A. F. Morland

Mörder-Paket Juli 2020: 10 Krimis für den Strand: Sammelband 9015


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Aschenbecher hingeschoben hatte.

      „Billig seid ihr gerade nicht“, keifte die unleidliche Alte ärgerlich.

      „Ich gebe zu, zwanzig Pfund Tomaten sind billiger“, gab Susan ungerührt zurück.

      Mary Scott überlegte eine Weile. Dann dämpfte sie die Chesterfield im Aschenbecher ab, nahm Taschenspiegel und Lippenstift und zog die bleistiftstrichdünnen Lippen mit der Sorgfalt eines Grafikers nach, der an einer Reinzeichnung arbeitet. Hinterher sagte sie herablassend: „Na, meinetwegen. Ich sehe ein, dass auch Sie leben müssen.“

      „Mr. Calder wird sich über Ihre Einstellung mächtig freuen“, höhnte Susan.

      „Mr. Calder soll sofort zu mir kommen, wenn er hier eintrifft!“

      „Es wird ihm ein Vergnügen sein“, sagte Susan honigsüß zu der runzeligen Alten.

      „Notieren Sie meine Adresse!“

      Susan nahm einen Kugelschreiber zur Hand. Dann legte sie ihn wieder weg, nahm das Kuvert auf und winkte der Alten damit.

      „Sie wohnen Lake Shore Drive 1975, nicht wahr?“

      „Allerdings.“

      „Es steht auf dem Kuvert.“

      „Ach ja, natürlich.“

      Die Alte packte ihre Siebensachen und erhob sich. Ihr Gold klimperte wie Glocken auf dem Jahrmarkt. Dazu rasselten Perlenketten, während Diamanten in aller Stille vor sich hin funkelten.

      Mary Scott stelzte auf ihren dünnen Beinen zur Tür. Sie ärgerte sich mächtig darüber, dass James sich nicht von Susans attraktiven Beinen lösen konnte. Sie zischte ihm irgendetwas Wütendes zu, das Susan Tucker nicht verstehen konnte. Der livrierte Clown verlor sofort den Rest seiner ungesunden Gesichtsfarbe und verließ mit dem Drachen eilig das Büro.

      3

      Die Bar war offen und doch geschlossen. Vor dem offenen Eingang lehnte ein schräg gestellter alter Besen, um deutlich zu machen, dass Gäste um diese Zeit noch nicht erwünscht waren.

      Ein schwarzer Lincoln hielt vor dem Eingang der Bar.

      Pino Calva schälte sich aus dem Fahrzeug und marschierte mit schwerem Schritt zum Gehsteig.

      Calva war ein untersetzter Mann mit breiten Schultern und beinharten Muskeln unter dem Hemd. Er war von Beruf Gangsterboss. Das war er nicht immer gewesen. Er hatte ganz klein als Taschendieb angefangen und hatte sich so nach und nach hochgearbeitet. Eine Menge Einbrüche gingen auf sein Konto. Er saß mehrmals wegen Hehlerei und Rauschgiftbesitz, lernte im Knast die richtigen Leute kennen, machte schwarze Geschäfte mit gefälschten Benzinmarken und etablierte sich allmählich mit einigen Leuten im Süden von Chicago als gefürchteter böser Mann.

      Heute war Pino Calva wohlhabend und hatte seine Finger überall da drin, wo genug Profit heraussah. Die Arbeit verrichteten einige tüchtige Männer für ihn. Er hatte eine Reihe einflussreicher Leute auf seinen Schmierlisten stehen. Pino Calva konnte mit Recht behaupten, dass es ihm gutging. Ab und zu legte er auch mal selbst Hand an, wenn es ihm gerade Spaß machte.

      Deshalb war er mit seinen beiden baumlangen Gorillas hierhergekommen.

      Calva war fünfundvierzig. Sein Gesicht war mehr breit als hoch. Er hatte wulstige Lippen, sein Blick war energisch, die Augenbrauen buschig. Er ließ sich mit Vorliebe vom ersten Schneider dieser Stadt einkleiden. Das hatte den Vorteil, dass er trotz seiner stämmigen Figur elegant aussah und schlank wirkte. Auch für seinen Ballermann hatte der Schneider genügend Platz im Anzug vorgesehen, um keine hässliche Beule entstehen zu lassen.

      Die beiden Gorillas überragten ihren Boss um zwei ganze Köpfe. Trotzdem behauptete er immer, sie wären nicht größer als er, sondern nur länger.

      Die beiden waren ihm hündisch ergeben. Wenn er von ihnen verlangt hätte, sie sollten sich für ihn vom höchsten Gebäude Chicagos stürzen, dann hätten sie es getan. Sie waren eben gut dressiert.

      Nun traten sie an die offen stehende Tür und schleuderten den schräg gestellten Besen beiseite. Klappernd landete das altersschwache Ding, an dem so gut wie kein Haar mehr dran war, auf dem Parkettboden. In der Bar jagte eine dicke Putzfrau in alten Kleidern mit einer elektrischen Bodenbürste hinter dem Dreck her.

      Als sie die drei Männer hereinstampfen sah, stellte sie das laute Ding ab und kam mit giftigem Blick angeschoben.

      „Wir haben noch nicht auf“, zeterte sie und versprühte dabei eine Menge Speichel in der Gegend. „Haben Sie das nicht gesehen?“

      Die beiden Gorillas grinsten die Dicke amüsiert an. Pino Calva würdigte sie keines Blickes. Er sah sich interessiert im Lokal um.

      „Machen Sie, dass Sie ’rauskommen!“, schrie die Dicke wütend. „Sie versauen mir den ganzen Boden. Denken Sie, ich plage mich umsonst?“

      Die beiden Gorillas hörten auf die Namen Eddie Harvey und Ernie Walker. Sie blickten sich amüsiert an. Dann versetzte Ernie der Putzfrau unvermittelt einen derben Stoß. Die Dicke sauste zurück, stolperte, fiel zu Boden und blieb schreiend auf ihrem fetten Hintern sitzen.

      In diesem Moment zog Eddie blitzschnell seinen 45er Colt blank und richtete ihn auf die Schreiende. Die Dicke riss entsetzt die Augen auf und verstummte schlagartig.

      „Ist Rackin da?“, fragte Pino Calva eiskalt.

      Die Putzfrau wagte nicht, den Mund aufzumachen. Sie hatte Angst, der Gangster könnte dann abdrücken. Sie nickte nur.

      Im Hintergrund der Bar ging eine Tür auf. Ein Mann tauchte zwischen den Tischen auf, auf denen sich die umgedrehten Stühle türmten.

      „Was wollt ihr?“, fragte Daniel Rackin ärgerlich. „Lasst die Frau in Ruhe!“

      Ernie Walker ging zur Putzfrau. Sie hob ängstlich die Arme, als hätte sie Furcht, er würde sie schlagen. Der Gorilla packte sie fest und stellte sie mit einem Ruck wieder auf die kurzen Beine. Er machte das, als würde er eine Puppe aufstellen.

      „Nichts für ungut, Muttchen!“, grinste Ernie und tätschelte die schwabbelige Wange der bleichen Putzfrau.

      „Geh nach Hause, Muttchen“, sagte Eddie Harvey versöhnlich und steckte den Revolver weg. „Wir machen den Rest für dich.“

      Die Putzfrau wusste nicht, was sie tun sollte. Ängstlich blickte sie nach Daniel Rackin, und als dieser nickte, kam viel Bewegung in die fetten Massen der Frau. Sie lief zu einem Kleiderständer, fegte ihren leichten Mantel vom Haken, warf ihn sich ächzend über die Schultern und lief schnaubend zur Tür. Ohne sich noch einmal umzusehen, rannte sie nach draußen.

      Rackin, der Besitzer der Bar, war nun mit Calva und seinen Schlägern allein. Daniel Rackin wirkte mit seinem faltenlosen braunen Gesicht und dem jettschwarzen Haar jugendlich, obgleich er schon an die Fünfzig war. Er war überdurchschnittlich groß, jedoch nicht größer und auch nicht breitschultriger als Ernie und Eddie, die ihn jetzt hohntriefend angrinsten. Rackin trug einen schilfgrünen Anzug. dazu weiße Socken, ochsblutfarbene Schuhe und eine gelbe Krawatte. Ein gleichfarbenes Taschentuch steckte locker in der Brusttasche.

      Pino Calva grinste den näherkommenden Rackin feindselig an.

      „Na,