entfernt. Castle konnte weiter nichts tun, als so langsam wie möglich zu fahren. Immer wieder flog sein Blick zum Seitenspiegel. Noch nichts zu sehen von dem Chaoten.
„Hey!‟, rief sein Partner plötzlich. „Was macht die Pappnase denn da! Halt mal an!‟
Castle blickte durch die Windschutzscheibe. Ein vollgepackter Einkaufswagen rollte auf seinen Streifenwagen zu. Zwischen den parkenden Wagen huschte ein Mann in schwarzen Mantel davon.
Miler kletterte umständlich aus dem Wagen.
„Bleib stehen, du Arschloch!‟ Doch der Fremde war schon hinter der Ecke zur 9th Avenue verschwunden. Castle sah, wie Miler zu dem Einkaufswagen schaukelte. Er drehte sich um. „Der Penner von heute Vormittag ...‟
Dann war das Leben des Sergeant Roger Castle zu Ende. Und das Leben des Officers Kenneth Miler. Und das Leben vieler Menschen, die sich in diesem Augenblick zufällig an der Ecke 9th Avenue, 28. Straße aufhielten. Die meisten hörten nicht einmal mehr die ohrenbetäubende Detonation, bevor sie starben ...
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Der Big Apple war wie gelähmt. Die Presse schrie auf, die Fernsehsender überboten sich mit Sondersendungen. In den Straßen schlichen die Menschen mit gesenkten Köpfen und hochgezogenen Schultern aneinander vorbei. Selbst der Verkehr schien langsamer zu rollen am Tag nach dem verheerenden Bombenanschlag.
Elf Menschenleben hatte die Bombenexplosion gefordert. Über fünfzig Verletzte lagen noch in den Krankenhäusern der Stadt. Sieben von ihnen kämpften mit dem Tod.
Sämtliche Cops waren auf den Beinen. Wer Urlaub hatte, wurde von seiner Dienststelle zurückbeordert. Unsere gesamte FBI-Mannschaft war auf den Beinen.
Keine größere Kreuzung in der Stadt, an der nicht Kontrollen durchgeführt wurden. In den U-Bahn-Stationen griffen sich unsere Leute jeden Verdächtigen. Auf den Flughäfen gab es stundenlange Verspätungen, weil unsere Teams niemanden durch die Kontrollen ließen, ohne ihn genau inspiziert zu haben.
Anfangs brachte niemand den Namen Michael Valezki mit dem Anschlag in Verbindung. Erst als Milo und ich am späten Abend den Tatort erreichten, setzte sich die Erkenntnis durch, dass das Attentat auf das Konto der Wahnsinnigen ging, die Sharon und Valezki jagten.
Wir trafen ihn erst am nächsten Vormittag in seiner Wohnung an. Er wirkte bleich und eingefallen, als er uns die Tür öffnete. Schweigend ließ er uns hinein. Hinter ihm her gingen wir in sein Arbeitszimmer.
Sharon hockte auf einem Sofa und starrte Löcher in den Boden. Ihre Augen waren rotgerändert. In der Küche hantierte ein blondes Mädchen, dass ich noch nie gesehen hatte.
Valezki setzte sich stumm an seinen Zeichentisch und griff nach einem Stift.
„Die Bombe galt Mike ...?‟ Sharons Stimme klang leise. Ihre Augen flehten mich an, ihre Frage zu verneinen. Doch ich nickte. Sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen und schluchzte. „Diese Mörderbande ... diese verfluchte Mörderbande ...!‟
Scheinbar ungerührt widmete sich Valezki seiner Arbeit. Doch dann sprach er von selbst. Ohne von seinem Zeichenbrett aufzusehen. „Ich saß in dem Streifenwagen, den die Bombe zerfetzt hat. Kurz vor der Kreuzung bin ich noch mal ausgestiegen, weil ich etwas vergessen hatte ...‟
Mehr sagte er nicht.
Ich setzte mich neben Sharon und legte den Arm um sie. Sie weinte hemmungslos. Das blonde Mädchen kam mit einem Tablett ins Arbeitszimmer. Sie stellte Tassen und eine Kaffeekanne auf den Schreibtisch.
„Wer sind Sie, wenn ich fragen darf?‟, erkundigte Milo sich höflich.
„Das ist die Frau, die mir das Leben gerettet hat‟, erklärte Valezki trocken. Ich begriff nichts, wunderte mich nur, dass er nicht sein Lieblingswort bemühte – das Schicksal.
„Ich bring dich nach Hause, Sharon.‟ Ich streichelte ihren Rücken. „Du packst alles zusammen, was du dringend brauchst, und dann fahr ich dich in mein Apartment. Du darfst es nicht eher verlassen, als bis wir die Kerle gefasst haben.‟
„Könnten Sie eines Ihrer Zimmer ein wenig zusammenräumen?‟, sprach Milo den Künstler an. „Wir werden zwei Beamte bei Ihnen einquartieren.‟
Er nickte. Kein Widerspruch, und Milo und ich wechselten einen erstaunten Blick ...
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„Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen. Lob sei Gott, dem Herrn der Welten, dem Erbarmer ...‟
Raphael hatte keine Zeitung angerührt, keinen Fernsehapparat eingeschaltet. Er wollte nichts wissen. Nichts. Er wollte die Sache hinter sich bringen. So schnell wie möglich. Und dann weg aus dieser Stadt. Oder sterben ...
„... dem Barmherzigen, der Verfügungsgewalt besitzt über den Tag des Gerichts...‟
Zwischen Glastisch und schwarz-weißen Stahlrohrmöbeln hatte er sich auf den Teppich geworfen. Murmelnd verrichtete er sein Mittagsgebet. Auf dem Tisch lag eine CD-Hülle: Death can dance.
„... wir dienen Dir, und Dich bitten wir um Hilfe ...‟
Direkt vom Chelsea Park aus war er gestern Abend in diese Wohnung gegangen. Es war nicht schwer gewesen, das Türschloss zu knacken.
„... führe uns den geraden Weg ...‟
Er kannte nur den Nachnamen der Frau – Lewis. Ein Allerweltsname, selbst in London. Und er hatte eine Personenbeschreibung: Groß, stark gebaut, attraktiv, langes rotblondes Haar.
„... den Weg derer, die Du begnadet hast ...‟
Irgendwann musste sie kommen, irgendwann. Raphael würde warten.
„... die nicht dem Zorn verfallen und nicht irregehen ...‟
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„Entschuldige,