mit derartiger Wirkung identifiziert, unter anderem Hemmstoffe des Enzyms Monoamino-Oxidase (MAO), das für den Abbau von Dopamin im Gehirn verantwortlich ist. Demnach würde Nikotin die Freisetzung von Dopamin bewirken, während die mit dem Rauch inhalierten Hemmstoffe der MAO den Abbau von Dopamin blockieren und damit dessen Wirkung synergistisch verstärken [58-62]. Die MAO-Aktivität ist im Gehirn und peripheren Geweben von Raucherinnen und Rauchern signifikant vermindert und erreicht erst Wochen oder Monate nach dem Rauchstopp wieder den Spiegel nichtrauchender Kontrollgruppen [63-65]. Die sehr langsame Erholung der MAO-Aktivität könnte zeitverzögerte Rückfälle nach Rauchstopp ebenso erklären wie die Unzufriedenheit von Raucherinnen und Rauchern einige Wochen nach dem Umstieg auf nikotinhaltige E-Zigaretten ohne die wirkungsverstärkenden Substanzen im Tabakrauch. Depressive Erkrankungen sind mit hohen Raucherquoten assoziiert, und umgekehrt geht Raucherentwöhnung häufig mit depressiven Phasen einher [66-69]. Synthetische MAO-Inhibitoren sind zur Pharmakotherapie von Depressionen zugelassen (zum Beispiel Aurorix®) und Antidepressiva wie Buprion (Zyban®) oder Vareniclin (Champix®) zur medikamentösen Unterstützung der Raucherentwöhnung [70]. Die MAO-Hypothese erscheint daher sehr attraktiv, zu deren Bestätigung sind aber weiterführende Untersuchungen erforderlich. Bisher vorliegende Studien zur Wirksamkeit von MAO-Hemmern bei der Raucherentwöhnung waren nur eingeschränkt erfolgreich [71,72]. Möglicherweise liefert zukünftige Forschung alternative Erklärungen für das hohe Abhängigkeitspotential von Tabakrauch im Vergleich zu reinem Nikotin – und damit neue pharmakotherapeutische Möglichkeiten zur Unterstützung der Raucherentwöhnung [73].
Expertinnen und Experten in der Tabakkontrolle wissen, dass die biologischen Effekte der Rauchinhaltsstoffe nur eine Komponente der Zigarettenabhängigkeit darstellen. Eine weitere wesentliche Komponente ist die Gewöhnung an ein Rauchritual, die Konditionierung des Rauchverhaltens, wie das in der Fachsprache genannt wird. Die Öffnung der Zigarettenpackung, die Haptik der Zigarette in der Hand, das Anzünden, die Handzu-Mund Bewegung, und die Ausatmung des Rauchs sind über viele Jahre konditionierte Verhaltensmuster, von denen man sich nur sehr schwer trennt. Eine rauchende Kollegin, die meiner Empfehlung zum Umstieg auf E-Zigaretten nicht folgen wollte, hat das damit begründet, dass ihr das Abaschen der Zigarette im Aschenbecher fehlen würde. Ein Wiener Trafikant erzählte mir bei einer Veranstaltung, manche seiner Kunden würden bei der Benutzung von E-Zigaretten mit Mundstücken aus Kunststoff oder Metall die physische Beschaffenheit der Zigarettenfilter vermissen und deshalb den Tabakerhitzer IQOS (siehe 5.2) bevorzugen, bei dem ein solcher Filter als Mundstück dient.
Verhaltensabhängigkeit manifestiert sich also in individuell unterschiedlicher Ausprägung. Dass Verhaltensabhängigkeit wesentlich zur psychischen Abhängigkeit vom Zigarettenrauchen beiträgt, steht aber für Fachleute außer Zweifel. Daher sind psychotherapeutische Maßnahmen, vor allem Verhaltenstherapien, zentraler Bestandteil der medizinischen Raucherentwöhnung. Obwohl die körperlichen Symptome des Nikotinentzugs sehr rasch abklingen und spätestens nach einer Woche gänzlich verschwunden sind, scheitern Entwöhnungsversuche oft nach Monaten oder gar Jahren. Daher liegt die Vermutung nahe, dass der Gewöhnung an das Rauchverhalten deutlich größere Bedeutung zukommt als den substanzspezifischen Effekten von Nikotin und anderen Inhaltsstoffen des Tabakrauchs.
Damit sind wir beim wesentlichen Vorteil von E-Zigaretten gegenüber anderen nikotinhaltigen Produkten angelangt. E-Zigaretten erlauben die Beibehaltung des Rauchverhaltens (sofern man auf das Abaschen und den Zigarettenfilter als Mundstück verzichten kann). Eine Änderung des Verhaltens, das zentrale Ziel medizinischer Raucherentwöhnung, wird damit nicht erreicht. E-Zigaretten sollten daher nicht als Nicorette®, Version 2.0. betrachtet werden, sondern als um Größenordnungen weniger schädliche Alternativen zu Tabakzigaretten. Die Aufrechterhaltung des Rauchverhaltens ist jedoch ein zentrales Argument der Gegner, die nur vollständigen Verzicht mit entsprechender Verhaltensänderung als erfolgreiche Raucherentwöhnung akzeptieren. Dass Umsteiger aufgehört haben zu rauchen, ist in deren Augen anscheinend bedeutungslos.
Karl Fagerström, den wir bereits als Erfinder des nach ihm benannten Tests kennengelernt haben, war in den 1970er Jahren maßgeblich an der Entwicklung nikotinhaltiger Arzneimittel zur Behandlung der Nikotinsucht beteiligt. Sein Test fand als „Fagerströmtest für Nikotinabhängigkeit“ Eingang in die Literatur und wurde in hunderten einschlägigen Studien angewendet. Später hat Fagerström allerdings erkannt, dass sein Konzept der Nikotinsucht unhaltbar ist. Konsequenterweise hat er im Jahr 2012 in einer Fachpublikation seinen Test in „Fagerströmtest für Zigarettenabhängigkeit“ umbenannt [74]. In seiner Arbeit diskutiert Fagerström nicht nur die hier erwähnten Argumente, sondern zahlreiche weitere Befunde, die die Existenz klinisch bedeutsamer Nikotinsucht in Frage stellen. Wer meine Argumentation aus verständlichen Gründen mit Skepsis betrachtet, sollte die Ausführungen von Professor Fagerström lesen, der seit Jahrzehnten den inneren Kreisen der Tabakkontrolle angehört und als lebende Legende auf dem Gebiet von Nikotin- und Tabakabhängigkeit bezeichnet werden kann. Im Unterschied zu vielen anderen Vertretern der Tabakkontrolle hat er – wie man das von einem seriösen Wissenschaftler erwarten würde – seine Lieblingshypothese aufgrund der Fakten ad acta gelegt. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie Fagerström gelangten Hanan Frenk und Reuven Dar, die 2011 unter dem Titel If the Data Contradict the Theory, Throw Out the Data: Nicotine Addiction in the 2010 Report of the Surgeon General den Bericht über Nikotinsucht des Direktors des öffentlichen Gesundheitswesens der USA anhand der verfügbaren Fachliteratur heftig kritisierten [75]. In der Tabakkontrolle und im öffentlichen Gesundheitswesen ignoriert man die von Fagerström und anderen angeführten Fakten hartnäckig. In einem mit aller Vehemenz geführten Kampf gegen Tabak – der sich mittlerweile in einen Kampf gegen Nikotin verwandelt hat – beharrt man hartnäckig und faktenresistent auf dem angeblich mit Heroin vergleichbaren Suchtpotential von Nikotin.
Wie entwickelt sich die Abhängigkeit von Raucherinnen und Rauchern nach dem Umstieg auf E-Zigaretten? Aufgrund erheblicher individueller Unterschiede lässt sich diese Frage nicht allgemein gültig beantworten. Manche Umsteiger berichten von massiver Reduktion des „Suchtdrucks“ und problemloser Abstinenz für viele Stunden oder sogar Tage, die zuvor kaum erträglich war. Viele hören binnen einiger Monate auf zu dampfen und haben somit E-Zigaretten als Hilfsmittel für den Totalausstieg aus ihrem Inhalationsverhalten benutzt. Andere wiederum sind von ihren „Dampfen“ ebenso abhängig wie früher von Zigaretten und haben fast immer ein Gerät in Händen oder zumindest in Reichweite und beabsichtigen nicht, später einmal mit dem Dampfen aufzuhören. Die überwiegende Mehrheit ordnet sich wohl irgendwo in der Mitte zwischen diesen Extremen ein. Ähnlich heterogen wie die anekdotischen Erfahrungsberichte sind auch die Ergebnisse publizierter Studien, die allerdings mit einer Ausnahme auf ein deutlich niedrigeres Abhängigkeitspotential von E-Zigaretten hinweisen [76-79].
Ex-Raucherinnen und -Raucher, die auf das Dampfen umgestiegen sind, halten ihre Nikotinspiegel im Blut weitgehend aufrecht. Es besteht zwar die Tendenz zur Reduktion der Nikotinkonzentration der Liquids, was aber zumeist durch größere Mengen an täglich konsumiertem Liquid kompensiert wird [80]. Entgegen den soeben diskutierten Befunden ist diese offenbar unbewusste Einstellung eines langfristig konstanten Nikotin-Blutspiegels ein Hinweis auf Nikotinabhängigkeit von Umsteigern. Eine mögliche Erklärung wäre die Aufrechterhaltung konditionierter Zigarettenabhängigkeit durch Nikotin. Tatsächlich weisen Tierversuche daraufhin, dass Ratten, die experimentell von Tabakrauch abhängig gemacht wurden, danach signifikant stärkere Nikotinabhängigkeit und andere neuronale Nikotineffekte zeigen als Kontrolltiere [81,82]. Der konditionierende Effekt von Tabakrauch könnte auf Hemmung der Neubildung von Nervenzellen aus Stammzellen, der sogenannten Neurogenese, im Gehirnareal des Hippocampus beruhen [83]. Neurogenese und deren Hemmung bei depressiven Erkrankungen beziehungsweise Förderung durch Antidepressiva ist ein heißes und ausgesprochen kontroverses Thema aktueller Forschung [84,85]. Ein möglicher Zusammenhang von Neurogenese mit den antidepressiven Effekten von MAO-Hemmern im Tabakrauch und Zigarettenabhängigkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Sollten diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sein, würde man sich durch das Rauchen eine langfristige Nikotinabhängigkeit quasi anzüchten, während man als Nichtraucher bei Exposition mit Nikotin in Abwesenheit von Tabakrauch nicht abhängig wird. Leider lässt sich die Übertragbarkeit der Tierversuche auf den Menschen aus ethischen Gründen nur sehr eingeschränkt