A. F. Morland

Wahre Wunder geschehen manchmal: Arztroman Sammelband 4 Romane


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wahnsinnig geltungsbedürftig. Ich weiß nicht, wann er begreifen wird, dass im Leben andere Werte zählen. Er ist noch so schrecklich oberflächlich und unvernünftig! Dabei könnte mein Mann ihn so gut in der Firma brauchen. Er hat ihm ein schönes Büro eingerichtet, aber Matthias betritt es nur mit großem Widerwillen. Er will frei sein, will sich nicht einsperren lassen, hasst geregelte Arbeitszeiten, frönt lieber dem süßen Nichtstun und lässt seinen Vater das Geld verdienen, das er nicht zu schätzen weiß, aber mit vollen Händen ausgibt.“

      Matthias Wylander war kein Einzelfall. Viele Söhne reicher Väter lebten wie er. Und sie gaben ihren Eltern die Schuld daran, dass sie so waren.

      Dabei wäre es gerade bei den Wylanders sehr wichtig gewesen, dass der Sohn den Vater arbeitsmäßig etwas entlastet hätte, denn Jan Wylander hatte vor einem Vierteljahr einen Herzinfarkt gehabt und hätte einen Gang zurückschalten müssen.

      Auf diesen Infarkt kam Bibiane Wylander nun zu sprechen. „Jan hat ihn relativ gut überstanden“, sagte sie.

      „Ihr Mann hatte Glück“, stimmte Dr. Härtling ihr zu. „Der Infarkt verlief nicht allzu schwer.“

      „Dafür danke ich jeden Tag dem Himmel“ , seufzte die Patientin. „Wie Sie wissen, war er nach dem Krankenhausaufenthalt in einem Rehabilitationszentrum. Das hat ihm sehr gutgetan. Man hat ihn dort zunehmend sportlich belastet.“

      „Es ist sehr wichtig, dass man das tut“, sagte der Klinikchef. „Das Herz ist ein Muskel. Und sollen Muskeln gute Arbeit leisten, muss man sie trainieren.“

      „Die Ärzte bezeichneten meinen Mann als weitgehend gesund, als sie ihn nach Hause schickten.“

      „Hat er seine Lebensgewohnheiten denn geändert?“, fragte Sören Härtling.

      „Ja, aber leider nicht in dem Ausmaß, wie es wünschenswert wäre.“

      „Wenn Ihr Mann nicht genug auf seine Gesundheit achtet, müssen Sie es für ihn tun“, empfahl Sören der Patientin.

      „Das tue ich, so gut ich kann, und deshalb möchte ich Sie auch noch etwas fragen, Herr Doktor.“

      „Nur zu“. Sören lächelte aufmunternd. Bibiane Wylander senkte den Blick. „Ich bin Mitte vierzig, mein Mann ist neunundvierzig ... Früher war man da schon alt, aber heute ... Ich fühle mich noch nicht alt... Es geht mir körperlich sehr gut... Ich treibe regelmäßig Sport ... dass ich mit einer Zwanzigjährigen nicht mithalten kann, ist mir klar, aber diesen Ehrgeiz habe ich auch gar nicht ... Ich lebe dieses Leben bewusst und mit Vernunft ... Aber da ist etwas, das ich vermisse ...“

      „Was?“, fragte Sören.

      „Nun ja, Jan und ich haben aus Liebe geheiratet, und wir lieben uns noch immer. Und wenn eine Ehe glücklich und intakt ist, gehört es dazu ...“

      „Ich verstehe“, sagte Dr. Härtling.

      „Seit dem Herzinfarkt meines Mannes wagen wir nicht mehr miteinander zu schlafen. Wir haben kein Intimleben mehr.“

      „Sie brauchen nicht darauf zu verzichten“, erklärte Sören Härtling.

      „Wir wissen nicht, wie wir uns verhalten sollen, das ist das Problem, Dr. Härtling. Wir wollen nicht riskieren, dass ...“

      „Ihre Angst ist unbegründet, Frau Wylander“, sagte der Klinikchef.

      Bibiane Wylander sah ihn unsicher an. „Wirklich?“

      „Neuere wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass Herzinfarkte bei sexueller Liebe nur sehr selten auftreten. Ihr Mann hat das Trainingsprogramm im Rehabilitationszentrum konsequent mitgemacht...“

      Bibiane Wylander nickte fest. „Wenn Jan etwas tut, tut er’s ganz.“

      „Jetzt sollte er sich einer sogenannten Herzgruppe anschließen. Die gibt es in fast jeder Stadt.“

      „Und was geschieht dort?“, wollte die Patientin wissen.

      „Man macht Männer und Frauen durch regelmäßiges Ausdauertraining fit und stärkt ihre Psyche. Dadurch werden die seelischen Folgen der Krankheit, unter denen vor allem Männer besonders leiden, rascher überwunden.“

      „Und unser Liebesleben?“, fragte Bibiane Wylander zaghaft.

      „Das kann wie immer verlaufen“, antwortete Dr. Härtling.

      „Wir brauchen also keine Angst zu haben ...“

      „Nun, einige wenige Dinge sollte man schon beachten, Frau Wylander“, entgegnete Dr. Härtling. „Damit der Organismus nicht doppelt belastet wird, sollte man nach opulenten Mahlzeiten, starkem Alkoholkonsum, starker Ermüdung oder unter Zeitdruck auf sexuelle Aktivitäten verzichten. Wenn Sie und Ihr Mann sich daran halten, können Sie die körperliche Liebe noch sehr lange ohne Reue miteinander genießen.“

      „Danke, Herr Doktor. Ich bin sehr froh, dieses Gespräch mit Ihnen geführt zu haben.“ Die Patientin sah angelegentlich auf ihre Hände. „Anfangs war es mir etwas peinlich ...“

      „ Ich bin Ihr Arzt, Frau Wylander“, sagte der Klinikchef. „Vor mir braucht Ihnen nichts peinlich zu sein.“

      Sie wiegte den Kopf. „Na ja, das ist schon richtig, aber man hat eben doch so seine gewissen Hemmungen, die man nicht so leicht ablegen kann. Es steckt zu tief in einem drin.“

      Nachdem die Patientin gegangen war, begab sich Sören Härtling in sein Büro, sichtete ein paar handschriftliche Notizen und sprach dann zwei Krankengeschichten auf Band, die Moni Wolfram, seine Sekretärin, am Nachmittag abtippen sollte.

      2

      „Wird der Herr Doktor pünktlich heimkommen?“, erkundigte sich Ottilie, die Haushälterin der Härtlings.

      „Ich denke schon“, antwortete Jana Härtling. „Mein Mann hätte angerufen, wenn er etwas länger in der Klinik bleiben müsste.“

      Fleisch-Gemüse-Spieße mit Risotto stand als Hauptgericht auf dem Menüplan. Davor gab es klare Rindfleischsuppe, danach Aprikosenkuchen mit Mandelkruste.

      Im Wohnzimmer kabbelten sich, wie immer, konnte man fast sagen, die nun zehnjährige Josee und der vierzehnjährige Tom. Die Zwillinge Dana und Ben würden erst am Abend nach Hause kommen.

      „Ich spiel’ da nicht mit“, sagte Tom und schüttelte energisch den Kopf.

      „Warum nicht?“, wollte Josee leicht gereizt wissen.

      „Weil das Blödsinn ist. Damit kommst du nie und nimmer durch.“

      „Warum bist du so stur?“

      „Seit du auf der Welt bist, sagen alle Josee zu dir, und plötzlich möchtest du Jana heißen. Das klappt nicht.“

      Josee sah ihren Bruder trotzig an. „Ich heiße Jana!“

      „Aber du wirst Josee gerufen“, entgegnete der ältere Bruder trocken.

      Josee rümpfte die Nase. „Ich finde diesen Namen kindisch.“

      „Du bist ja noch ein Kind.“

      „Ich bin schon zehn! Mutti heißt auch Jana, und keiner sagt Josee zu ihr.“

      „Ich