung wieder eingeschaltet war - der Strom nicht mit voller Wucht in die Geräte schlug. Das soll nämlich schädlich sein.
Dann erhob ich mich und überlegte einen Moment, was ich tun sollte.
Es gab mehrere Möglichkeiten.
Ich konnte in den Keller gehen, um die Sicherung wieder einzuschalten.
Ich konnte aber auch abwarten, bis einer der anderen Hausbewohner in den Keller ging, um die Sicherung wieder einzuschalten.
Ich sah auf die Uhr. Genau 17.30 Uhr.
Das bedeutete, dass schon eine ganze Reihe von Leuten zu Hause war, vor dem Fernseher saß, Radio hörte und so weiter. Meine Chancen, mich nicht selber aufmachen zu müssen, weil sich jemand anders durch den stromlosen Zustand noch mehr genervt fühlte als ich, standen also gar nicht so schlecht.
Ich ging in die Küche.
Da stand noch Kaffee in der Maschine. Die war natürlich auch ohne Strom, also war klar, dass der Kaffee bald kalt sein würde. So entschloss ich mich, mir erst einmal eine Tasse einzuschenken und abzuwarten.
Draußen, vom Treppenhaus her, hörte ich Geräusche und Stimmen. Da hatte sich also tatsächlich jemand in den Keller aufgemacht, genau wie ich vermutet hatte.
Ich schlürfte meinen Kaffee und wartete ab.
Dann war plötzlich wieder Strom da. Das Licht ging an, das Kontrolllämpchen der Kaffeemaschine leuchtete wieder, und das Radio in der Küche, das ich abzuschalten vergessen hatte, murmelte vor sich hin.
Doch das währte keine zwei Sekunden.
Dann war es schon wieder vorbei. Der Strom war erneut weg, was nur daran liegen konnte, dass der Kurzschluss immer noch bestand.
Wahrscheinlich hat dieser Idiot seinen Haartrockner einfach wieder eingeschaltet und versucht, sich zu Ende zu föhnen!, dachte ich grimmig.
Er war ein Ignorant.
Ich hatte ihn schon einmal wegen dieses verdammten Föhns angesprochen, aber er meinte, es liege an meinem Computer. Der ziehe zuviel Strom, und deshalb könne das Leitungsnetz seinen Föhn nicht verkraften. So ein Blödsinn!
Ich glaube, ich muss nicht besonders betonen, dass ich ihn nicht leiden kann. Wie sollte es anders sein, da er mir ja schließlich in mehr oder minder regelmäßigen Abständen Geld stahl.
Nein, pardon, ›stahl‹ ist nicht richtig ausgedrückt. Er vernichtete es. Er vernichtete Geld - und dummerweise gehörte dieses Geld mir.
›Zur Hölle mit ihm!‹, oder so etwas in der Art hätte Jake McCord aus GNADENLOSE WÖLFE, diesem ungewöhnlich spannenden, wenn auch noch ziemlich unfertigen Western-Roman, in einem solchen Fall gesagt! ›Zur Hölle mit ihm ...‹ Wenn ich in jenem Augenblick gewusst hätte, dass er sich dort vielleicht schon befand ...
Aber es ist müßig, über solche Dinge nachzudenken.
Wieder kam für einen Augenblick Strom durch die Leitungen, der abermals sofort versiegte. Irgendjemand hatte es also ein zweites Mal versucht. Und ebenso erfolglos.
Ich trank meinen Kaffee aus.
Wie es aussah, würde ich mich doch selbst um die Sache kümmern müssen, wenn ich heute noch eine Seite in die Tasten bringen wollte!
Verdammt, ich war so gut drin gewesen, und dann das!
Die Probleme von Jake McCord lösten sich auf Seite 120, das war von vorn herein klar. Meine eigenen Probleme musste ich selbst meistern.
Kein gottgleicher Autor löste sie für mich in Wohlgefallen und einem Happy-End inklusive einem schönen Mädchen und dem Ende aller Schurken auf!
Ich ging in den Flur, öffnete meine Wohnungstür und trat hinaus ins Treppenhaus.
Von unten hörte ich Stimmen.
Es waren Frauenstimmen, und zwar mindestens zwei.
Sie kamen aus dem Keller die Treppe herauf und hatten wohl eingesehen, dass es so einfach, wie sie gedacht hatten, nicht war.
Indessen schloss ich sorgfältig die Tür hinter mir ab. Auch wenn man nur kurz aus der Wohnung ist, sollte man das tun. Es ist hier schon passiert, dass jemand nur den Mülleimer hinausgebracht hat, ohne abzuschließen, und dann das Familiensilber vermisste.
Ich warf einen Blick hinunter zu den Frauen.
Aber auch von oben kam jemand. Und auch das war eine Frau, das hörte ich an den Schuhen.
Ich wirbelte herum und blickte in ein fein geschnittenes, von dunkelbraunen Haaren umrahmtes Gesicht mit grüngrauen Augen. Ich schätzte sie auf Anfang zwanzig.
Sie war hübsch, aber das war nicht der Hauptgrund, weshalb mein Blick an ihr haften blieb.
Für einen kurzen Moment sahen wir uns an.
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Eine Sekunde lang blieb sie stehen und trat dann an mir vorbei. Sie wirkte irgendwie gehetzt, so als sei ihr jemand auf den Fersen. Aber ein kurzer Blick die Treppe hinauf sagte mir, dass dort niemand war.
"Hey!", rief ich ihr hinterher.
Sie blieb auf dem Absatz stehen, atmete tief durch und drehte sich dann zu mir herum. Es lag auf der Hand, dass sie nur aus der Wohnung jenes Mannes kommen konnte, dessen verfluchter Föhn vermutlich dafür verantwortlich war, dass ich jetzt hier im Treppenhaus stand, anstatt an den Tasten zu sitzen!
"Was ist?", rief sie ziemlich außer Atem.
Als sich unsere Blicke begegneten, wusste ich, dass sie Angst hatte. Schweiß stand ihr auf der Stirn, und ich konnte mir bei ihrer sportlichen Figur einfach nicht vorstellen, dass dieser durch die paar Stufen bis zum Absatz entstanden war.