Jan Gardemann

Mitternachts-Thriller Sammelband 4001 - Vier Romane um Liebe und Geheimnis Juli 2019


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du?"

      "Von diesen ganzen Schnorrern, die seine Burg bevölkern. Bei manchen mag es sich ja um echte Freunde handeln oder um Leute aus der Musikbranche, die er zu diesem Fest eingeladen hat. Aber ich habe mich ein bisschen umgehört. Andere scheinen hier mehr oder minder ihren zweiten Wohnsitz zu haben ..."

      "Vielleicht fühlt er sich einsam."

      "Robert Clayton?"

      "Warum nicht?"

      "Das wäre eine Erklärung ... Ich würde mich jedenfalls nicht so ausnutzen lassen ..."

      "Ich glaube nicht, dass er das so empfindet, Jim!"

      "Wie auch immer. Ich hatte übrigens vor diesem Ted McRory auf den Zahn fühlen, aber ..."

      "Aber was?"

      "Er war plötzlich verschwunden. Ich konnte ihn nirgendwo auftreiben ..."

      Ich sah ihn an. Er hatte Ringe unter den strahlend blauen Augen und ich sah vermutlich nicht besser aus. Es war ein anstrengender Tag gewesen.

      "Gute Nacht, Jim", sagte ich.

      "Gute Nacht."

      11

      Ich schlief schlecht in jener Nacht.

      Immer wieder wurde ich von einem furchtbaren Alptraum heimgesucht. Verbissen sah ich zwei Ritter im Kettenhemd, Harnisch und mit heruntergelassenen Visieren miteinander kämpfen. Die geradezu monströsen Beidhänder-Schwerter wurden mit voller Wucht gegeneinandergeschlagen, und die Kämpfer taumelten mehr als einmal beinahe zu Boden. Dumpf war das Keuchen unter ihren Helmen zu hören.

      Flammen loderten und erhellten die Nacht.

      Und dann sah ich das Gesicht Joannes.

      Weit aufgerissen waren die Augen, und sie schrie.

      "Nein!"

      Ich erwachte und der Puls schlug mir bis zum Hals. Es dauerte etwas, ehe sich mein Atem wieder einigermaßen beruhigt hatte.

      Ich schlug die Decke zur Seite und stand auf.

      Draußen trieb ein kräftiger Wind die Wolken vor sich her.

      Ab und zu kam der Mond als große runde Scheibe zum Vorschein, deren fahles Licht durch die hohen Fenster in mein Zimmer hineinleuchtete.

      Barfuß und lautlos ging ich über den kalten Steinboden und erreichte schließlich eines der Fenster. Ich hatte Gefühl, unbedingt frische Luft zu brauchen und öffnete es. Ein kühler Hauch blies mir entgegen und fuhr mir durch das schulterlange Haar.

      In der Ferne sah ich Mornsley Castle, jenen verwunschenen Ort, über den man sich in der Gegend Geschichten erzählte.

      Der Traum kam mir wieder in Erinnerung.

      Schlaglichtartig tauchten die Bilder wieder vor meinem inneren Auge auf. Ich hatte sofort gewusst, dass es einer jener Träume gewesen war, die mit meiner Gabe zusammenhingen.

      Ich wusste ihn nur nicht zu deuten.

      Alles war so verworren ...

      Und dann sah ich im Licht des Mondes eine Gestalt im Burghof. Nur als schattenhafter Umriss war sie zu erkennen.

      Wie in Trance ging sie daher und einen Augenblick später war sie verschwunden.

      Verzweifelt versuchte ich, sie wiederzufinden.

      Vielleicht spielen deine überreizten Nerven dir einen Streich!, ging es mir durch den Kopf. Aber ich glaubte nicht daran.

      Als ich mich vom Fester abwandte, hatte ich plötzlich eine Vision.

      Ich sah die etwas schrill gekleidete rothaarige Frau, mit der Jim sich lange unterhalten hatte vor meinem inneren Auge.

      Das Gesicht war von blankem Entsetzen gezeichnet ...

      Kaum den Bruchteil einer Sekunde sah ich dieses Gesicht vor mir, aber es hatte mich zutiefst erschrocken.

      Es wird etwas geschehen ...

      Ich hatte ein ähnlich beklemmendes Gefühl wie kurz vor jener Geistererscheinung, die McRory durch sein Beschwörungsritual herbeigeführt hatte.

      Ich legte mich zurück ins Bett und lag noch lange wach, ehe ich endlich in einen traumlosen, wenngleich unruhigen Schlaf fiel.

      12

      Die Gestalt schwebte durch den Flur. Sie war transparent.

      Joannes Gesicht war ebenmäßig und schön, aber in ihren blauen Augen leuchtete der Hass.

      Zielstrebig ging es die langen Korridore entlang.

      "Verflucht seien diese modrigen Mauern und alle die in ihnen wohnen!"

      Ihr Mund bewegte sich nicht.

      Ihre Hände waren geöffnet, die Arme ausgestreckt.

      "Wehe Euch!"

      Der Gedanke an Rache schüttelte sie und war gleichzeitig ihre Antriebsfeder. Rache ...

      So lange hatte sie darauf warten müssen ...

      So lange ...

      Und nun!

      Irgendetwas – eine Kraft, die sie nicht verstand – hatte sie dem Nebel der Zeit entrissen. Und jetzt war sie hier, in diesen verfluchten Mauern ...

      Auf Gilford Castle, wo sie eine Gefangene gewesen war.

      Dort, wo jener Mann residiert hatte, der alles zerstörte.

      Alles, was ihr etwas bedeutet hatte. Tiefer Grimm leuchtete aus ihren Augen. Und der Wunsch, zu töten.

      Sie erreichte eine Tür.

      Sie bedeutete kein Hindernis für sie. Ihre transparente Gestalt, die sich in manchen Moment beinahe völlig aufzulösen schien, schwebte einfach durch das massive Ebenholz hindurch, aus der die Tür gefertigt war.

      Und dann ...

      Joanne nahm all ihre Kraft zusammen. Sie fühlte, wie sie tiefer sank und schließlich mit den Füßen den kalten Steinboden berührte.

      Ja, sie konnte sie sogar fühlen, diese Kälte!

      Joanne erschauerte kurz unter dieser Empfindung.

      Sie blickte auf ihren Arm, sah, wie er mehr und mehr materialisierte. Schließlich war er nicht mehr transparent, sondern schien aus so realem Fleisch zu bestehen, wie es bei jedem gewöhnlichen Menschen der Fall gewesen wäre. Joanne