»Die Hartford-Diamanten sind gestohlen worden. Zwei Rohdiamantenhändler — Will Hartford und Amery Broadstairs — wurden mit ihrer Privatmaschine auf dem Flug von Philadelphia nach New York abgeschossen. Die Händler kamen bei dem Absturz ums Leben. Als man die Leichen und das Wrack entdeckte, waren die Diamanten verschwunden. Der Absturz ereignete sich drüben in Jersey, unweit von Applegarth.«
»Ziemlich einsame Gegend«, warf Milo ein.
»Abgeschossen?« fragte ich verblüfft. »Wie im Krieg?«
»Wie im Krieg, wenn auch nicht mit Raketen oder Bordwaffen«, bestätigte Mr. McKee. »Das Flugzeug wurde mit Geschoßgarben aus einigen Maschinenpistolen zur Strecke gebracht.«
»Von einer auf gleicher Höhe fliegenden Maschine?« fragte ich.
Mr. McKee nickte. »Offenbar. Die Lage und die Einschußwinkel der Geschosse sprechen jedenfalls dafür. Die Schüsse wurden aus einer Entfernung von zwanzig Yard abgegeben. Der Pilot der Killermaschine muß ein routinierter Flieger sein, denn er unterschritt mit diesem Manöver bei weitem den Sicherheitsabstand. Wir haben inzwischen die Start- und Landelisten aller in Frage kommenden Flugplätze studiert. Viel ist dabei nicht herausgekommen. Gestern abend waren zur fraglichen Zeit über Jersey genau einhundertsiebenundneunzig Privatmaschinen in der Luft. Ich befürchte freilich, daß das von uns gesuchte Flugzeug weder eine Bordbucheintragung erhielt noch von einem lizenzierten Platz gestartet wurde.«
»Wann sind die Diamantenhändler losgeflogen?« fragte ich.
»Gestern abend um neunzehn Uhr«, sagte Mr. McKee. »Der Abschuß erfolgte zwölf Minuten später. Die Borduhr erhielt einen Treffer und blieb um neunzehn Uhr zwölf stehen.«
»Wurde der Abschuß beobachtet?«
»Nein«, erwiderte Mr. McKee. »In Applegarth wurde lediglich der Rauchpilz bemerkt, der beim Verbrennen der Maschine entstand. Man nahm an, daß auf dem Highway ein Unfall geschehen sei, und schickte sofort die Feuerwehr los, aber die kehrte unverrichteterdinge in ihr Quartier zurück. Gegen neun Uhr erhielt der Sheriff eine routinemäßige Suchmeldung, die sich auf die vermißte Privatmaschine bezog. Der Sheriff fuhr sofort los, weil ihm dämmerte, was es mit dem Rauchpilz für eine Bewandtnis gehabt hatte, aber es wurde acht Uhr morgens, ehe er das Wrack entdeckte.«
»Von Philadelphia nach New York ist es ein Katzensprung«, sagte ich. »Warum benutzten die Juweliere ein Flugzeug?«
»Sie glaubten, das sei das sicherste Transportmittel. Auf den Straßen befürchteten sie einen Hold-up.«
»Die Gangster waren über den Abflug und den Kurs der Maschine genau orientiert«, sagte Milo. »Sie verfolgten die Hartford-Maschine und griffen sie in einer Gegend an, die kaum bewohnt ist. Die Aktion war generalstabsmäßig vorbereitet. Der Sheriff fand in der Nähe des Wracks frische Autospuren, die darauf schließen lassen, daß die ›Bodentruppen‹ der fliegenden Gangster den Absturz abwarteten, die Diamanten aus dem Wrack holten und…«
»Nein, nicht aus dem Wrack«, unterbrach Mr. McKee. »Die beiden Männer wurden mit ihrem Koffer und den Bordbüchern aus der Maschine geschleudert. Die Unglücklichen lagen etwa siebzig Yard von dem Flugzeug entfernt. Ihre Brieftaschen, die immerhin zusammen sechshundert Dollar und je ein Scheckbuch enthielten, wurden nicht angerührt.«
»Welchen Wert hat die Beute?« erkundigte ich mich.
»Der reine Verkaufswert liegt bei zweihundertzehntausend Dollar netto«, antwortete Mr. McKee. »Es sind hochwertige Rohdiamanten, blauweiße Ware. Selbst Hehler zahlen dafür noch gut und gern einen Hunderttausender.«
»Eine harte Nuß«, sagte Milo und sah skeptisch aus. »Der Sheriff von Applegarth hat versucht, sie für uns anzuknacken. Er hat sämtliche Tankstellenpächter in der Umgebung befragt, aber niemand konnte sich erinnern, einen Wagen mit verdächtig wirkenden Männern auf getankt zu haben.«
»Es ist anzunehmen, daß die Gangster mit der Beute in New York untergeschlüpft sind«, sagte Mr. McKee. »Die Diamanten befinden sich in einem hellbraunen Beutel aus Saffianleder.«
»Ich weiß«, sagte ich, griff in die Tasche und stellte das Ledersäckchen auf den Tisch. »Hier sind sie.«
Rohdiamanten im Wert von 210 000 Dollar
Ich kam mir vor wie ein Zauberlehrling, der zum erstenmal vor Publikum ein Kaninchen aus seinem Zylinder holt. Aus der Art, wie Milo mich sprachlos anstarrte, hätte man freilich schließen können, daß es ein Elefant gewesen war. Milo griff nach dem Beutel und schüttete seinen funkelnden Inhalt auf den Tisch.
»Was für Klunkern!« hauchte er andächtig.
»Wie haben Sie das fertiggebracht?« fragte Mr. McKee. Sogar er zeigte Erstaunen, und das passierte nicht sehr häufig.
»Ich entdeckte sie in Lala Price’ Schlafzimmer und hielt es für eine gute Idee, sie mitzunehmen.«
Mr. McKee nahm den Beutel in die Hand und stülpte die Innenseite nach außen. Auf dem Boden des Säckchens war ein winziges Metallschild mit dem Namen Will Hartford angebracht. »Das sind die Steine«, sagte er.
»Ich hätte Lala gern gefragt, wie sie auf ihren Toilettentisch gekommen sind. Das ist nicht mehr möglich. Jedenfalls weiß ich jetzt, was Bernie Hobson in ihrem Zimmer suchte. Er wurde dabei von Pollock überrascht und niedergestochen.«
Ich erklärte Mr. McKee und Milo mit wenigen Worten, was geschehen war. »Wir müssen uns an Bernie Hobson halten und herausfinden, für wen er arbeitete«, schloß ich. »Außerdem ist es wichtig, diesen Fred Harper aufzutreiben. Er ist — war Lalas Leibwächter und kann uns sagen, mit wem die junge Dame bevorzugt Umgang pflegte.«
»Warum halten wir uns nicht an die Schwester?« fragte Milo.
»Wenn es stimmt, was sie sagte, waren die beiden wie Hund und Katze«, sagte ich. »Sie gingen sich aus dem Weg.«
»Vielleicht ist das nur eine Schutzbehauptung«, meinte Milo skeptisch.
»Schon möglich«, räumte ich ein. »Es ist noch zu früh, das zu beurteilen. Hast du die Namen weitergegeben?«
»Ja«, erwiderte Milo. »Fred Harper und Stanley Pollock sind mehrfach vorbestraft. Bernie Hobson ist in unserer Kartei nicht enthalten. Ich habe vorsichtshalber Washington eingeschaltet. Wenn die Zentralkartei etwas hat, wissen wir es in spätestens einer halben Stunde.«
Ich blickte Mr. McKee an. »Wer war über den Flug der Juweliere informiert?« wollte ich wissen.
»Mehr Leute, als uns lieb sein kann«, sagte er. »Da waren zunächst einmal die Angestellten der Firma — elf Leute. Soweit uns bekannt ist, handelt es sich um loyale, unbescholtene Angestellte, aber wer kann sagen, ob nicht einer von ihnen gegen Bezahlung oder unter Druck für die Gangster arbeitet? Dann die Angehörigen der Juweliere, der Geschäftspartner, der die Steine in Empfang nehmen sollte, und schließlich das Hotel, in dem Hartford und Broadstairs abzusteigen beabsichtigten.«
»Nicht zu vergessen die Abfertigungsbeamten im Kontrollturm des Flugplatzes«, sagte Milo.
»Wir nehmen den Faden bei den Prices auf«, schlug Mr. McKee vor.
»Wie heißt der Mann, der die Diamanten in Empfang nehmen wollte?« fragte ich.
»Lester Norwich«, sagte Mr. McKee. Ich stand auf. »Das ist mein Mann.« Mr. McKee sah zum zweitenmal an diesem Tag erstaunt aus. »Norwich ist seit zwanzig Jahren in der Branche. Er gilt als seriöser Geschäftsmann. Ich habe mich erkundigt.«
»Er heißt Lester«, sagte ich. »Seine Freunde nennen ihn sicherlich Les — und ich bin hinter einem Les her.«
»Okay«, sagte Mr. McKee. »Nehmen Sie ihn unter die Lupe.«
Ist dieser Les der Les, den ich suche?
Ich trat ans Telefon und suchte Lester Norwich’ Nummer heraus. Er hatte ein Büro an der 5. Avenue.
»Willst du ihn telefonisch bekrabbeln?« fragte Milo