A. F. Morland

Mörder-Paket Juli 2020: 10 Krimis für den Strand: Sammelband 9015


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schüchtern — mit der Mütze in der Hand — an der Tür stehen. Er machte keinen besonders gesunden Eindruck. Sein Gesicht war zerfurcht wie ein frisch gepflügter Acker. Doch gegen die Runzeln der Alten verlor er jeden Vergleich.

      „Bedaure, Mr. Calder ist im Moment nicht da“, sagte Susan ablehnend.

      „Das ist doch ...“

      „Im Übrigen möchte ich Sie auf einen Irrtum aufmerksam machen: Ich bin nicht Mr. Calders Sekretärin, sondern seine Partnerin. Wenn Sie also ein Problemchen haben, können Sie’s auch mir anvertrauen.“

      Die Alte maß Susan mit ihren glitzernden Augen geringschätzig.

      „Sie sind seine Partnerin?“

      „Etwas dagegen?“

      „Ich habe mir sagen lassen, dass die Detektei Calder so erfolgreich ist.“

      „Sie können uns gern auf die Probe stellen.“

      Wieder schoss die Alte diesen geringschätzigen Blick auf Susan ab. Susan hätte Lust gehabt, die unleidliche Person aus dem Fenster zu werfen.

      „Ich kann mir schlecht vorstellen, dass mir halbe Kinder helfen können, kleines Fräulein.“

      „Sie können gern wieder gehen“, lächelte Susan die aufsässige Alte giftig an. „Dort ist die Tür. Vergessen Sie aber Ihren Chauffeur nicht! Wir haben nämlich keine Verwendung für ihn.“

      Der livrierte Hampelmann schien das ehrlich zu bedauern. Die Alte blies sich wütend auf. „Werden Sie ja nicht frech, meine Liebe! Ich könnte Ihre Mutter sein.“

      „Das wohl kaum“, lachte Susan Tucker. „Sie könnten höchstens meine Großmutter sein, und selbst das nicht. Meine Großmutter war nämlich eine herzensgute, liebenswerte Frau ...“

      Die Alte begann vor Zorn zu zittern.

      „Was fällt Ihnen ein, mich so zu beleidigen?“

      „Ich habe nicht den ersten Stein geworfen. Das waren Sie!“

      „Eine Unverschämtheit ...“

      „Wollen Sie mir nun endlich sagen, weshalb Sie hierhergekommen sind, oder haben Sie’s lieber, wenn ich rate?“

      Der Chauffeur grinste von einem Ohr zum anderen. Er gönnte seiner Chefin diesen Kampf. So hatte es ihr noch keiner gegeben. Jeder hatte bisher Angst vor ihrem Reichtum gehabt. Dieses quirlige Mädchen imponierte ihm. Sie war mutig und machte sich nichts aus dem Geld der Alten.

      Als Mary Scott den Chauffeur so schadenfroh grinsen sah, kreischte sie ihn mit der Lautstärke einer Kreissäge an.

      „Was gibt es da zu grinsen, James?“

      James erschrak. Das Grinsen fiel aus seinem Gesicht.

      „Nichts, Madam“, beeilte er sich zu betonen. „Gar nichts.“

      Mary Scott schoss wieder einen ihrer bösen Blicke auf Susan ab.

      „Sagen Sie, fühlen Sie sich denn in einem solchen kurzen Ding wohl?“ fragte die Alte und wies auf Susans Kleid. „Man kann ja fast alles sehen!"

      „Sie brauchen ja nicht hinzusehen“, erwiderte Susan schnippisch.

      „Zu meiner Zeit hätte man Sie gesteinigt, wenn Sie mit einem solchen Kleid auf die Straße gegangen wären.“

      „Zu Ihrer Zeit hat man noch mit Pfeil und Bogen geschossen und ist noch nicht auf den Mond geflogen. Heute tut man’s. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass es Ihrem Chauffeur gefällt, wenn er es auch in Ihrer Gegenwart nicht zugeben darf.“

      Mary Scott fuhr herum und blickte nach ihrem Leibeigenen. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Er hatte viel damit zu tun, ihn ohne gesundheitlichen Schaden zu verkraften.

      „Kommen wir zur Sache“, sagte Mary Scott endlich. Sie holte eine Puderdose aus der Handtasche und beschmierte sich das Gesicht so lange, bis sie aussah, als wäre sie in ein Mehlfass gefallen. „Wann kommt Mr. Calder?“, fragte sie, nachdem sie mit der Verunzierung fertig war.

      „Heute noch“, erwiderte Susan.

      „Geht’s nicht präziser?“, fragte Mrs. Scott unzufrieden.

      „Wenn es ginge, hätte ich’s gesagt.“

      Mary Scott wandte sich halb um und streckte den Arm nach dem Chauffeur aus.

      „James!“

      „Ja, Madam!“

      „Den Brief, James.“

      „Sehr wohl, Madam.“ James klemmte die Mütze unter den Arm, knöpfte flink seine Uniform auf und holte einen Briefumschlag hervor. Er gab ihn der ungeduldig wartenden Alten.

      „Bisschen mehr hätten Sie sich jedenfalls beeilen können, James“, fauchte die Giftspritze undankbar.

      Susan hatte absolut nichts gegen alte Leute. Aber dieser Ausbund an Hässlichkeit und Bosheit war ihr fast zu viel.

      Die Alte warf den Brief auf Susans Schreibtisch.

      „Das war heute Morgen bei der Morgenpost.“

      „Am Morgen wird es kaum die Abendpost gewesen sein“, gab Susan Tucker ätzend zurück.

      Mary Scott sog pfeifend die Luft durch die Nasenlöcher ein, während sie Susan mit ihrem Blick zu durchbohren versuchte. Doch Susan trug einen wirkungsvollen Panzer. Die Schrumpflady konnte ihr nicht das Geringste anhaben.

      „Es ist gar nicht so schön, wenn Sie so vorlaut sind, meine Liebe“, biss Mrs. Scott beleidigt.

      Ein Blick zum Chauffeur genügte Susan, um zu wissen, dass sie James ganz auf ihrer Seite hatte.

      Susan öffnete den Briefumschlag, nahm ein zusammengefaltetes Papier heraus und entfaltete es.

      Auf dem Kuvert hatte sie den Poststempel gelesen. Der Brief war in Boston aufgegeben worden.

      Nun weiteten sich erstaunt ihre Augen. Die wenigen Worte waren weder mit der Hand geschrieben, noch waren sie auf der Schreibmaschine getippt. Sie waren nicht gedruckt, und die Buchstaben waren auch nicht aus einer Zeitung ausgeschnitten und nebeneinander geklebt worden.

      Die wenigen Worte waren gestempelt. Die Person, die die Nachricht an Mrs. Mary Scott verfasst hatte, hatte sich einen Stempelsetzkasten gekauft und hatte den Text daraus zusammengesetzt.

      Susan las:

      Zahl oder stirb! Fünfzigtausend Dollar bereithalten. Keine Polizei. Keine Detektive. Nächste Nachricht abwarten.

      Susan las dieses gestempelte Telegramm noch einmal. Als sie das Blatt erstaunt sinken ließ, sagte Mrs. Scott: „Natürlich bin ich der festen Meinung, dass mir ein Verrückter diesen Brief geschickt hat. Aber die Sache beunruhigt mich doch ein wenig. Ich will ehrlich sein. Ich habe sogar Angst. Man liest von so vielen Verbrechen in den Zeitungen, dass einem ein solcher Brief einen gehörigen Schrecken einzujagen vermag.“

      Susan gab der Alten in diesem Punkt recht. Natürlich konnte sich ein Verrückter diesen schlechten Scherz mit der alten Frau gemacht haben. Andererseits war Mary Scott eine steinreiche Frau. Sie war also für eine Erpressung bestens geeignet.

      „Ich bin selbstverständlich nicht bereit, für nichts und wieder nichts fünfzigtausend Dollar aus dem Fenster zu werfen“, sagte Mary Scott, und ihrer entschlossenen Miene war es anzumerken, dass sie um ihr Geld kämpfen wollte, dass sie nicht die Absicht hatte, sich davon zu trennen. Auch in diesem Punkt hatte sie Susans vollstes Verständnis. „Wo kämen wir denn da hin, wenn das jeder tun würde“, sagte Mary Scott trotzig. Sie holte eine Packung Chesterfield aus ihrer Handtasche und begann zu rauchen.

      Die Zigarette zitterte zwischen ihren dünnen Fingern, deren stumpfe Nägel mit dem eben erst in Mode gekommenen schwarzen Nagellack verhässlicht worden waren.

      Susan