Frank Rehfeld

Krimi Jahresband 2020 - 11 Spannungsromane in einem Band!


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einen Augenblick später war ich wieder auf den Beinen.

      Ich wartete, bis die Schritte des Blonden verklungen waren, ehe ich in den Flur hinaustrat. Der Kerl war mit seiner Geisel hinter der nächsten Biegung verschwunden.

      Ich ging zu dem am Boden liegenden Brenders. Es gab nichts mehr, was ich für ihn tun konnte.

      Er war tot. Wut keimte in mir auf.

      Ich nahm Brenders die Dienstwaffe ab und schnellte hinter dem Blonden her, pirschte mich an die nächste Biegung heran und stürmte dann mit der SIG in beiden Händen vor.

      Es war niemand im Flur.

      Am anderen Ende stand eine feuerfeste Stahltür.

      Es gab auf dem Weg dorthin noch zwei weitere Türen, je eine rechts und eine links. Die linke stand einen Spalt offen. Dahinter herrschte Dunkelheit.

      Ich lief bis zu ersten Tür, ließ sie mit einem Tritt zur Seite fliegen. Seitlich fand ich den Lichtschalter und blickte dann in einen Abstellraum, in dem sich ein Haufen von Gerümpel angesammelt hatte. Ein Stapel Kisten, davor ein Fahrrad und ein sorgsam aufgeschichteter Satz Winterreifen.

      Aber keine Spur von dem Blonden.

      Schritte ließen mich herumfahren.

      Lew stand mit der SIG in der Hand plötzlich da und ließ die Waffe sinken, als er mich erkannte.

      "Unser Mann ist blond, mindestens ein Meter neunzig groß, sehr kräftig und hat eine männliche Geisel", sagte ich.

      "Und er hat einen Kollegen getötet", stellte Lew düster fest.

      Er war schließlich an Brenders vorbeigekommen.

      Ich nickte.

      "Das Haus ist abgeriegelt. Er kann hier unmöglich rauskommen", war Lew überzeugt.

      "Ich denke, das kann sich unser Mann an den Fingern einer Hand ausrechnen."

      "Fragt sich nur, welches Naturell er hat. Ob er vernünftig ist oder..."

      "...Amok läuft?"

      "Genau."

      Ich nickte düster. Der Kerl hatte Brenders brutal über den Haufen geschossen. Es war nicht anzunehmen, dass er das Leben seiner Geisel schonen würde.

      Lew und ich gingen den Kellergang entlang.

      Lew verständigte unterdessen die Kollegen per Handy.

      Und dann ging das Licht aus.

      Es war stockdunkel. Man konnte nicht die Hand vor Augen sehen.

      Schlau eingefädelt!, dachte ich. Zweifellos hatte der Blonde für den Stromausfall gesorgt.

      Ich hatte eine kleine Stabtaschenlampe dabei, etwa so groß wie ein etwas dickerer Kugelschreiber.

      Besonders groß war der Lichtkegel nicht, den die Lampe warf. Aber es reichte, um sich einigermaßen zu orientieren.

      "Totaler Stromausfall im Kellerbereich!", meldete Lew

      'nach oben', zu unseren Kollegen.

      Wir erreichten die Stahltür.

      Vorsichtig öffnete ich sie.

      Mit der SIG in der Rechten schnellte ich hinter einen Betonpfeiler.

      Lew nahm in einer Nische Deckung. Die Tür fiel ins Schloss. Das Geräusch, das dabei entstand hallte mehrfach wider. Schon der kurze Schwenk des Lichtkegels zeigte, dass wir uns in einem größeren Raum befanden.

      Ein paar Meter entfernt befand sich ein Lastenaufzug.

      Ich hoffte nur, dass der Blonde nicht den Weg nach oben genommen hatte und bei seiner Flucht möglicherweise weitere Hausbewohner gefährdete.

      Ein Stöhnen drang durch den Raum.

      Jemand atmete schwer, ächzte.

      Eine schattenhafte Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit heraus, wankte mit taumelnden Bewegungen auf uns zu.

      "Waffe weg! FBI!", rief ich.

      Die Gestalt erstarrte.

      Im Schein meiner Taschenlampe blinkte der riesige Colt Magnum auf.

      "Nicht schießen!", schrie eine dünne, zittrige Stimme.

      "Die Waffe weg!", wiederholte ich.

      Der Magnum segelte zu Boden.

      Lew stürzte aus der Deckung.

      Der Strahl meiner Lampe traf das Gesicht unseres Gegenübers. Es handelte sich um den Hausmeister, den der Blonde als Geisel genommen hatte.

      "Wo ist er?", rief Lew.

      "Da!" Mit panisch verzerrtem Gesicht deutete der Mann in die Dunkelheit. Aber dort war nichts zu sehen, so sehr ich den spärlichen Lichtkegel auch suchend umherfahren ließ.

      Im nächsten Moment ging das Licht an. Es brannte grell in den Augen. Die Geräusche von Stimmen und Schritten mischten sich. Der Lastenaufzug rumorte. Die Schiebetür öffnete sich und ein halbes Dutzend Kollegen der City Police stürmten heraus. Jeder mit der Waffe im Anschlag und in kugelsicherer Kevlar-Weste.

      Die blanken Läufe waren auf uns gerichtet, senkten sich aber rasch.

      "Der Kerl hat mich gezwungen, diese Waffe in der Hand zu halten!", stotterte der Hausmeister.

      "Wo ist er?", wiederholte ich.

      Es gab neben der Tür, durch die wir gekommen waren, zwei weitere Zugänge.

      "Er war dort!", rief der Mann und deutete hinter sich.

      "Und er hat mir gedroht, mich von hinten zu erschießen, wenn ich nicht mit der Waffe in der Hand auf Sie zulaufe." Der Mann war völlig außer sich. "Er wollte dass Sie auf mich schießen, dieser Hund!" stieß er hervor.

      "Der Kerl kann sich nicht in Luft auflösen!", meinte Lew düster.

      Die Geisel starrte mit leeren Augen durch mich hindurch.

      Ich packte den Mann bei den Schultern.

      "Hat er Sie nach einem Zugang zum Abwassersystem gefragt?"

      Ein Ruck ging durch seinen Körper. Er legte die Stirn in Falten. Seine Augenbrauen bildeten plötzlich eine geschwungene Linie.

      "Ja!"

      "Wo ist der?"

      "Ich zeig's Ihnen!"

      11

      Ein paar Augenblicke später standen wir in einer ehemaligen Waschküche.

      Im Boden befand sich ein Gulli, von wo aus ein Schacht in die Tiefe führte. New York gleicht einem Stück Land, das vollkommen von Maulwurfbauten untergraben ist. Bis zu zehn Stockwerke tief erstreckt sich dieses Reich der Tiefe aus Abwasserkanälen und U-Bahnschächten. Teile dieses Netzes sind seit Jahrzehnten stillgelegt. Ich selbst hatte schon als verdeckter Ermittler unter den sogenannten 'Mole People'

      fungiert. Dabei handelte es sich um die bedauernswerten Bewohner dieser unterirdischen Labyrinthe.

      Dort unten jemanden aufzuspüren war ungeheuer schwer, fast unmöglich.

      Lew und ich stiegen trotzdem hinab, gelangten in einen stillgelegten Kanal, der sich wiederum mehrfach verzweigte.

      Es war aussichtslos.

      Und neben jeden Gullideckel in New York City einen Cop zu stellen, damit dieser darauf achtete, dass keine gesuchte Person aus der Tiefe stieg, das war schlicht und ergreifend unmöglich. Wir mussten uns auf die Kanalzugänge im näheren Umkreis beschränken. Das Problem war, dass der Weg, durch den der Blonde geflohen war, zu einem alten Teilstück des Kanalnetzes gehörte, das vor dreißig Jahren stillgelegt worden war, als man die Umgegend saniert hatte. Bis wir an die alten Pläne herankamen,