Alfred Bekker

Romantic Thriller Sommer 2020: 9 Romane um Liebe und Geheimnis


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      Die Frau stand jetzt auf und kam mit ausgestreckter Hand auf Vivian zu.

      „Ich bin Jennifer Johnson, von Freunden JJ genannt. Ich hoffe, Sie nehmen mir meinen kleinen Schwindel nicht übel. Natürlich habe ich Sie selbst angerufen. Ich wollte Ihre Reaktion testen.“

      Vivian entspannte sich unwillkürlich. Dies war ein Test gewesen, nichts weiter, und dies war auch ein Gebiet, auf dem sie sich auskannte. „Ich hätte vielleicht darauf vorbereitet sein sollen, immerhin ist das ein Vorstellungsgespräch“, konterte sie. Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb.

      „Ich habe Ihre Unterlagen gesehen, Miss – Scarborough. Oder wäre Ihnen Lady Vivian lieber?“

      „Gott bewahre!“ Sie machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich lege keinen Wert darauf, den Titel wie einen Schutzschirm vor mir her zu tragen.“

      „Eine lobenswerte Eigenschaft.“ Unbemerkt war ein Mann ins Zimmer getreten. Er war hochgewachsen, schlank und wirkte sportlich. Braunes lockiges Haar lag etwas wirr um seinen wohlgeformten Kopf, spöttische braune Augen ruhten auf Vivian, als er sich jetzt lässig gegen die Tür lehnte und sie damit schloss.

      „Dein Vorgehen ist etwas unorthodox, wie fast immer“, rügte Professor Johnson, lächelte aber. „Verzeihen Sie ihm bitte, er ist unser Chef-Psychologe, wenn Sie so wollen – Damian Amberwood.“

      Er stieß sich von der Tür ab und kam mit geschmeidigen Bewegungen auf Vivian zu. Unwillkürlich fragte sie sich, wie es wohl wäre, von diesen schlanken, kräftigen Händen berührt zu werden. Gleich darauf schalt sie sich eine Närrin. Was dachte sie denn da? Sie sah diesen Mann zum ersten Mal in ihrem Leben, und sie fühlte sich seltsam von ihm angezogen – nein, das war ganz und gar unmöglich. Doch als er ihre Hand in die seine nahm, war es wie eine elektrische Entladung.

      Damian tat, als habe er ihre Verwirrung nicht bemerkt. Er musterte sie spöttisch und neugierig.

      „Eigentlich hatte ich mir unsere neue Mitarbeiterin anders vorgestellt. Nach den Berichten von Jennifer hatte ich Sie für ...“

      „... einen Blaustrumpf gehalten?“, spottete Vivian nun. „Es ist nun einmal mein schreckliches Los, dass Geist und Schönheit miteinander wetteifern.“ Ihre sarkastischen Worte tropften zu Boden wie kleine Donnerschläge.

      Damian nickte vollkommen ernsthaft. „Ja, das stelle ich mir auch schrecklich vor. Aber ich kann Ihnen versichern, Sie sind hier in besten Händen.“

      Vivian glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Das war ja mal eine sehr seltsame Art von Vorstellungsgespräch. Aber irgendwo begann die Sache ihr Spaß zu machen.

      „Erzählen Sie das allen Ihren Patienten? Das muss sehr beruhigend für sie sein“, konterte sie also.

      „Selbstverständlich. Und mir selbst – jeden Morgen im Spiegel.“ Die Spannung zwischen den drei Personen löste sich plötzlich in einem befreiten Gelächter. Wenig später wurde die Unterhaltung dann wieder ernsthaft, doch Vivian hatte nicht eine Sekunde lang mehr das Gefühl einer Prüfung unterzogen zu werden.

      Schließlich aber legte Professor Johnson abschließend beide Hände auf die leere Schreibtischplatte und stand auf.

      „Ich glaube, Damian, wir sind uns einig. Vivian, wir möchten Sie gerne einstellen. Ihre Doktorarbeit erfordert es doch sicher nicht, dass Sie noch ständig an der Uni sind? Wann also könnten Sie anfangen? Und sollten Sie Hilfe brauchen, sind wir hier selbstverständlich jederzeit gern dazu bereit ...“

      „Nein, danke, Professor, meine Arbeit schreibe ich allein“, wehrte Vivian das gutgemeinte Angebot ab. „Aber wenn Sie Wert darauf legen, dass ich schnell anfange – nun, am nächsten Ersten, wenn es Ihnen recht ist, also in zwei Wochen.“

      „Dann ist das also abgemacht. Und bitte, Vivian, sagen Sie nie wieder Professor zu mir, das macht mich hundert Jahre älter. Ich heiße Jennifer.“ Sie erhob sich und warf einen Blick zur Uhr. „Ich habe noch einen Termin. Damian, kümmerst du dich noch ein wenig um unsere Neuerwerbung? Ich bin sicher, ihr werdet euch gut verstehen.“

      Wie ein Wirbelwind verschwand sie aus dem Büro und ließ die beiden jungen Menschen zurück.

      „Jenny nimmt manche Dinge sehr selbstverständlich“, lächelte Damian. „Aber ich kann nicht sagen, dass ich diesen Auftrag unangenehm finde. Kommen Sie, Vivian, ich führe Sie ein wenig herum, und Sie erzählen mir ein bisschen über sich selbst. Ich habe schon immer mal wissen wollen, wie man in einem Schloss lebt.“ Seine unkonventionelle, fröhliche Art, aber auch sein stets etwas provozierender Tonfall ließen Vivian einen spontanen Vorschlag machen.

      „Warum begleiten Sie mich dann nicht am Wochenende nach Castle Ferristeen? Mein Vater wünscht meine Schwester und mich zu sehen – und nichts wäre ihm lieber als zu entdecken, dass ich endlich einem Mann mehr als eine Ohrfeige widme.“

      „Ich wette, Sie haben noch nie in Ihrem Leben eine Ohrfeige ausgeteilt. Sie sind eine notorische Lügnerin, Vivian, und das ist ein gefährlicher Zustand“, rügte er scherzhaft.

      „Das ist eine pathologische Diagnose, für die Sie keinen Beweis haben. Mein Angebot bleibt trotzdem bestehen. Ich möchte nicht gern mit meiner Schwester und ihrem – augenblicklichen Freund zusammentreffen, wenn ich allein bin.“

      Er runzelte die Stirn. „Verstehen Sie sich nicht mit Ihrer Schwester? Ist der Altersunterschied zu groß?“

      „Unbedingt, Herr Doktor, ganze zehn Minuten. Wir sind Zwillinge.“ Damit hatte sie ihn so verblüfft, dass er für einen Augenblick nicht kontern konnte. Schließlich aber lächelte er, gewinnend, offen, sympathisch.

      „Ich nehme Ihre Einladung gerne an. Und ich gestehe, ich bin wahnsinnig neugierig.“

      Wenn er gewusst hätte, was ihm an diesem Wochenende bevorstand, hätte er vielleicht seiner Neugier nicht nachgegeben. Doch ihm war es ähnlich ergangen wie Vivian auch. Er hatte die junge bildhübsche Frau gesehen und sich augenblicklich gewünscht, sie in die Arme nehmen zu dürfen. Vielleicht nicht sehr professionell für einen Psychologen, aber durchaus verständlich für einen Mann angesichts von Vivians Schönheit. Und nun ein ganzes Wochenende mit ihr – auf Castle Ferristeen.

      Damian war wirklich neugierig. Um die Nähe der jungen Frau an diesem Tag noch länger zu genießen, dehnte er den Rundgang ziemlich lange aus – und Vivian schien nichts dagegen zu haben.

      2

      Lord Kenneth of Ferristeen schloss das Buch, in dem er gelesen hatte. Wieder einmal war seine Suche vergeblich gewesen. Schon seit vielen Jahren versuchte er, die Geschichte des wohl berühmtesten, aber auch schlimmsten aller Erbstücke zu erforschen. Der Diamant von hundert Karat, seit fast 180 Jahren im Besitz seiner Familie war ein Gegenstand, der dem Geschlecht derer von Ferristeen bisher nicht viel Glück gebracht hatte. Viele seiner Vorfahren waren nach relativ kurzer Zeit in bewusstem Besitz des Edelsteins gestorben. Nur er selbst hatte diese Serie durchbrochen, wobei ihm nicht ganz klar war, wie das hatte geschehen können. Vielleicht gab es jedoch auch gar keinen Fluch, und der frühzeitige Tod seiner Ahnen beruhte wirklich in jedem Fall auf Zufall. Lord Kenneth war jedoch weit davon entfernt an Zufälle zu glauben. Nach allem, was er bisher hatte ermitteln können, waren es bis auf einen Fall immer die männlichen Mitglieder seiner Familie gewesen, die ein früher Tod ereilt hatte – eben bis auf Lady Margaret,