Nicola Schmidt

Der Elternkompass


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jede Technik eine große Hilfe, die Stress im Körper reduziert. Das kann Bewegung sein, Meditation, ein Spaziergang in der Natur, aber auch ein gezieltes Programm wie die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR).

       Schwangere sollten nicht unter chronischem Stress stehen. Sie sollten weder von Armut bedroht noch in unsicheren sozialen Verhältnissen leben, sie sollten Stress am Arbeitsplatz meiden können und sozial unterstützt werden.

      Harte Drogen, auch in kleinsten Mengen, schaden dem ungeborenen Kind. Das ist klar. Auch zum Rauchen muss man ganz deutlich sagen, dass es das Kind unter »Sauerstoffmangel« setzt. Und selbst wenn es keine langfristigen Schäden davonträgt, ist das ein belastender Faktor. Der Mutterbauch sollte ein Ort der Sicherheit und Versorgung sein, keiner, an dem das Kind das Gefühl hat zu ersticken. Ob eine Tasse Kaffee am Tag dem Fötus schadet, ist völlig ungeklärt, nur die Obergrenzen sind klar formuliert: Acht große Tassen pro Tag sind definitiv zu viel.

      Auch ob es dem Fötus mehr schadet, wenn wir uns bei einem Glas Sekt einen riesigen Stress machen und ein schlechtes Gewissen bekommen oder wenn sich eine Schwangere »ein Gläschen hin und wieder« erlaubt, wird unterschiedlich bewertet. In Deutschland sagt man: »Besser nicht.« In Großbritannien zeigen Studien bei Kindern von Gelegenheitstrinkerinnen offenbar keine kognitiven Nachteile. Dennoch lautet mein Plädoyer: »Im Zweifel für das Ungeborene.« Und das bedeutet: »In doubt leave it out.« Oder: »Wenn du nicht sicher bist, lass es weg.« Es sind ja nur vierzig Wochen.

      DIE GEBURT

      »Hauptsache gesund!«, heißt es, wenn es um die Geburt des Kindes geht. Tatsächlich ist die Sache nicht ganz so simpel. Frauen sind einer brasilianischen Umfrage zufolge dann besonders zufrieden mit der Geburt, wenn sie in der Schwangerschaft schon gut betreut waren und sich hinreichend informiert und respektvoll behandelt fühlten. Besonders wichtig war ihnen die Wahrung ihrer Intimsphäre sowie das Stillen innerhalb der ersten Lebensstunde des Säuglings. Beides in einer modernen Geburt zu bekommen ist auch hierzulande alles andere als selbstverständlich.58 Obwohl 70 bis 80 Prozent der Schwangeren bei Geburtsbeginn der WHO zufolge als gesund gelten dürfen, erlebten 1984 bis 1999 in Deutschland nur noch 6,7 Prozent der Gebärenden eine Geburt ohne medizinische Eingriffe,59 der aktuelle Stand liegt bei höchstens 10 Prozent Geburten ohne Routine-Interventionen.60 Fachverbände kritisieren, dass etwa 90 Prozent aller Interventionen ohne wissenschaftlich abgesicherte Basis durchgeführt werden, darunter Legen eines Zugangs, Geburtseinleitung, Dauer-CTG, Dammschnitt oder das Ausüben von Druck auf die Gebärmutter zur schnelleren Geburt des Kindes (Kristellern).61

      Wie sollte eine Geburt ablaufen? Mutter Natur hatte sich das grob gesagt so gedacht: Sobald der Fötus reif genug ist, sendet er ein Signal, und der Körper der Mutter beginnt damit, das Wehenhormon Oxytocin auszuschütten. Stück für Stück werden dadurch die Wehen stärker. Wenn jetzt nichts passiert, bewegen sich Mutter und Kind langsam auf die Geburt zu, die Gebärmutter kontrahiert immer stärker, und es kann losgehen. Aber wenn irgendetwas schiefgeht – zum Beispiel ein Raubtier angreift –, schüttet die Mutter das Stresshormon Adrenalin aus, die Geburt stoppt, und sie kann sich in Sicherheit bringen. Die Geburt steuert dabei nicht der neue Teil des Gehirns, also der fürs Denken zuständige Neokortex, sondern das Säugetiergehirn, das unter anderem für unsere Hormone zuständig ist. Daher sprechen viele Frauen auch davon, dass sie »wie auf einem anderen Stern« sind, während sie gebären, was nichts anderes heißt, als dass planmäßig der Neokortex heruntergefahren wird und andere Teile des Gehirns übernehmen.

       Denken, Bewerten, Entscheiden und Planen haben bei einer Geburt nichts verloren. Jede Entscheidungsfrage kann eine Gebärende empfindlich stören.

      Im Umkehrschluss heißt das: Denken, Bewerten, Entscheiden und Planen haben bei einer Geburt nichts verloren. Jede Entscheidungsfrage (»Möchtest du einen Tee?«) kann eine Gebärende empfindlich dabei stören, wenn sie dabei ist, ihren Körper die Führung übernehmen zu lassen. Das macht Frauen auch so empfindlich unter der Geburt, wenn es Entscheidungen zu treffen gibt, denn der Entscheidungsteil ihres Gehirns soll eigentlich gerade nicht arbeiten.

      Das Wehenhormon Oxytocin wird auch »scheues« Hormon genannt und leicht von Stresshormonen verdrängt. Das heißt, dass alles, was eine Frau unter Druck setzt, die Geburt stören, verzögern oder unterbrechen kann, auch ein Personalwechsel, unfreundliche Menschen, sogar zu helles Licht. Man könnte sagen: Das Kind sollte so herauskommen, wie es, hoffentlich, hineingekommen ist – in einer angenehmen, vertrauten, privaten Atmosphäre. Doch die Wirklichkeit sieht leider oft anders aus.

      Der Hebammenverband hat seine Mitglieder befragt, wie die Arbeitssituation von Hebammen in deutschen Kliniken aussieht, und kommt zu dem Ergebnis: »Kaum noch eine Hebamme hat Zeit, eine Frau während der gesamten Geburt ungestört zu betreuen. Die Hälfte der Befragten betreut häufig drei Frauen, weitere zwanzig Prozent sogar vier und mehr Frauen parallel.«62 Nur jede fünfte Hebamme gibt an, Gebärende optimal betreuen zu können. Optimal bedeutet vor allem, emotionale, psychische und soziale Aspekte in den Vordergrund zu stellen und mit so wenig Technik wie möglich zu arbeiten.

      Die WHO empfiehlt demgemäß nach Prüfung der Evidenzen keine routinemäßigen Einläufe, Rasuren oder Dammschnitte. Alle Frauen, auch die mit einer schmerzstillenden Periduralanästhesie (PDA, Betäubung durch Einbringung eines Lokalanästhetikums in den Periduralraum der Wirbelsäule [Spaltraum im Bereich der Rückenmarkshäute beziehungsweise des Spinalkanals]), sollten sich frei bewegen können und aufrecht gebären, das Gebären auf dem Rücken liegend wird ausdrücklich nicht empfohlen, ebenso kein Herausdrücken des Babys, indem man »auf den Bauch presst«. Gebärende Frauen müssen essen und trinken können, sollen respektvoll behandelt werden und von einem Menschen ihrer Wahl unterstützt werden. Gesunde Babys sollen nach der Geburt weder sofort abgenabelt noch von der Mutter getrennt oder gebadet, sondern Haut an Haut zwischen die Brüste der Mutter gelegt werden und möglichst bald Gelegenheit zum Stillen erhalten.

       Optimale Betreuung unter der Geburt heißt vor allem, emotionale, psychische und soziale Aspekte in den Vordergrund zu stellen und mit so wenig Technik wie möglich zu arbeiten.

      Aber wo kann ich so mein Kind bekommen? Es ist Aufgabe der Eltern, einen Geburtsort zu finden, der zu ihren Bedürfnissen passt und ihnen einen stabilen Start ins Familienleben ermöglicht. Denn dieser Start wird lange nachwirken.

      WO KOMMT DAS KIND ZUR WELT?

      Wir kennen den Disput zwischen Müttern, die ihre Kinder zu Hause bekommen, und solchen, die das Krankenhaus vorziehen. Dabei kann man die Fakten in einem Satz zusammenfassen: Es gibt in Deutschland keine klare Empfehlung für Nicht-Risiko-Schwangere, wo sie hingehen sollten. Man kann an beiden Orten eine gute, sichere Geburt erleben. Das heißt in Deutschland aber vor allem, dass der Vorwurf »Was? Zu Hause? Seid ihr verrückt?« nur von Zeitgenossen kommen kann, die die Fakten nicht kennen. Im Gegenteil: Im Krankenhaus ist die Wahrscheinlichkeit für Interventionen größer, die zu »unnötigen Komplikationen« führen können – so die Cochrane-Autoren Ole Olsen und Jette A. Clausen –, und zwar nicht aus medizinischen Gründen, sondern aus »Ungeduld«, zum Beispiel weil der Kreißsaal frei werden muss, die Schicht zu Ende ist oder das Personal zu viele Geburten gleichzeitig betreuen muss – und weil die Technik halt da sei.63 Die angespannte Situation in der Schwangerenversorgung, die oben erwähnt wurde, tut ihr Übriges dazu.

       Eine Geburt wird dann als befriedigend empfunden, wenn die Mutter das Gefühl hat, selbstbestimmt geboren zu haben.

      Es gibt viele mögliche Geburtsorte und Wege, aber über eines sind sich alle Studien einig: Eine Geburt wird dann als befriedigend empfunden, wenn die Mutter das Gefühl hat, selbstbestimmt geboren zu haben – und dazu können auch viele Untersuchungen gehören. Ob das im Krankenhaus oder zu Hause, im Geburtshaus, mit viel Hilfe oder einer Hebamme, die die Frau eher in Ruhe gelassen hat, war, ist dabei nachrangig.

      Wichtig ist eine Eins-zu-eins-Betreuung in einem Umfeld, das die Selbstbestimmung der gebärenden Frau sichern kann. Denn jede Frau reagiert anders auf Stress – und wie sie auf Stress reagiert, hat