Ihr Chef, aber er weiß, wo seine Grenzen liegen.“
Sinclair hatte als Antwort darauf nur wieder irre gelacht. In diesem Moment erreichte Maggie festen Boden unter den Füßen.
„Ich bin unten. Und wie soll es jetzt weitergehen?“, fragte sie.
„Hören Sie einfach endlich auf Fragen zu stellen“, knurrte Sinclair.
„Oh, Sie können mich doch nicht einfach entführen. Ich denke, da steht mir schon eine Erklärung zu“, erklärte sie mit verblüffender Logik.
„Haben Sie es denn immer noch nicht verstanden? Ich bin derjenige, der die dritte Schachfigur hat. Und außerdem bin ich der Halbbruder von George Felton. Er hat mir die Rechte auf Clarion Manors verweigert. Ich werde sie mir jetzt nehmen.“
„Aber was habe ich damit zu tun?“
„Sie haben eine der Schachfiguren. Und außerdem liebt George Sie. Ich will ihm nehmen, was ihm gehört. Das ist alles.“
„Ich gehöre niemanden, schon gar nicht George Felton. Sie tun mir weh, nicht ihm.“
In Maggie überschlugen sich die Gedanken, während sie diese Worte hervorstieß. Das waren ja furchtbare Eröffnungen. Und wie mochte es Felton ergehen? Sie hoffte, dass er nicht schon tot war.
Sinclair nestelte an seiner Kleidung herum und holte eine Taschenlampe hervor. Er leuchtete irgendwo in die Dunkelheit hinein.
„Da lang!“, befahl er barsch.
Maggie tat, was er sagte, aber nachdem sie sich einige Schritte vorangetastet hatte, hielt sie die Zeit für gekommen. Mit ausgestreckter Handkante, wie sie es mal im Fernseher gesehen hatte, wirbelte sie herum, hatte sich aber gründlich verschätzt. Statt den Mann am Hals zu treffen, gelangte sie zu seinem Kopf. Sinclair war für einen Moment überrascht, doch er reagierte ungeheuer schnell. Er griff nach Maggies Arm, verdrehte ihn schmerzhaft, zog sie so an sich heran und schlug sie dann kurzerhand bewusstlos.
28
Kevin lief wie ein gefangener Tiger im Käfig hin und her. Er befand sich mit dem Inspektor in der Bibliothek, und der Kriminalbeamte hatte darauf bestanden, zumindest in Bruchstücken informiert zu werden.
Wie durch ein Wunder war die Bücherei durch den Brand nur wenig in Mitleidenschaft gezogen worden. Es hätte Kevin betrübt, wenn die teilweise unersetzlichen Schätze dem Feuer zum Opfer gefallen wären.
Glenbright starrte ihn nun auffordernd an.
„So, Doktor, wo sind nun Ihre ominösen Geheimgänge. Scheinbar kennen Sie sich hier gut genug aus, um mir wenigstens einen zu zeigen.“
„Sie können sich Ihren Sarkasmus sparen“, fauchte Kevin.
Er räumte aber doch das Regal aus und klappte die miteinander verbundenen Bücher nach vorne. Die Wand schwang sich zur Seite. Inspektor Glenbright sprang erregt auf. Er hatte es bis zu diesem Zeitpunkt einfach nicht glauben wollen, doch jetzt sah er es mit eigenen Augen.
„Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt?“, tobte er plötzlich. „Es scheint mir fast so, als ginge hier noch einiges vor, von dem ich nichts weiß.“
„Nicht alles ist wichtig für die Polizei“, meinte Kevin trocken.
Der Inspektor stolperte plötzlich über das Kaminbesteck. Mitsamt dem schweren Schürhaken fiel er gegen das Regal, hielt sich aber aufrecht. Das schwere Metall schlug jedoch eine kräftige Macke in das Regal, erschreckt starrte er auf das Malheur. Und dann wurden seien Augen groß und immer größer.
„Das sieht aber merkwürdig aus. Das ist doch kein Holz.“
„Das spielt doch jetzt überhaupt keine Rolle, Inspektor. Nach dem Brand kommt es auf eine kleine Macke mehr hier auch nicht an.“
Glenbright zog wieder mal die Augenbrauen hoch. „Kleine Macke?“, echote er mit einem seltsamen Tonfall. „Sie sollten sich das hier mal näher ansehen. Ich weiß ja nicht genau, worum es bei ihrer Suche nach einer Geheimtür wirklich gegangen ist. Aber könnte es sein, dass Sie genau das hier gesucht haben?“
„Wer hat Ihnen denn erzählt, dass wir Geheimgänge...?“ Kevin brach plötzlich ab. Sein Blick war jetzt ebenfalls auf die Absplitterung gefallen, und auch seine Augen wurden groß. Dann fing er schließlich an zu lachen, fasste sich an Kopf und schlug mit der Faust gegen die Wand.
Der Inspektor sah das Verhalten mit Befremden. Aber dann glitt ein Lächeln über sein zerfurchtes Gesicht.
„Kann es sein, dass Sie genau das hier gesucht haben? Ich denke, Sie haben mir da eine sehr lange Geschichte zu erzählen, Doktor.“
„Vielleicht sollte ich das tun. Trotzdem sollten jetzt zuerst nach Maggie suchen, es ist durchaus möglich, dass sie hier unten zu finden ist. Eine lange Geschichte kann noch warten, die läuft uns nicht weg.“
„Da gebe ich Ihnen recht. Also kommen Sie!“
Kevin besaß immer noch eine kleine Taschenlampe, und damit leuchtete er voraus. Der Inspektor folgte ihm, doch plötzlich hielt er inne, zog Kevin am Arm, stand da und lauschte.
„Hören Sie nichts?“
Auch der Arzt verharrte in der Bewegung. Er schien taumelnde Schritte zu hören und wurde ganz aufgeregt.
„Maggie!“, brüllte er. „Maggie, bist du da?“
Doch statt der erwarteten hellen Stimme der geliebten Frau erklang von weiter voraus der sonst so sanfte Bariton Felton. Allerdings klang die Stimme erschöpft und bedrückt.
Wenig später hatte der Tierarzt George Felton erreicht, aber der Anblick, der sich ihm bot, war eher erschreckend. Der Gutsherr sah total verdreckt und blutig aus. Seine Lippen waren rissig und aufgebissen, und die Augen schwarz umrandet, als habe er das Grauen gesehen. Er taumelte mehr, als er ging und ließ sich willig von den beiden Männern stützen.
„Wo ist Maggie? Ist sie bei Ihnen?“, drängte Kevin, und Felton blickte ihn plötzlich mit neu erwachtem Entsetzen an.
„Nein“, krächzte er. „Ich weiß nicht, wo sie ist. Aber wenn sie verschwunden ist, dann hat Sinclair sie.“
29
Als Maggie erwachte, war ihr furchtbar kalt. Und als sich ihr Kopf und ihre Erinnerungen klärten, stellte sie rasch fest, warum das so war. Sie befand sich in einer niedrigen, halbdunklen Höhle. Um sie herum war nur raues Gestein, und von irgendwoher klang das Rauschen des Meeres an ihre Ohren. Ein schmaler Lichtstreifen fiel