Dieter Krieger

Hessisches Wappenbuch Familienwappen und Hausmarken


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allgemein ausbreitete. Von da aus gesehen ist die Übernahme der sogen. Heraldik durch die freien Bürger in den Städten sowie alle Urkundspersonen wie Schultheißen, Schöffen usw. auf dem Lande keine „Nachäfferei“ ritterlicher Sitten, sondern eine durchaus logische rechtliche Weiterentwicklung. Somit wird in Zukunft die Heraldik als Wissenschaft und Kunst einer historischen und zweckgebundenen Farben- und Formensprache die Hausmarke unbedingt mit in ihr Forschungsgebiet einbeziehen müssen, wie das in neueren Wappenwerken bereits geschieht, wo die Marken und Wappen nicht mehr nach Ständen getrennt, sonder sachlich, figürlich und alphabetisch geordnet erscheinen. Zugleich seien alle, die von dieser Wissenschaft und Kunst durch langjähriges Studium nichts verstehen, im Interesse einer geordneten Weiterpflege davor gewarnt, von Sachkenntnis nicht getrübt, Wappen zu entwerfen. Auch gute Graphiker sind noch keine Heraldiker.

      Wir beginnen also mit der Hausmarke als dem ältesten Bestandteil der späteren Heraldik, heute noch in vielen Wappen und Wappenteilen vorhanden. Das erste Werk über die Hausmarke schrieb der Begründer der germanischen Altertumskunde Ole Worm (1588-1654) in seinen „Sechs Bänden dänischer Denkmäler“. Er bezeichnet sie als „Runae familiares“ und sieht in ihnen durch Zusammenschiebung von Runen entstandene altgermanische Monogramme, sogenannte Binderunen, ähnlich wie die ersten deutschen Kaiser ihre Urkunden mit einem aus lateinischen Buchstaben ihres Namens zusammengefügten Monogramm unterschrieben. Auch die beiden nordischen Gelehrten, der Schwede Liljegren und der Isländer Magnussen, vertraten dieselbe Ansicht. Da in den nordischen Ländern die Runen noch bis ins Mittelalter und darüber hinaus im Gebrauch waren, ist an dieser Feststellung nicht zu zweifeln. Und was dort nachweisbare Tatsache ist, dürfte auch für Deutschland und unsere Gegend einmal Gültigkeit gehabt haben. So ist z. B. der Gebrauch der Runen in der Wetterau noch in fränkischer Zeit nachgewiesen u. a. durch den Fund einer scheibenförmigen Fibel mit der Runenschrift „Thurudhild“ auf einem fränkischen Friedhof bei Friedberg (vgl. Adamy, Kunstdenkmäler des Kr. Friedberg, S. 74).

      Aus derselben Zeit stammen die ältesten deutschen Stammesgesetze. Dort erscheint die Hausmarke urkundlich als Unterschrift. Nach dem Gesetz der Burgunder (um 500) hatten bei einer

      Beurkundung die Zeugen eigenhändig ihr Zeichen (Signum) unter des Dokument zu setzen, in der Lex Salica der salischen Franken (um 500) kommt das Wort „Signum“ als Personenmarke ebenso oft vor wie im Gesetz der ripuarischen Franken um 550. Im alemannischen Recht zu Beginn des 7. Jahrhunderts hatte der Richter sein Signum oder Sigillum dem zu Ladenden zu übersenden. Auch das Recht der Westgoten kennt die Hausmarke als Signum. Im altfriesischen Recht des 8. Jahrhunderts hatte beim Losen jeder Beteiligte sein Signum selbst einzukerben (vgl. K. K. Ruppel, Die Hausmarke, Berlin 1939, S. 95). Nimmt man zwei Angaben des bekannten Literaturprofessors August Vilmar in Marburg in seinem „Idiotikon von Kurhessen“ (Marburg 1868) hinzu, so sieht man, daß dieser uralte Rechtsbrauch noch bis in unsere Zeit weiterlebte. Dort ist (S. 87) zu lesen, daß in Hessen der Schultheiß einen besonderen Stab, den Einwarts-Stab hatte, „daran man diejenigen so (beim Gericht) nicht zur Stelle, pflegte zu schneiden“. Derselbe berichtete (S. 189), daß der Dorfhirte auf einem Kerbstock die Tiere seiner Herde einkerbte und dadurch den Eigentümer sofort kannte (weil wohl das Tier dasselbe Zeichen

      ins Ohr geschnitten trug).

      Es war der Professor der Rechte an der Universität Kiel A. C. I. Michelsen, der die Hausmarke zuerst in die deutsche Rechtswissenschaft einführte und 1853 hierüber ein kleines Buch schrieb, in dem er nachwies, daß bei den germanischen Grundstücksübertragungen mittels der festuca notata die Hausmarke (nota) in den übergebenen Stab (festuca) eingeschnitten wurde. Es schließt: „Die Lehre von den Hausmarken wird in Zukunft ein wesentliches Kapitel der germanischen Altertumskunde bieten“. Der nächste, der sich um die Markenforschung große Verdienste erwarb, ist K. G. Homeyer, Professor der germanischen Rechtsgeschichte an der Universität Berlin. Er rief 1853 durch ein Flugblatt öffentlich zur Sammlung von Hausmarken auf mit dem großen Erfolg, daß ihm von Skandinavien bis in die Schweiz, von Italien über Frankreich bis zum Baltikum viele Tausende zugingen, die er in seinem Werk „Die Haus- und Hofmarke“ 1878 nur zum Teil veröffentlichte.

      So fand sich z. B. eine ganze aus Marken gebildete Stammtafel einer Familie Gau durch fünf Generationen, bei der die Marke des Stammvaters von den jedesmal ältesten Söhnen unverändert weitergeführt wird, während die der nachgeborenen Söhne durch bestimmte Beizeichen verändert werden. Bei Homeyer finden sich aus dem Lande Hessen fast keine. Gab es hier keine? Das Gegenteil ist der Fall. Ein Blick in die Archive beweist dies. So konnte ich bei meiner Vorarbeit für mein hessisches Wappenbuch bereits deren über 1600 feststellen, die druckfertig mit Namen und Jahr vorliegen und durch weitere Forschung beliebig vermehrt werden können. Ich nenne nur drei gehäufte Beispiele: Im Stadtarchiv Butzbach tragen fast alle alten Bürgermeisterrechnungen auf dem Pergamentumschlag seit 1453 die Hausmarke der Bürgermeister im Schild (Übergang der Marke zum Wappen), im Staatsarchiv Darmstadt findet sich ein Pergamentheft mit den Marken der Wollweberzunft der Reichsstadt Friedberg von 1468-1600 mit fast 300 Marken, die O. Praetorius in den „Friedberger Gesch. Bll“, 14, 1939 bis 1942, veröffentlicht hat. Den größten und rechtsgeschichtlich bedeutendsten Fund konnte ich 1950 im Gemeindearchiv des Dorfes Gambach in der Wetterau machen, 425 Marken von 1640-1768 der dortigen bäuerlich und adlig gemischten Marktgenossenschaft als Teilhaber am dortigen Marktwald („Volk und Scholle“, 1951, Heft 2, und „Hess. Fam.-Kunde“, 1954, Heft 2). Herbert Spruth, der Vorsitzende des Vereins „Herold“ in Berlin und Veröffentlicher pommerischer Hausmarken, schreibt darüber in der Zeitschrift „Familie und Volk“, 1955, 175, folgendes: „Die Bedeutung dieses Fundes ist von ungewöhnlicher Wichtigkeit, wenn die sämtlichen germanischen Volksrechte die Markenführung auch kannten, die noch heutigentags weiterleben, so blieben die Einzelheiten dieses Brauches innerhalb des letzten Jahrtausends doch undeutlich. Nunmehr zeigt meine Veröffentlichung, daß tatsächlich noch in neuerer Zeit die Markenführung in Gambach sich nach germanischem Genossenschaftsrecht vollzogen hat. Dieses stellt eine grundlegende Ergänzung unserer Kenntnisse über die Markenführung in deutschem Gebiet dar und kann gar nicht wichtig genug genommen werden … Eine Bestätigung für den germanischen Charakter in dem Gewohnheitsrecht und der Sitte der Markenführung, die bisher angenommen, aber nicht nachweisbar war.“

      Während die Hausmarkenforschung bisher stark vernachlässigt war und erst jetzt wieder in das Blickfeld der Forschung rückt (Mitteilung des „Herold“, Berlin, 1955, 79), ist die Heraldik im engeren Sinne im Lande Hessen (wozu wir archivalisch Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Nassau und Frankfurt, Rheinhessen, die an Rheinland-Pfalz abgetretenen vier nassauischen Kreise, Schmalkalden und Wimpfen zählen) mit überaus zahlreichen Quellen vertreten. Die Staatsarchive in Darmstadt, Marburg und Wiesbaden, die Stadtarchive der großen und kleinen Städte, die Standesherrlichen und Adelsarchive, die Gemeinde- und Pfarrarchive des Landes sind noch lange nicht heraldisch voll ausgeschöpft, sowohl hinsichtlich der Urkunden als der Aktenbestände. Außergewöhnlich reich und vielseitig sind die hessischen Quellen der Heraldik gerade in unserem Rhein-Main-Gebiet als einem ältesten deutschen Kulturzentrum: Heraldische Hoheitssymbole der Landesherren, Patrone, Gerichtsherren und Besitzer, kirchlicher Würdenträger, Grabdenkmäler und einfache Grabsteine, Wappen an Toren und Häusern, Siegel, Münzen, Glaswappen in Kirchen und Profanbauten, Totenschilde und Stifterwappen, Kelche, Kannen und andere kirchliche Geräte, Siegelringe und Petschaften, Gebrauchsgegenstände aller Art, Ortswappen, Genossenschafts-, Ordens- und Zunftwappen, Exlibris, Pfeifenköpfe und Tassen bis herab zu den mehr oder minder guten Wappen auf Weinetiketten der studentischen Korporationen und Vereine, stellen eine vielseitige Musterkarte unserer deutschen Symbolfreudigkeit dar, die in unserer industriellen, ganz auf das Sichtbare eingestellten Zeit wieder sehr in Brauch kommt. „Das Recht, Wappen zu führen und beliebig anzunehmen, war ja immer ein völlig freies, und blieb auch tatsächlich frei, als die Kaiser das Recht beanspruchten, bürgerliche Wappen zu verleihen“, schreibt E. Heydenreich in seinem „Handbuch der praktischen Genealogie“, II, S. 154. Dies ist aus dem vorhergesagten ohne weiteres klar.

      Die Heimat der Heraldik in ihrer zweckgebundenen strengen Formensprache, ihren guten Farbregeln und ihrer Kunstsprache ist Frankreich. Von dort kam die Pflege dieser Kunst durch die Herolde oder „Knappen von den Waffen“ nach Deutschland und brachte französische Fachausdrücke mit, die heute noch leben, wie z. B. Blasonieren = Wappenbeschreibung. Die Herolde unterstanden